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VI. Abschließende Überlegungen
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orientierung nach 1945 nicht gänzlich abgelegt , wie etwa die zahlreichen Resolutionen
burschenschaftlicher Dachverbände an Regierungsstellen zeigen. Vielmehr gewann Po-
litik im engeren und engsten Sinn mit dem innenpolitischen Bedeutungsgewinn der
FPÖ , der noch in den 1980er-Jahren in diesem Ausmaß kaum vorstellbar erschienen war ,
wieder deutlich an Attraktivität. Angesichts der plötzlich sehr realistisch erscheinenden
Perspektive von Burschenschaftern in Regierungsämtern erschienen die ‚neurechten‘
Projekte von Metapolitik und Wertewandel nunmehr als unnötiger Umweg zur Macht.
Grundsätzlich entspricht die Machtorientierung dem auf elitärer Selbstwahrneh-
mung fußenden burschenschaftlichen Anspruch , zu führen. Insofern erscheint es para-
dox , dass Burschenschafter auch als Parteifunktionäre nach 1945 oft ihre grundsätzliche
Oppositionsneigung beibehielten , zustande gekommene Regierungsbeteiligungen der
FPÖ torpedierten bzw. Tendenzen der Partei zum Gang in die bzw. zum Verbleib in
der Opposition nicht unmaßgeblich mit verantworteten ( vgl. die Kapitel V.3 und V.5 ).
Die Gründe dafür waren durchaus unterschiedlich. Zunächst war es , wie im nachfol-
gend beschriebenen Fall des Fritz Stüber ( erst Vandalia , später Gothia Wien ) aus den
1950er-Jahren , v. a. die zuvor beschriebene Sichtweise , dass jegliches Arrangement mit
dem nach Kriegsende errichteten politischen System ( d. h. jedes Arrangement , dass
über die Akzeptanz von Demokratie als Form hinausging ) einem Verrat an der ‚frei-
heitlichen‘ Sache gleichkomme. So kritisierte Stüber nach seinem Ausschluss aus dem
FPÖ-Vorläufer VdU selbigen dafür , seiner Aufgabe
– „dem kompromisslosen Kampf( )
gegen das Proporzsystem der Koalitionsparteien“ – nicht gerecht geworden zu sein ,
sondern sich seit 1953 „allzu eifrig bemüht“ zu haben , „Frieden mit dieser Koalition
und insbesonders mit der Ö. V. P. zu machen“. Entgegen dem von ihm konstatierten
Drang der VdU-Führung zur Regierungsverantwortung wollte Stüber das ‚Dritte La-
ger‘ grundsätzlich auf eine Oppositionsrolle festgelegt sehen. Die „Kompromiß losen“
unter den ‚nationalen‘ Wählern , als deren Fürsprecher Stüber sich verstand , lehnten es
ab , „auf dem Umwege über eine sogenannte ‚dritte Kraft‘ doch wieder vor den Kar-
ren des Koalitionssystems gespannt zu werden“.40 Bemerkenswert ist allerdings , dass
Stüber mit seinem kompromisslosen Kurs sowohl im VdU als auch mit seinen eigenen
Nachfolgeprojekten FSÖ und DNAP Schiffbruch erlitt. Gleiches gilt für spätere An-
only initially , a progressive counter-cultural force“ einstuft – nicht ohne auf schon in dieser Frühphase
feststellbare Ambivalenzen hinzuweisen ( ebd., 61 ).
40 Burschenschaftliche Blätter Nr. 4 / 1954 , 104 f. Diesen Kurs hatte Stüber bereits als VdU-Funktionär vertre-
ten
– jedenfalls gegenüber der ÖVP. Als Julius Raab nach den Nationalratswahlen 1953 den VdU zu Ge-
sprächen lud , habe Stüber sich geweigert , an diesen teilzunehmen. Sein Widerstand gegen die Annähe-
rung an die ÖVP habe letztlich auch seinen Parteiausschluss bewirkt , so die FPÖ-Parteizeitung in einer
späten Würdigung , der sie ein Zitat aus einer Stüber-Rede beischloss : „Niemals werden wir Unabhän-
gigen uns dazu hergeben , um einen [ sic ] bankrotten System aus der Patsche zu helfen“ ( Neue Freie Zei-
tung vom 24. 6. 1998 , 16 ).
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Untertitel
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Autor
- Bernhard Weidinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 634
- Schlagwörter
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619