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VI.2 Zur burschenschaftlichen Politikfähigkeit
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gang von der Macht- zur Kulturorientierung beschrieben werden kann.37 Es handelte
sich dabei um einen Versuch , dem eigenen Bedeutungsverlust als eigenständige politi-
sche Akteure Rechnung zu tragen und ihn gewissermaßen affirmativ zu wenden : Wenn
man schon von der Sphäre unmittelbarer politischer Macht ausgeschlossen bzw. nicht
bereit war , den ideologischen Eintrittspreis zu erlegen , so definierte man eben eine
neue Aufgabenstellung jenseits dieser Sphäre – jene zu metapolitischer Tätigkeit , die
neben dem fortgesetzten machtorientierten Engagement von Einzelpersonen in po-
litischen Parteien einen Schwerpunkt burschenschaftlicher politischer Aktivität nach
1945 bilden sollte ( vgl. Kapitel IV.2 ). Die Unterscheidung Raschkes wurde sinngemäß
mitunter auch von Burschenschaftern selbst getroffen. So ortete ein Alter Herr 1964 in
einer internen Diskussion der Innsbrucker Germanen über die politische Ausrichtung
des Bundes „2 Möglichkeiten der politischen Betätigung“, nämlich „Tagespolitik oder
Zielpolitik“. Die DBÖ erstrebe dabei seinem Eindruck nach „ein völkisches Denken
und eine völkische Erneuerung unter Zurückstellung des Parteipolitischen“.38
Während angesichts knapper personeller Ressourcen eine entsprechende Prioritä-
tenbildung unabdingbar war , wurde der Übergang zur Kulturorientierung weder im
Sinne einer vollständigen Ablösung noch im Sinne einer unumkehrbaren Richtungs-
entscheidung vollzogen. Ebenso wie Burschenschaften schon im 19. Jahrhundert um-
fangreiche kulturelle Aktivitäten in Österreich entfalteten39 , haben sie auch die Macht-
schen Deutschnationalismus über eine gewisse Tradition verfüge und verweist auf historische Organisa-
tionen wie den Bund der letzten Germanen in den 1870er-Jahren oder den Verein der letzten Schönerianer
nach Ende des Ersten Weltkriegs. Auch wenn Berka den Deutschnationalismus freilich nicht für über-
holt , sondern für ( im Sinne des Verzichts auf staatliche ‚Einheit‘ ) aktualisierungsbedürftig hält , schätzt
er die eigene Position als dauerhaft minoritäre ein : Selbst bei „noch so kühnen Hoffnungen in die künf-
tige politische Entwicklung in Österreich“ bleibe es unveränderliches Faktum , „daß im Lager der soge-
nannten nationalfreiheitlichen Gruppe höchstens 10 bis 20 % der österreichischen Bevölkerung stehen
werden“ ( PBW , Berka 1964 , 7 f. ).
37 Raschke ( 1986 , 110 ) unterscheidet politische Bewegungen ( u. a. ) nach dem „zentral( n ) Medium ihrer Ziel-
verfolgung“. Während machtorientierte Bewegungen ihr Streben v. a. auf die „Erringung staatlich-politi-
scher Macht“ oder von „Konzessionen seitens politischer Machthaber“ richteten ( ebd., 111 )
– also auf die
von mir in Kapitel I.2 als politische gefasste Sphäre – , zielten kultur- bzw. wertorientierte Bewegungen
auf den „soziokulturellen Bereich“ als Bereich der „wert- und normorientierte( n ) Lebensgestaltung und
Sinngebung auf einer bestimmten materiellen Reproduktionsgrundlage“. Erstrebt wird in letztgenann-
tem Fall eine „Änderung des Individuums und der sozialen Beziehungen , von denen häufig angenommen
wird , daß sie auf Staat und Wirtschaft ausstrahlen könnten“ ( ebd., 112 f. ). Erfolg bestehe für kulturorien-
tierte Bewegungen in der Herbeiführung eines „Wertewandel( s ) und darauf gründende( r ) veränderte( r )
Lebenspraxis“ ( ebd., 112 ). Dies entspricht dem metapolitischen Ansatz , wie er in Kapitel I.2 konzeptuell
beschrieben wurde.
38 Paraphrasiert in den Germanenmitteilungen vom Februar 1964 , 5.
39 Dies insbesondere im Rahmen ihrer auf Erhalt und Förderung ‚deutscher Kultur‘ und Sprache abzielen-
den ‚Grenzlandarbeit‘ ( vgl. Kapitel IV.1.2 ). Zur Analyse burschenschaftlicher Frühgeschichte in Deutsch-
land unter dem Paradigma der ‚( Gegen-)Kultur‘ vgl. Oergel ( 2003 ), welche die Burschenschaften als „if
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Untertitel
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Autor
- Bernhard Weidinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 634
- Schlagwörter
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619