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V.4 Programmatik und Policy-Ebene
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einstmaligen Bediensteten am ‚Institut für Erbbiologie und Rassenhygiene‘ der Uni-
versität Innsbruck.269
Auch in der Europapolitik ließen Korporierte in der FPÖ ( wie außerhalb von ihr
–
vgl. Kapitel III.7.1 ) sich nicht zuletzt von völkischen Erwägungen leiten. Bereits Grün-
dungsparteiobmann und Landsmannschafter Reinthaller gab die Richtung vor , indem
er eine „Ausweitung“ des „nationale( n ) Gedanke( ns ) ( … ) auf das Europäische“ propa-
gierte. „Zwischen den Weltmächten vermögen die europäischen Völker nur zu beste-
hen , wenn sie sich zusammenschließen.“270 Über diese Perspektive eines europäischen
Befreiungsnationalismus hinaus wurde eine europäische Orientierung von völkischen
Ideologen als Möglichkeit gesehen , die Bedeutung staatlicher Grenzen ab- , jene völ-
kischer Trennlinien aber aufzuwerten und so verlorene deutsche Größe wiederherzu-
stellen. In den pro-europäischen Aussagen diverser freiheitlicher Spitzenpolitiker sieht
Grillmayer die Erkenntnis reflektiert , dass „das ursprüngliche Ziel nationaler Politik“,
nämlich die Herstellung einer Deckung von Staats- und Kulturnation , „zumindest in
und für Österreich bedeutungslos geworden ist und nur durch die Erweiterung auf die
europäische Ebene wieder Aktualität gewinnen kann“.271 Die europäische Vision sollte
nationale Zielsetzungen also nicht ablösen , sondern sie vielmehr in eine salonfähigere
Form und so trotz ungünstiger Bedingungen doch noch zur Realisierung bringen. So
wird auch verständlich , weshalb für den Burschenschafter und freiheitlichen Europa-
pionier Mahnert die europäische Einigung „unlösbar mit nationaler Politik verbunden“
war.272 In einem vom Bundesvorstand einstimmig angenommenen und am Parteitag
1962 präsentierten Positionspapier geißelte Mahnert die Idee der österreichischen Na-
tion als „Missachtung der europäischen Aufgabe“, da sie mit dem Deutschnationalis-
mus auch den Gedanken eines vereinten Europas der Völker verwerfe , und propagierte
eine „national-europäische Synthese“ als Alternative zur räumlichen Deckungsgleich-
heit von Volk und Staat. Konnte Letztere nicht realisiert werden , sollten die Staats-
grenzen zumindest an Bedeutung verlieren : „Die Sicherung des Bestandes des Volkes
kann nur noch im großen Raum erfolgen“, wobei eine möglichst umfassende Entfal-
tung der „Eigenart des einzelnen Bausteines“ anzustreben sei.273
269 Scrinzi 1991 , 42 bzw. Scrinzi 2003 , 72 f.
270 Wiedergegeben in FPÖ 1991 , 22.
271 Grillmayer 2006 , 155. Vgl. dazu explizit Mahnert ( 1991 , 32 ): „Das Ziel nationaler Politik kann ( … ) nur
erreicht werden in einem Vereinigten Europa !“
272 Mahnert 1991 , 31. Bereits in den US-Internierungslagern hätten er und andere Nationalsozialisten da-
rüber räsoniert , ob bzw. wie es für das deutsche Volk „nach dem tiefen Sturz wieder einen Weg nach
oben geben könne“. Die Lösung wurde darin erkannt , das deutsche Volk von einer Bedrohung zu ei-
nem Partner der anderen europäischen Völker zu machen. Hierin liege die Wurzel der „Europa-Eu-
phorie“ in der Gründungsphase der FPÖ ( ebd., 31 f. ).
273 Ebd., 32. Die von Mahnert angedachte Synthese fand als „Zusammenwirken von nationalem und euro-
päischem Denken“ auch Eingang in das ‚Salzburger Bekenntnis‘ der FPÖ von 1964 ( zit. n. Reiter 1982 ,
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Untertitel
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Autor
- Bernhard Weidinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 634
- Schlagwörter
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619