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V. Burschenschaften und politische Parteien
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Von einer zufälligen bzw. den Kräfteverhältnissen der Parteien annähernd entspre-
chenden Verteilung dieser Einzelpersonen über das politische Spektrum kann freilich
nicht die Rede sein. Wenngleich die Präsenz von Burschenschaftern in Parteien jenseits
von VdU und FPÖ nicht systematisch erhoben wurde , kann doch am grundlegenden
Muster kein Zweifel herrschen. Wie Cerwinka festhält , finden sich „( i )m Gegensatz zu
Deutschland mit einer größeren Bandbreite ( … ) in Österreich Burschenschafter poli-
tisch ausschließlich oder nahezu ausschließlich in der FPÖ“.73 So stehen etwa den 47
Mitgliedern völkischer Korporationen , die im Untersuchungszeitraum der freiheitlichen
Nationalratsfraktion angehörten , ganze drei aufseiten der ÖVP und einer in den Rei-
hen der SPÖ gegenüber.74 Von den ( mindestens ) drei Alten Herren völkischer Bünde
im Nationalratsklub des Liberalen Forums waren zwei aus der FPÖ übergewechselt ,
ebenso wie die beiden Nationalratsmandatare des BZÖ mit völkischem Verbindungs-
hintergrund. Die SPÖ verzeichnete zudem mit Alfred Schachner-Blazizek einen
– ty-
pischerweise nach 1945 über den Bund Sozialistischer Akademiker ( BSA ) zur Partei ge-
stoßenen – ehemaligen Wiener Burschenschafter und NS-Gaurichter als steirischen
Landesvorsitzenden sowie mit Michael Häupl einen Wiener Landesobmann und Bür-
germeister , der einst mehr oder weniger fließend von einer Kremser Pennalverbindung
zum Verband Sozialistischer Studenten ( VSStÖ ) gewechselt war. Auch den Bürgermeis-
terposten der zweitgrößten Stadt Österreichs ( Graz ) besetzte die SPÖ zeitweilig –
nämlich 1945 bis 1960 – mit einem einstigen Korporierten , Schachner-Blazizeks vor-
maligem Bundesbruder Eduard Speck.75
73 Cerwinka 2009 , 101. Lönnecker notiert schon für die Monarchie eine „starke Verzahnung von ( Partei-)
Politik und Korporation“ als einen „grundsätzliche( n ) Unterschied gegenüber dem Reich“ ( Burschenschaft-
liche Blätter Nr. 1/2008 , 36 ). Vgl. zur größeren Vielfalt in der Parteienwahl politisch aktiver Korporierter
in Deutschland Stimmer 1997 ( Band II ), 1065 und 1067 f.
74 Es handelt sich dabei im Fall der ÖVP um den Sängerschafter Gerhart Bruckmann ( 1986 bis 1994 , 1999
bis 2002 ), den Turnerschafter Martin Bartenstein ( seit 1991 , unterbrochen durch Ministerämter ) sowie
um Rudolf Fischer ( 1971 bis 1975 ), Mitglied einer Grazer Pennalburschenschaft und einer akademischen
Ferialverbindung , der als Bürgermeister des steirischen Gleisdorf von der FPÖ zur ÖVP übergewech-
selt war ( vgl. hierzu Grillmayer 2006 , 124 ). Der Korporierte aufseiten der SPÖ war der schon als Minis-
ter erwähnte Oskar Weihs ( 1959 bis 1975 ).
75 Das ‚Biographische Lexikon der Deutschen Burschenschaft‘ führt Schachner-Blazizek und Speck als Mit-
glieder der Arminia Wien , die 1951 nicht als eigenständiger Bund , sondern im Rahmen ihrer einstigen
Mutterverbindung Libertas wiedererrichtet wurde ( vgl. Dvorak 2002 , Biographisches Lexikon I/5 , 178 f.
zu Schachner-Blazizek bzw. 462 f. zu Speck ). Beide waren offenbar aber nach 1945 nicht mehr burschen-
schaftlich organisiert. Speck sei , so Cerwinka , möglicherweise noch in der Zwischenkriegszeit ausgetre-
ten und habe jedenfalls nach dem Krieg keinen Kontakt mehr zum Bund gepflegt ( E-Mails vom 1. 12. 2012
bzw. vom 27. 11. 2012 ). Dennoch war er Ziel zahlreicher Interventionsbegehren
– mutmaßlich nicht zuletzt
aus Korporiertenkreisen. Wirth erwähnt Specks eifrigen Einsatz für die Entregistrierung von National-
sozialisten , darunter auch hohe Funktionsträger. Einschlägige Wünsche wurden offenbar in so großer
Zahl an ihn herangetragen , dass er sich bereits im Jänner 1946 veranlasst sah , beim Landesparteivorstand
um eine Klärung der Parteiposition in dieser Frage anzufragen ; er müsse Bitten um Interventionen in
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Untertitel
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Autor
- Bernhard Weidinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 634
- Schlagwörter
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619