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IV. Praxis burschenschaftlicher Politik
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Obwohl also der ‚Zeitgeist‘ den österreichischen Bünden günstiger wehte als den
bundesdeutschen , sahen sie schon früh – und lange bevor französische und bundes-
deutsche Rechtsextremisten die programmatischen Grundlinien einer ‚Neuen Rech-
ten‘ formulierten
– Anlass zu metapolitischem Engagement. Vom zunächst weitgehen-
den Ausschluss von direkter politischer Gestaltungstätigkeit nach 1945 abgesehen , war
dafür gerade die Sorge ursächlich , die an der Gesellschaft der BRD und den dortigen
Burschenschaften konstatierten Aufweichungserscheinungen ( klare Verurteilung des
Nationalsozialismus , unzweideutige Abkehr vom Antisemitismus , teilweise Gebiets-
verzichte ) könnten auch auf Österreich übergreifen , zumal erste dahin gehende In-
dizien bald gefunden waren.92 ‚Umerziehung‘ und ‚Amerikanisierung‘ wurden daher
zum Dauerthema ( nicht nur ) der Aula und blieben es bis heute.93 Selbst in für öster-
reichische Verhältnisse liberalen burschenschaftlichen Kreisen wurden noch 40 Jahre
nach Kriegsende Meinungen wie jene vertreten , das Kriegsziel der Alliierten im Zwei-
ten Weltkrieg habe sich nicht in der Niederringung des Nationalsozialismus erschöpft ,
sondern „vielmehr die Vernichtung Deutschlands“ eingeschlossen – welche nach dem
militärischen Sieg eben „in anderer Form weiterverfolgt wird ( Teilung , Umerziehung ,
Entnationalisierung usw. )“.94
Eine frühe Formulierung eines metapolitischen Programms findet sich 1964 bei
den Innsbrucker Germanen. Deren Altem Herren Tschörner zufolge erstrebe die DBÖ
„ein völkisches Denken u. eine völkische Erneuerung unter Zurückstellung des Partei-
politischen“. Dazu müsse sie „eine Entwicklung erreichen“, als deren Ergebnis es ge-
sellschaftlich als schlichtweg „unehrenhaft“ gelte , sich selbst als „Ostdeutsche( n )“ statt
als Deutschen zu bezeichnen.95 Im Rahmen einer bundinternen Diskussion 1967 stellte
ein Bundesbruder Tschörners , AH Bruckner , fest , man könne für ein Parteiprojekt als
Burschenschaft lediglich „den Boden ( … ) vorbereiten“.96 Diese Sichtweise wurde zwar
offenkundig nicht von allen Burschenschaftern geteilt , wie etwa die Gründung der
und sie unbedingte Traditionstreue zum Wert um seiner selbst willen erheben ließ. Beides begünstigte
die Durchsetzung und Bewahrung einer besonders harten Form des völkischen Denkens und Handelns
unter den Burschenschaftern Österreichs.
92 So hatten sich , in der Wahrnehmung mancher völkischer Traditionalisten , die ‚Umerzieher‘ bereits ange-
schickt , die parteipolitische Vertretung des ‚Dritten Lagers‘ in ihrem Sinne zu manipulieren – vgl. dazu
Otto Scrinzis Artikel über seinen VdU-Parteikollegen Herbert Kraus als „gescheiterte( n ) Umerzieher“
( Aula Nr. 6 / 1988 , 24 ). 1964 kommentierte ein Alter Herr von Germania Innsbruck den Wunsch seiner
Aktivitas , eine Bestandsaufnahme burschenschaftlicher Theorie und Praxis durchzuführen , mit der Be-
merkung , die Betreffenden seien „ganz offensichtlich dem Zeitgeist verfallen“ ( Germanenmitteilungen , Juli
1964 , 6 ). Wenige Jahre später sah ein anderer AH sich veranlasst zu betonen , dass die Germanen „keine
Knechte des Zeitgeistes werden“ dürften ( Germanenmitteilungen , März 1967 , 20 ).
93 Vgl. Gärtner 1996 , 332 f.
94 Hartmut Rochowanski , zit. n. Oberösterreicher Germanen 1994 , 130.
95 Germanenmitteilungen , Februar 1964 , 5.
96 Germanenmitteilungen , Dezember 1967 , o. S.
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Untertitel
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Autor
- Bernhard Weidinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 634
- Schlagwörter
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619