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IV. Praxis burschenschaftlicher Politik
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gen und zukünftigen politischen Handlungen.“132 Im Kampf um den Erhalt bzw. die
Herausforderung von ‚( Meinungs-)Hegemonie‘ treten unterschiedliche , aus gegenwär-
tigen Interessen abgeleitete Vergangenheitskonstruktionen in Widerstreit und machen
aktuelle Macht- und Interessenkonstellationen sichtbar.133 Auf diese Weise gewinnt die
Behandlung von Ereignissen vor 1945 Relevanz für die ( Nachkriegs-)Gegenwart
– und
damit auch für deren Beforschung.
Sandner zufolge verfolgt Geschichtspolitik , von politischen Parteien betrieben , stets
„Abgrenzungs- und Integrationsinteressen“, solche der „Identitätsstiftung im Inneren“
und der „Profilierung und Konturierung gegenüber dem Anderen“. Die Geschichts-
politik zivilgesellschaftlicher Gruppen ( etwa von Veteranen- und Opferverbänden ) ten-
diere dagegen dazu , eine bestimmte Klientel zu bedienen , indem sie deren „historische
Legitimität“, ihre Deutungsansprüche und ihren „historischen Erfahrungshorizont“
durchzusetzen versucht.134 Burschenschaften nahmen hier in der Zweiten Republik
eine Zwitterstellung ein : Zum einen wiesen sie ein relativ klar umrissenes politisches
Profil auf und dienten ihre öffentlich vermittelten Geschichtsdeutungen fraglos der in-
neren Integration und äußeren Profilierung. Zum anderen verstanden sie sich auch als
Stimme der ‚Kriegsgeneration‘ , die sie gegen als verunglimpfend empfundene Darstel-
lungen in Schutz zu nehmen und deren Handeln sie historisch plausibel zu machen
suchten. Im Zuge dessen agierten sie nicht zuletzt als Anwälte ihrer selbst : Spezifische
Narrative über die Zwischenkriegs- und Kriegsereignisse sollten dazu dienen , Salon-
fähigkeit in der ( Nachkriegs-)Gegenwart zu gewinnen.
Neben der eigenen Legitimierung war es den Burschenschaften Österreichs in ge-
schichtspolitischer Hinsicht auch um die Delegitimierung135 anderer zu tun : So wurde
etwa – bei gleichzeitiger Betonung der eigenen Standhaftigkeit – der Opportunismus
anderer ehemaliger UnterstützerInnen des NS-Regimes kritisiert , die nach dem Krieg
dem Deutschnationalismus abgeschworen hatten und/oder in andere politische La-
ger gewechselt waren ; auch betrieb man die Diskreditierung dieser Lager selbst , ja der
Nachkriegsordnung insgesamt , indem sie als Instrumente bzw. als Produkt der Sieger-
mächte dargestellt wurden , die ein De-facto-Besatzungsregime über 1955 hinaus eta-
blieren sollten. In diesem Sinne war burschenschaftliche Erinnerung eine „kontra-
präsentische“, gegen den Status quo politischer Herrschaft ( freilich aber nicht gegen
Herrschaft an sich ) gerichtete.136 Die von Sandner gleichfalls erwähnte Funktiona-
lisierung von Geschichte zur kollektiven Identitätsstiftung wurde von burschenschaft-
132 Thomas Herz/Michael Schwab-Trapp , zit. n. Sandner 2001 , 13. Vgl. zu geschichtspolitischen Konflik-
ten und ‚kultureller Hegemonie‘ Sandner 2001 , 12–15.
133 Vgl. ebd., 13–15.
134 Ebd., 12.
135 Vgl. ebd., 8.
136 Ebd.
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Untertitel
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Autor
- Bernhard Weidinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 634
- Schlagwörter
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619