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IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn
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NS-Zeit ( u. a. durch Reklamation eines Opferstatus’143 ) bildet dieser Argumentations-
strang die defensive Variante burschenschaftlicher Geschichtspolitik in Bezug auf den
Nationalsozialismus.
Die andere Reaktionsweise rückte dagegen die Wahrnehmung in den Mittel-
punkt , dass die Burschenschafter als Kollektiv sich im Hinblick auf ihre Rolle in den
1930er-Jahren und in der NS-Zeit nichts bzw. jedenfalls nicht mehr als andere vor-
zuwerfen und somit keinen Grund hätten , eine offene Austragung geschichtspoliti-
scher Debatten zu scheuen. Da diese Debatten nun einmal schon im Gange waren ,
wollte man dieses Feld ( und damit die Deutungshoheit über die Zwischenkriegs- und
Kriegsjahre ) nicht dem politischen Gegenüber überlassen , sondern es offensiv bespie-
len
– und zwar umso vehementer , je stärker kritische Stimmen die bis dahin gültigen
Narrative infrage stellten. Diese Form burschenschaftlicher Geschichtspolitik lässt
sich besonders eindrücklich am Hauptsprachrohr der völkischen Verbindungen zur
‚Außenwelt‘ aufzeigen.144
1938 im Spiegel der Aula
Herangezogen werden dabei Hefte aus drei Jubiläumsjahren des ‚Anschlusses‘.145 An-
gesichts der Funktion von ‚1938‘ als gängige Chiffre für die nationalsozialistische Ära
in Österreich wurde anhand dieser Jubiläen der Nationalsozialismus insgesamt verhan-
delt
– auf gesamtgesellschaftlicher Ebene wie auch vonseiten der völkischen Korpora-
tionen. Zentrale Botschaft der Aula war dabei die Zurückweisung der populären ( und
lange Zeit staatstragenden ) ‚Opferthese‘ : Österreich sei vom Deutschen Reich keines-
wegs überwältigt und unterjocht worden , vielmehr hätten breiteste Teile der Bevölke-
rung den ‚Anschluß‘ frenetisch begrüßt ; das Österreich der Zweiten Republik habe die-
sen Umstand verleugnet und verdrängt , hätte aber die Pflicht , sich ihm zu stellen. Zur
Untermalung dieser Darstellung titelte die Aula 1978 wie auch 1988 mit demselben Foto
143 Zum einschlägigen Standardargument vgl. kritisch Cerwinka ( 2009 , 100 ): „Es ist formal zwar zutref-
fend aber m. E. dennoch irreführend , die Burschenschaften wegen ihrer Auflösung als Verfolgte des NS-
Regimes darzustellen.“
144 Diese Einstufung der Aula ließe sich unter Verweis auf die FPÖ verneinen , zumal Letztere ein deut-
lich breiteres Publikum erreichte. Allerdings hatte sie als politische Partei stets breitere gesellschaft-
liche Schichten zu repräsentieren als das Organ der Freiheitlichen Akademikerverbände ( oder strebte
dies zumindest an ) und vertrat in Phasen – gerade auch in jener geschichtspolitischen ‚Umbruch-
zeit‘ um 1980
– auch Positionen , die sich von innerhalb der Burschenschaften hegemonialen Stand-
punkten unterschieden.
145 Es handelt sich um die Ausgaben von März und April 1978 , erschienen unter der Schriftleitung Adal-
bert Aigners ( Germania Graz ); die Hefte von Jänner bis März 1988 unter der redaktionellen Verant-
wortung Werner Widmanns ( Suevia ) und Andreas Mölzers ; sowie die März- und die April-Nummer
1998 aus der Schriftleiter-Ära Otto Scrinzis.
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Untertitel
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Autor
- Bernhard Weidinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 634
- Schlagwörter
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619