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VI.2 Zur burschenschaftlichen Politikfähigkeit
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beschneidet unter den gegebenen Bedingungen somit nicht nur das Wachstumspoten-
zial der FPÖ , sondern auch deren Optionen für politische Kooperationen.32
Ein weiteres Problem für die Vermittelbarkeit von Burschenschafter-Politikern gegen-
über breiteren Bevölkerungsschichten ergibt sich aus dem burschenschaftlichen Elita-
rismus. So sehr man beansprucht , ‚dem Volk‘ seine weise Führung angedeihen zu las-
sen , so wenig entspricht es dem burschenschaftlichen Selbstverständnis , um die Gunst
einer Masse werben zu müssen , die weder die akademische Bildung des Burschenschaf-
ters aufweist noch sich wie er einem strengen Ehrenkodex verpflichtet sieht. Diesen
Menschen die Berufenheit des Burschenschafters einsichtig machen zu müssen , wie
es das demokratische Prozedere erfordert , mochte manchem Burschenschafter ebenso
als Zumutung erscheinen wie die Auseinandersetzung mit Vertretern dieser Schich-
ten in den Reihen der ‚eigenen‘ Partei. Zumindest glaubt Scheichl , die Burschenschaf-
ter hätten sich in der „elitären , kleinen FPÖ“ vor Haider , der Partei der Honoratioren ,
„ganz wohl gefühlt“, deren Anwachsen zur „Massenpartei“ unter Haider und erneut
unter Strache aber – trotz freudiger Zurkenntnisnahme des damit verbundenen Rele-
vanzgewinns – reserviert zur Kenntnis genommen.33 Wenngleich der relative partei-
interne Bedeutungsverlust der Burschenschafter in Wachstumsphasen dabei sicherlich
eine wesentliche Rolle spielte ( vgl. die Kapitel V.1 und V.3.2 ), erscheint es naheliegend ,
die von Scheichl konstatierte Entfremdung zwischen Burschenschaften und FPÖ auch
mit der für die entsprechenden Perioden charakteristischen Orientierung der Partei
auf den ‚kleinen Mann‘ und dessen verstärktem Eindringen in die Ränge der Partei in
Verbindung zu bringen.
Wie schon der völkische Nationalismus , so weist auch der Elitarismus neben der Frage
seiner Massengängigkeit bzw. Vermittelbarkeit eine demokratietheoretische Problem-
dimension auf. Sichtbar machen dies die Äußerungen der Geringschätzung der als he-
donistisch und materialistisch wahrgenommenen ‚Masse‘ bzw. der österreichischen Ge-
sellschaft der Zweiten Republik , die burschenschaftliche Quellen durchziehen ( vgl. dazu
die Kapitel III.6.2 f. ). Gekrönt wurden solche im Modus des Missfallens vorgetragenen
32 Die Begrenzung der Kooperationsfähigkeit erfolgt( e ) dabei historisch nicht nur in Form der Abwendung
des Gegenübers , sondern auch in Form burschenschaftlicher Selbstbeschränkung. Illustrieren lässt sich
dieser Umstand etwa anhand der Südtirolfrage. Zwar kam es hier bisweilen zur Zusammenarbeit von
deutschnationalen und katholisch-konservativen Kräften ; nicht selten jedoch scheiterten sie oder wurden
von burschenschaftlicher Seite von vornherein verweigert , weil die katholischen Kräfte das Südtirolpro-
blem nicht unter großdeutschen Vorzeichen zu lesen bereit waren. Bezeichnend für diese Haltung ist die
Stellungnahme des DBÖ-Volkstumsreferenten Heinz Hauffe ( Brixia ) von 1961 , wonach jeder , der den
deutschen Charakter Südtirols leugne ( und somit etwa auch die damalige österreichische Bundesregie-
rung ), „jegliche Berechtigung“ verliere , „für Südtirol einzutreten“ ( BAK , DB 9 , E. 4 [ A2 ], Anlage 2/6
zur Niederschrift des ord. DBÖ-Tages 1961 , 2 ). Vgl. ferner den Tätigkeitsbericht des Volkstumsreferen-
ten von 1960 , Anlage 2/6 zum Protokoll des DBÖ-Tages 1960 , 1 ( selber Bestand ) sowie Kapitel IV.3.4.
33 Interview vom 8. 6. 2012.
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Untertitel
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Autor
- Bernhard Weidinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 634
- Schlagwörter
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619