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IV. Praxis burschenschaftlicher Politik
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ihre eigenen Probleme in Kenntnis zu setzen , sollte die DBÖ nach Stühlingers Vor-
stellung zweimal jährlich ein Informationsblatt an Südtiroler Haushalte übermitteln.491
Wie dieses Ansinnen unterstreicht , war jedenfalls manchen Burschenschaftern
durchaus bewusst , dass ihre eigene Wahrnehmung der Situation in Südtirol / Alto Adige
sich nur bedingt mit jener der lokalen deutschsprachigen Bevölkerung deckte , unter
der katholisch-großtirolische gegenüber großdeutschen Vorstellungen vorherrschend
und ‚binationale‘ Ehen bereits in den 1960er-Jahren nicht selten waren. Die burschen-
schaftliche , ethnisierende Lesart des Südtirolkonflikts bedurfte vor diesem Hintergrund
besonderer Bewerbung.492 Schon im 19. Jahrhundert waren das geringe ‚Volkstums-
bewusstsein‘ und Interesse am ‚Volkstumskampf‘ seitens der Bevölkerung in vermeint-
lich bedrohten Gebieten ein steter Quell von Frust für völkische Aktivisten gewesen.493
Allerdings schien die südlich des Brenners in den 1950er-Jahren herrschende struktu-
relle Diskriminierung völkischer Agitation einen fruchtbaren Boden zu bereiten , wie
der Alane Karl Claus 1957 ausführte : „Die ganze Südtiroler Atmosphäre ist in volks-
tumsmäßiger Hinsicht ( … ) derart aufgeschlossen und bietet gerade für uns derartige
Arbeitsmöglichkeiten , daß es mit einigem Geschick und Diplomatie und mit entspre-
chendem Auftreten leicht gelingen müßte , große Erfolge und Sympathie zu erringen.“
Mehr noch : das erwähnte geschickte Agieren vor Ort vorausgesetzt , seien burschen-
schaftliche „Erfolge“ hier so sicher „wie nirgend anderswo“.494 Der Gefahr , dass die
Burschenschaften von Südtiroler Seite der Verfolgung eigennütziger Motive verdäch-
tigt werden könnten , war jedenfalls Claus sich durchaus bewusst : „Wir müssen vor al-
lem zeigen , daß unser Interesse an Südtirol kein zweckbedingtes ist , sondern daß es
uns ein Herzensbedürfnis ist“, lautete seine Losung für die Meraner Hochschulwochen
1957.495 In der Tat nahmen die Burschenschafter selbst ihren Zugang zur Südtirolfrage
wohl weder als instrumentell noch als paternalistisch wahr : Dass ihre eigenen Interes-
sen , die man als Gesamtinteressen des ‚deutschen Volkes‘ verstand , sich von jenen der
491 BAK , DB 9 , E. 4 [ B2 ], Beilage VI zum DBÖ-Rundschreiben Nr. 4 ( Libertas ) vom Dezember 1964 , 2 f.
492 Bisweilen mischte der Paternalismus sich dabei mit Exotismus , Folge der idealisierenden Verklärung
der SüdtirolerInnen als Märtyrerinnen und Frontkämpfer des Deutschtums in feindseliger Umgebung.
Als Beispiel hierfür sei eine Formulierung aus einem Antrag Alanias von 1964 angeführt , wonach Bur-
schenschafter im Rahmen der Meraner Hochschulwochen die „Aufgabe“ hätten , „mit der eingeborenen
Bevölkerung Beziehungen anzuknüpfen“. Bei entsprechendem Bemühen werde man feststellen , „wie
gerne es die Südtiroler haben , Kontakte mit den Südtiroler Studenten [ als welche camoufliert man of-
fenbar aufzutreten gedachte , Anm. B. W. ] aufzunehmen , mit ihnen die verschiedenen Probleme ihrer
Heimat zu diskutieren“ ( BAK , DB 9 , E. 4 [ A3 ], Arbeitsunterlagen zum DBÖ-Tag 1964 , 4 f. ).
493 Anschaulich dokumentiert wird dies durch Schmid 2009.
494 BAK , DB 9 , E. 4 [ A1 ], Anlage 3 zur Niederschrift des ADC-Tages 1957 , 2 bzw. 3. Jenseits von gepfleg-
ten Umgangsformen setzte man auch auf die Überzeugungskraft handfesterer Argumente : Eine finan-
zielle Unterstützung der Südtiroler Hochschülerschaft würde , so die Alanen , „gerade in den maßgeblichen
Südtiroler Kreisen ungemein wirken und beste Propaganda machen“ ( ebd., 3 ).
495 BAK , DB 9 , E. 4 [ A1 ], Anlage 3 zur Niederschrift des ADC-Tages 1957 , 2.
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Untertitel
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Autor
- Bernhard Weidinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 634
- Schlagwörter
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619