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V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen
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erreicht. Der Regierungseintritt wurde im Parteivorstand einstimmig beschlossen und
fand Scheichl zufolge auch in burschenschaftlichen Kreisen die emotionale Akzeptanz
von „relativ viele( n ) Leute( n )“, obwohl Steger den meisten Burschenschaftern als „viel
zu liberal“ erschienen sei. Die SPÖ-Option sei jedenfalls „vielen weit sympathischer“
gewesen als das ÖVP-Ticket.305
Wie im vorangegangenen Abschnitt erörtert , sollte diese positive Einstellung der
freiheitlichen Regierungsbeteiligung gegenüber sich als brüchig erweisen und einem
Unmut Platz machen , der die Ablösung Stegers als Parteiobmann herbeiführte. Infolge
des Obmannwechsels zu Haider und des von diesem alsbald eingeschlagenen Rechts-
und Oppositionskurses rückte die Frage von Koalitionspräferenzen in den Folge jahren
in den Hintergrund. Wenngleich beide Großparteien sich unter dem Druck der Wahl-
ergebnisse inhaltlich freiheitlichen Forderungen öffneten , ließen die verhältnismäßig
eindeutigen Festlegungen der SPÖ gegen eine Koalition mit der ‚Haider-FPÖ‘ die ÖVP
nunmehr als logischeren Partner erscheinen. Diese Erkenntnis ließ manche Korporierte
in der Haider-Ära eine Annäherung an rechtskatholische Kreise versuchen , die für eine
konservative Zweckallianz gewonnen werden sollten. Die Avancen , als deren zentrale
Akteure Andreas Mölzer und die Aula unter Herwig Nachtmann benannt werden kön-
nen306 , riefen allerdings weder bei ihren Adressaten noch im eigenen Lager positive
Resonanz in nennenswertem Ausmaß hervor. Auch der in Abschnitt V.4.1 erwähnte
Vorstoß Ewald Stadlers , die FPÖ mit dem neuen Parteiprogramm von 1997 als Bun-
desgenossin eines ‚wehrhaften‘ Christentums zu repositionieren , stieß in den eigenen
Reihen – und gerade unter Korporierten – auf teilweise heftigen Widerstand , lieferte
aber Ansatzpunkte , an welche die FPÖ unter Strache im Zuge ihrer antimuslimischen
Offensive andocken sollte. Trotz solcher Vorarbeiten und relativer Alternativ losigkeit
war die schließlich 2000 von den Freiheitlichen eingegangene Koalition mit der ÖVP
nach Einschätzung Scheichls im burschenschaftlichen Parteivorfeld nur vermittelbar ,
weil im Umfeld des ÖVP-Obmannes und nunmehrigen Bundeskanzlers Schüssel „der
CV keine große Rolle gespielt hat“.307 War der Gegenwind , auf den die Regierung im
In- und Ausland traf , noch dazu angetan , Freiheitliche und Christkonservative zusam-
menzuschweißen , so erschütterten die Ereignisse von 2002 die Vertrauensbasis zwi-
schen beiden erneut schwer : Erst nährten die Turbulenzen in der FPÖ rund um den
305 Interview vom 8. 6. 2012. Zur anfänglichen Breite der innerparteilichen Unterstützung für die Steger-Sino-
watz-Koalition vgl. Steger 1991 , 64 ( zum Parteivorstandsbeschluss ebd., 67 ).
306 Vgl. insbesondere die gezielt u. a. an ÖCV-Bünde versandte Aula Nr. 10 / 1992 ( „Das Kreuz mit der Kir-
che. Drittes Lager und Katholizismus“ ).
307 Interview vom 8. 6. 2012. Vgl. zur ÖCV-internen Stimmung gegenüber einer Koalition mit der FPÖ und
zur blau-schwarz-orangen Koalitionszeit als ( bis zur Übernahme der ÖVP-Obmannschaft durch Mi-
chael Spindelegger fortwirkenden ) Schwächephase der katholischen Korporierten innerhalb der ÖVP
auch Magenschab 2011 , 286 f.
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Untertitel
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Autor
- Bernhard Weidinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 634
- Schlagwörter
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619