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III.8 Burschenschaften und Demokratie
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mentiert und soll nun systematisch ausgearbeitet werden. Vorausgeschickt sei dabei zum
einen der Hinweis , dass vieles des zum Verhältnis von Bund und Verband bereits Gesag-
ten analog für das Verhältnis von Individuum und Bund gilt. So wirken etwa in beiden
Fällen Homogenisierungstendenzen , die mit Sanktionen und verschiedenen Formen so-
zialen Drucks durchgesetzt wurden. Zum anderen ist erneut zu betonen , dass die illibe-
rale Fassung des Stellenwerts des Einzelnen in der Burschenschaft ( auch ) als Reflex ei-
ner spezifischen gesellschaftlichen Umgebung
– eben der österreichischen
– zu sehen ist.
„ ‚Freie Entfaltung der Persönlichkeit‘ auf Kosten der öffentlichen Ordnung , Ruhe und
Sicherheit existiert hier nicht ( … ). Den absoluten Vorrang der Einzelrechte gegenüber
den Gemeinschaftsrechten – wie in Deutschland – gibt es hier nicht“, konstatierte der
deutsche Konservative Peter Maier-Bergfeld 1995 anerkennend.842
Die Forderung nach Unterordnung widerspricht nur scheinbar dem rebellischen
Gestus , mit dem Burschenschafter vermeintlichen Feinden des Volkes zu begegnen
pflegen. Tatsächlich soll der Einzelne sich einerseits in den Bund und in die Volks-
gemeinschaft eingliedern , sich andererseits aber im Sinne der vermeintlichen Interessen
beider widerständig gegen das jeweilige Äußere zeigen. Ein tatsächlicher Widerspruch
ergibt sich dagegen zu jenen ( v. a. ) im RFS um 1970 vertretenen , pro-individualisti-
schen Positionen , auf die in Abschnitt III.8.2 verwiesen wurde. Auf die Burschenschaf-
ten in Österreich bezogen blieben derartige Positionen ( auch ) nach 1945 minoritär.
Zwar wandten auch sie sich verschiedentlich gegen ‚Kollektivismus‘ , erblickten die-
sen jedoch offenbar nur im realsozialistischen Gesellschaftsmodell , nicht etwa im ei-
genen volksgemeinschaftlichen Denken.843 Wohl pochten sie auf das „Recht des Ein-
zelnen , sich frei zu entwickeln , auszubilden und zu handeln“
– allerdings nur , „solange
dadurch nicht die Rechte anderer oder“
– und hier geht die Einschränkung individuel-
ler Freiheit über den klassischen Liberalismus hinaus
– „der Gemeinschaft beeinträch-
tigt werden“.844 In der Beschwörung der „Würde des menschlichen Lebens in der Ge-
meinschaft“ erscheint Letztere als Bedingung der Ersteren.845 Bisweilen wurde auch
explizit anti-individualistisch argumentiert : Gegen „die übersteigerten individualisti-
schen und weltbürgerlichen Tendenzen der Aufklärung“ und den „westliche( n ) Libe-
ralismus ( … ), dessen Ideal die bloße individuelle Freiheit ist“, bezog 1989 der Olympe
Thomas Wagner Stellung.846
842 Zit. n. Schiedel 2007 , 55.
843 Vgl. Alemannia 1962 , 28 f. ; Libertas 1967 , 110 und 140 f.
844 So die am DBÖ-Tag 1965 beschlossenen Grundsätze der DBÖ ( BAK , DB 9 , E. 4 [ B2 ], Anlage B zum
DBÖ-Rundschreiben Nr. 1 [ Markomannia ] von 1965/66 , 1 ).
845 AVSt , DBÖ-Flugblatt 1977. Vgl. auch Schlüsselbergers Bemerkung zur „Volksgemeinschaft( s )“-Zuge-
hörigkeit als Bedingung eines lebenswerten Lebens ( zit. in Abschnitt III.7.3 ).
846 Wagner 1989 , 56 f.
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Untertitel
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Autor
- Bernhard Weidinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 634
- Schlagwörter
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619