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III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich
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Um dem Einzelnen die ständige Bereitschaft zur Eingliederung und Unterordnung
plausibel zu machen , wurde ihm fortwährend seine Bedeutungslosigkeit und Angewie-
senheit auf die Gemeinschaft vor Augen geführt. „Es liegt doch unsere Kraft/nur in
der Burschenschaft“, heißt es im inoffiziellen Lied des schwarz-rot-goldenen Kartells ,
dem Albia Wien und Arminia Graz angehören.861 Botschaften wie diese und die auto-
ritäre Sozialisation in der Verbindung generell knüpfen an eine psychische Disposition
der Ich-Schwäche862 und das in Abschnitt III.7.3 erwähnte Bedürfnis nach Aufwer-
tung ebenso an , wie sie sie fördern – und verheißen gleichzeitig Abhilfe : Erst auf der
Grundlage eines geschwächten Ichs kann das Aufgehen im Kollektiv , in dem allein all
‚unsere Kraft‘ liege und in dem das Individuum zu sich selbst finden soll , als Machtzu-
wachs erlebt werden. An die Stelle des Ichs tritt ein Wir.
Über die Identifikation mit der Autorität oder einer mächtigen Idee ( etwa von nationaler
Größe ) soll von deren Kraft profitiert werden. Zur Unterwürfigkeit ( Passivität/Masochis-
mus ) kommt beim Autoritären die Herrschlust ( Sadismus ). Im Männerbund wie im deut-
schen ‚Herrenvolk aus Untertanen‘ ( Heinrich Mann ) macht man ‚sich klein , um
– als Teil des
Großen – groß zu sein‘.863
Vor diesem Hintergrund erscheint es nur folgerichtig , dass der Selbstentwurf jedenfalls
einzelner Burschenschafter untrennbar an den Bund gekoppelt ist , was entsprechende
Abhängigkeiten befördert ( vgl. dazu auch Abschnitt III.2 , insbesondere die Anmer-
kungen zum Phänomen der Überaffirmation des burschenschaftlichen Auftrags durch
manche Mitglieder ). So zitiert die Liberten-Chronik einen Alten Herrn mit den Wor-
ten , allein die Verbindung bewahre ihn „vor Versumpfung und Verkümmerung“. Kurz
vor seinem Tod habe er erklärt : „Daß ich der Burschenschaft angehört habe , ist meine
größte Freude und ihrer würdig zu sein , war immer mein Bestreben.“864 Die Rolle der
Burschenschaft als eine Art Ersatz-Ich , das dem Einzelnen Aufwertung qua Zugehö-
rigkeit verschaffte und für das Selbstbild des Betreffenden entsprechend unentbehrlich
wurde , ist in diesem Fall offenkundig.865 Ein anderer Liberte wurde
– seiner Gattin zu-
861 Albia 2005 , 20. Vgl. auch den gerade bei burschenschaftlichen Feiern in Österreich gängigen Brauch
des ‚Landesvaters‘ , den Paschke als Ausdruck der „Hingabe der individuellen Selbst-‚Behauptung‘ an
die Gemeinschaft“ sowie des „Wiederempfangen( s ) der in der Gemeinschaft gereiften Individualität
im Sinne von Goethes ‚Stirb und Werde‘ “ deutet ( Paschke 1999 , 165 ). Vgl. zu diesem Brauch auch Go-
lücke 1987 , 277 f. Zu Beispielen seiner Ausübung vgl. Aldania 1994 , 167 ; 179 ; 189 ; 192 ; 202 und 208.
862 So bestimmen Schiedel/Wollner ( 2009 , 117 ) den Antiindividualismus als „rationalisierte Furcht vor der
Freiheit“.
863 Schiedel/Wollner 2009 , 106 ( Herv. i. O., Zitat im Zitat : Erich Fromm ).
864 Zit. n. Libertas 1967 , 287.
865 Dabei könnte von Belang sein , dass jener Alte Herr kein Akademiker und beruflich in nicht-führender
Funktion bei den Österreichischen Bundesbahnen tätig war ( vgl. ebd. ). Sein offenbar prekärer , da auf einer
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Untertitel
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Autor
- Bernhard Weidinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 634
- Schlagwörter
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619