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IV. Praxis burschenschaftlicher Politik
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Mehrheitsbevölkerung von Kärnten/Koroška als bedrohtes Kollektiv und die deutsch-
nationale Aggression als Notwehr erschien.483
Dem instrumentellen Zugang völkischer Kreise zu Minderheitenrechten entspricht
ein ebenso instrumentelles Verhältnis zur als schutzbedürftig ausgemachten Volks-
gruppe. Die deutschsprachigen SüdtirolerInnen interessierten aus burschenschaftli-
cher Sicht weniger als konkrete Personen mit konkreten Interessen , etwa an Nichtdis-
kriminierung im Bildungswesen , im Amtsverkehr , im Zugang zu Wohnraum oder zum
öffentlichen Dienst , denn als „unsere Volksgenossen südlich vom Brenner“, als Träger
von ‚Volkstum‘.484 Als ihre Aufgabe wurde nicht angesehen , ein nach eigenen Kriterien
erfülltes Leben zu gestalten , sondern ihre kollektiven kulturellen Praktiken , ihr Denken
und Fühlen und die von ihnen bewohnte Scholle möglichst unverfälscht ‚deutsch‘ zu er-
halten. Der Kampf , den Burschenschafter in Südtirol / Alto Adige auszufechten trach-
teten , galt dem Ziel , dem ‚deutschen Volk‘ einige Tausend Quadratkilometer Boden
und einige Hunderttausend Angehörige zu erhalten. Die Forderung nach erweiterten
Teilhabechancen für jene wurde erhoben , weil sie als diesem Ziel zuträglich bestimmt
wurde. Als bezeichnend kann die Feststellung der ADC-Vorsitzenden Alania von 1957
gelten , wonach für die Burschenschaften weniger die SVP als langjährige Quasi-Ein-
heitspartei der deutschsprachigen Bevölkerung Südtirols als vielmehr das Südtiroler Kul-
turinstitut „als Arbeitspartner ( … ) von Interesse“ sei. Erstere sei „eine reine Kampfpar-
tei“ ( womit wohl gemeint war , dass sie rein politisch-rechtliche Ziele verfolge ), während
Letzteres zunehmend „für das deutsche Volkstum zu arbeiten“ beginne.485
Dass die sozialen und ökonomischen Interessenlagen der SüdtirolerInnen für die
Burschenschaften in Österreich nur insoweit von Belang waren , als sie mit deren völ-
kischer Mission in Deckung zu bringen waren , wurde etwa am DB-Burschentag 1975
deutlich. In Reaktion auf italienische Pläne zur Errichtung einer Universität in Bo-
zen/Bolzano und zur Einführung deutschsprachiger Vorlesungen an der Universität
von Trento setzten die Oberösterreicher Germanen eine Entschließung durch , welche die
Chance tertiärer Bildung vor Ort und in der eigenen Muttersprache für die deutschspra-
chige Südtiroler Bevölkerung zurückwies. Begründet wurde dies mit der Gefährdung
der Rolle insbesondere der „Landsuniversität Innsbruck für die kulturelle und geistige
Einheit Tirols“; auch sähen die Pläne lediglich eine Universität fragwürdiger wissen-
schaftlicher Güte vor , was , so die Befürchtung der Obergermanen , eine „geistig-kultu-
relle Abhängigkeit ( … ) von Trient“ befördern könnte.486 Ein weiterer Antrag Olym-
483 Vgl. BAK , DB 9 , E. 4 [ A1 ], Entwurf einer Resolution betreffend Südkärnten , Anlage zum Schreiben
Olympias an die ADC-Bünde vom April 1955 ( Teil der Arbeitsunterlagen zum ADC-Tag 1955 ), 1 bzw.
Scrinzi 2003 , 227.
484 PBW , Berka 1964 , 17.
485 BAK , DB 9 , E. 4 [ A1 ], Anlage 3 zur Niederschrift des ADC-Tages 1957 , 2.
486 BAK , DB 9 , B. VI. Burschentage ( a ), Arbeitsunterlagen zum DB-Burschentag 1975 , 26 f.
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Untertitel
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Autor
- Bernhard Weidinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 634
- Schlagwörter
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619