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V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich
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Wenn nun Lindinger angibt , dass „Waffenstudenten ( … ) durchaus auch in den ande-
ren österreichischen Parteien anzutreffen“ seien , seine Aufzählung völkisch-korporierter
Politiker aber ausschließlich solche in der FPÖ verzeichnet76 , so hat dies einen simp-
len Hintergrund : Parteien außerhalb des ‚Dritten Lagers‘ vermochten die Alten Herren
weniger als politische Kader denn als Mitglieder und Vertrauensleute ( etwa in der ver-
staatlichten Industrie ) und weniger aufgrund ideologischer Übereinstimmung denn auf
der Basis beidseitiger pragmatischer Interessenabwägung zu rekrutieren. „Nun mußten
manche mit den [ sic ] weltanschaulichen Gegner zur Rettung ihrer Familien Bindun-
gen eingehen , die sich bis heute noch ungünstig auswirken“, vermerkt der Wiener Ale-
manne Gärtner 1962 mit Blick auf die Nachkriegszeit ( und ohne weitere Erläuterung ).77
Friedrich Peter berichtet – ohne konkrete Beispiele zu nennen – von vielen Fällen be-
ruflich motivierter Einlassung von Angehörigen des völkischen Vereinswesens ( dem
neben den Verbindungen u. a. Turnvereine und ‚Volksdeutschen‘-Organisationen zuzu-
rechnen sind ) mit den Großparteien und ihren Vorfeld- bzw. Teilorganisationen , etwa
dem ÖVP-Wirtschaftsbund.78 Auch Scheichl bekundet im Interview , es habe immer
Burschenschafter gegeben , die sich aus verschiedenen Gründen etwa dem BSA ange-
schlossen hätten oder in ihrem jeweiligen Berufsfeld „in ÖVP-Nähe geraten“ seien.79
Zukunft ablehnen , „da es sonst so aussähe , als wäre er persönlich ein Verteidiger der Nationalsozialis-
ten“ ( Sottopietra/Wirth 2005a , 109 ). Schachner-Blazizek war seinen Arminen nach Auskunft Wolfgang
Ebners ( dessen Marcho Teutonia Graz der SPÖ-Politiker vor dem Zweiten Weltkrieg ebenfalls angehört
hatte ) nach 1945 durchaus aufgeschlossen , sei letztlich aber „wegen verschiedener Anfeindungen hin-
sichtlich seiner neuen Parteizugehörigkeit“ auf Abstand gegangen ( E-Mail vom 3. 12. 2012 ). Für die Gra-
zer Marchen hatte er dem Vernehmen nach noch als Landeshauptmann-Stellvertreter „ ‚ein offenes Ohr‘ “
( E-Mail von Günter Cerwinka vom 27. 11. 2012 ).
76 Lindinger 2009 , 71 bzw. 72 f.
77 Alemannia 1962 , 22. Grillmayer ( 2006 , 98 f. ) weist seinerseits darauf hin , dass in den wiederbelebten völ-
kischen Vereinen zunächst „Parteipolitik“ generell eine „eher geringe Rolle“ gespielt habe
– und begrün-
det dies auch damit , dass „nicht wenige Turngeschwister oder Bundesbrüder inzwischen verdeckt oder
auch offen Parteigänger von ÖVP oder SPÖ“ geworden seien.
78 Vgl. Peter 1998 , 141 und 143.
79 Interview vom 8. 6. 2012 ; ähnlich Frischenschlager im Interview vom 11. 12. 2009. Dem VdU-Gründer Her-
bert Kraus zufolge hätten die „ ‚Altnationalen‘ “ sich wie folgt aufgeteilt : „Unternehmer und andere Be-
sitzende zur ÖVP , Manager ( vor allem aus den Reihen der Burschenschaften ) zur SPÖ , die dringend
Akademiker für die ihr zustehenden ‚Proporz-Posten‘ brauchte“ ( Kraus 1988 , 205 f. ; vgl. auch ebd., 269 ).
Das Phänomen von Eintritten in den BSA nahm offenbar hinreichende Ausmaße an , um dessen Bun-
desausschuss 1950 die Frage des Umgangs mit den Alten Herren erörtern zu lassen. Als Ergebnis einer
„lebhafte( n ) und scharfe( n ) Diskussion“ vermerkt das Protokoll , dass eine gleichzeitige Mitgliedschaft
in einer völkischen Verbindung und im BSA ausgeschlossen sei , ehemaligen Verbindungsmitgliedern
aber , die sich „ehrlich zu uns bekennen“, sowohl eine „freundliche Aufnahme“ als auch „scharfe und wa-
che Aufmerksamkeit“ zuteilwerden solle ( Protokoll der Bundesausschusssitzung des BSA vom 5. 3. 1950 ,
2 ; im BSA-Archiv gesichtet und zur Verfügung gestellt von Peter Schwarz ). Vgl. zur Thematik der Inte-
gration von NationalsozialistInnen durch den BSA das Standardwerk von Neugebauer/Schwarz 2005.
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Untertitel
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Autor
- Bernhard Weidinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 634
- Schlagwörter
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619