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V. Burschenschaften und politische Parteien
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auch hatte die SPÖ aufgrund ihrer stärker proletarischen Rekrutierungsbasis schon
vor dem Krieg ein schmaleres Reservoir an akademisch gebildeten Kadern aufgewie-
sen.289 Auch vor diesem Hintergrund wechselten völkische Korporierte in größerer
Zahl zu sozial demokratischen Organisationen , was – wie opportunistisch auch im-
mer motiviert – im Ergebnis doch entsprechende Bindungen auf zumindest persön-
licher Ebene erzeugt bzw. verstärkt haben dürfte.
In Summe erscheint es plausibel davon auszugehen , dass eine Mischung poli-
tisch-ideologischer , historischer und opportunistischer Motive eine gewisse Tendenz
der völkischen Korporierten zur SPÖ begründete. Diese Tendenz ortet für die Burschen-
schaften auch Scheichl. Dass sie über Jahrzehnte hinweg vorgeherrscht habe , obwohl die
meisten eine größere programmatische Nähe zur ÖVP ( u. a. in Wirtschafts belangen )
geortet hätten , führt er auf die zugleich auch größeren „emotionalen Vorbehalte“ gegen
diese zurück. Neben dem antiklerikalen Erbe der Freiheitlichen verweist er auch auf
mangelnde Pakttreue , die die ÖVP nach 1945 gegenüber der FPÖ wiederholt an den
Tag gelegt habe , während die SPÖ sich als vergleichsweise verlässlich erwiesen habe.290
Die vermutete Tendenz völkischer Korporierter zur SPÖ lässt sich jedenfalls an Ein-
zelfällen schon für die Ära des VdU nachweisen. Die von dessen Parteispitze mehrheit-
lich getragene Orientierung auf die ÖVP im Sinne einer „ ‚nichtmarxistische( n ) Mehr-
heit‘ “291 wurde Grillmayer zufolge parteiintern vom Burschenschafter Stüber sabotiert ,
„der als begeisterter Oppositioneller von Anfang an ‚dagegen‘ war“ und während der Ver-
handlungen um eine Dreier-Koalition 1953 „auffällig gute Kontakte zur SPÖ“ gepflegt
habe292. Stüber selbst ortet in seiner Autobiographie ein Naheverhältnis von SPÖ und
VdU in puncto sozialer Anliegen sowie aufgrund der einstigen „ ‚Häfen‘-Kameradschaft“
von Mitgliedern beider Parteien im Ständestaat.293 Zu einer spürbaren Annäherung der
289 Vgl. Mesner 2005a , 338–340 und 2005b , 74. Generell zur Haltung der SPÖ zur Entnazifizierung und
ihrer Praxis der Aufnahme von Nationalsozialisten ( einschließlich der Rekrutierung selbiger als Funk-
tionsträger ) vgl. Mesner 2005a ; speziell zum BSA vgl. erneut Neugebauer/Schwarz 2005 ; ferner Grill-
mayer 2006 , 66.
290 Interview mit Scheichl vom 8. 6. 2012. Auch Frischenschlager weist auf die Bedeutung mehrmaliger Wort-
brüche von ÖVP-Seite hin. V. a. die Nicht-Einhaltung einer von den steirischen Landesparteien einge-
fädelten Koalitionsabsprache für den Bund 1962 durch Alfons Gorbach habe lange nachgewirkt ( Inter-
view vom 24. 2. 2010 ). Als Beispiel für die Haltbarkeit von Zusagen der SPÖ ist etwa auf die Umsetzung
der FPÖ-freundlichen Wahlrechtsreform durch Bruno Kreisky zu verweisen ( vgl. Grillmayer 2006 , 122 ).
Diese war laut Grillmayer zwar schon von Franz Olah angedacht und bereits 1964 paktiert worden ( vgl.
ebd., 107 f. ), doch hatte die ÖVP Zeillinger ( 1991 , 29 ) zufolge eine entsprechende Zusage bereits im Rah-
men der gemeinsamen Bundespräsidentschaftskandidatur 1957 gegeben , letztlich aber nicht eingehalten.
291 Kraus 1988 , 199.
292 Grillmayer 2006 , 82 f. ( Zitat : 83 ). Zur ÖVP-Nähe der VdU-Führung um Herbert Kraus vgl. dessen Au-
tobiographie : Kraus 1988 , 196 sowie ferner 299.
293 Stüber 1974 , 96 ( Zitat ) und 176. Der Vorwurf , Stüber habe eigenmächtig und ohne Einbindung der zu-
ständigen Gremien Verhandlungen mit der SPÖ geführt , trug 1953 zu seinem Parteiausschluss bei. In
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Untertitel
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Autor
- Bernhard Weidinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 634
- Schlagwörter
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619