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IV. Praxis burschenschaftlicher Politik
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schaftlicher Redlichkeit , sondern ( mit tendenzieller Ausnahme der Forderung nach
‚historischer Wahrheit‘ ) auch manifesten Eigeninteressen des ‚freiheitlichen Lagers‘ in
Hinblick auf dessen politische Salonfähigkeit. Auch 1998 wählte die Aula einen aktua-
litätsorientierten Zugang zur Bearbeitung des ‚Anschluß‘-Jahres und beschäftigte sich
schwerpunktmäßig mit der angeblichen Unterdrückung abweichender Meinungen in
der österreichischen Gegenwartsgesellschaft.154
Den Schwenk von einer defensiven Vermeidungshaltung in Bezug auf geschichts-
politische Debatten hin zur aktiven Intervention in diese als metapolitisches Projekt
vervollständigte
– neben der erwähnten Ergänzung historischer Darstellungen durch
vermehrte Gegenwartsbezüge
– die offensive Wendung nach außen. Als Markstein
ist dabei die Veröffentlichung zweier Broschüren ( eine zur vermeintlichen Dekonst-
ruktion von Mythen in Bezug auf das Jahr 1938 , die andere zu 1848 ) „in Massenauf-
lage“ durch den Aula-Verlag 1988 anzusehen , deren deklariertes Ziel es war , über die
eigene Stammklientel hinauszuwirken. Es gelte , so die entsprechende Ankündigung
Mölzers in der Aula , „gegen den Strom des Zeitgeistes anzukämpfen“ und „der his-
torischen Wahrheit eine mediale Gasse zu bahnen“.155 Der Untertitel der 1938er-Bro-
schüre bringt dabei die innerhalb des völkischen Korporationswesens hegemoniale Po-
sition zum Jahr 1938 und seinen Folgen auf den Punkt : „Weder Opfer noch Schuld“.
Ja , die ( meisten ) ÖsterreicherInnen hätten den Nationalsozialismus gewollt
– und sich
dennoch nichts vorzuwerfen.156
Der Wille zur Einmischung in den ‚Kampf um die Köpfe‘ spricht auch aus der Linie ,
die ein/-e „H. Lorraine“ in der April-Aula 1988 für das Verhalten völkischer Kreise in der
Causa Waldheim vorgab : Dass Waldheim öffentlich einen Eindruck vermittelt habe , als
ob man sich für den Dienst in der Deutschen Wehrmacht „schämen oder doch zumin-
dest entschuldigen müsse“, sei „politisch wie moralisch“ falsch gewesen. Doch „( w )enn
wir nicht wollen , daß die Sprachregelungen der ‚Vergangenheitsbewältiger‘ zu den al-
lein gültigen und maßgebenden werden , müssen wir Waldheim in dieser Situation die
Mauer machen“.157 Das damit angesprochene Thema ‚political correctness‘ bildete den
Schwerpunkt dieser Aula-Ausgabe : Unter dem Titel „Meinungsdiktatur in der Demo-
154 Unter diesem Aspekt fand neben dem 1938er-Jubiläum ( im Aprilheft ) auch jenes von 1848 ( in der
März-Ausgabe ) Behandlung.
155 Aula Nr. 1 / 1988 , 3. Die Broschüren erschienen als ( Aula-)Sonderblatt Nr. 34 / 1988 und Nr. 36 / 1989.
156 Diese Position hinderte völkische Korporierte jedoch nicht daran , für sich selbst immer wieder einen
Opferstatus zu reklamieren : von Hitler betrogen , von dessen Regime verboten , im Feld an Vaterlands-
liebe verendet , hernach der ‚Siegerjustiz‘ unterworfen usw. ( vgl. u. a. Kapitel II.5.1 ). Vgl. kritisch zur
1938er-Broschüre Gehler 2002.
157 Aula Nr. 4 / 1988 , 13. Ebendies hatte Haider in der März-Aula ( Nr. 3 / 1988 , 22 ) auch getan. In der Frage ,
welcher Kandidat die Stimmen völkischer Kreise verdient habe , bezog die Aula allerdings klar Position
zugunsten des völkisch-korporierten Kandidaten Otto Scrinzi ( vgl. Aula Nr. 5 / 1986 , 3 f., 16 , 25 ).
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Untertitel
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Autor
- Bernhard Weidinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 634
- Schlagwörter
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619