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1. Einleitung
16 1.2 Der Wiener Kreis
1.2.1 Die nichtöffentliche Phase und der Kern des Zirkels
Die Konstituierung um Hans Hahn ( 1918–1924 ): Der Mathematiker Hans Hahn ( 1879–1934 )
hatte sich bereits in den Jahren 1907 bis 1912 mit dem Physiker Philipp Frank ( 1884–1966 ),
dem Ökonomen Otto Neurath ( 1882–1945 ) und dem Techniker und angewandten Mathe-
matiker Richard von Mises ( 1883–1953 ) im Kaffeehaus getroffen , um Grundlagenprobleme
der modernen Mathematik und Naturwissenschaften zu diskutieren , wobei die besproche-
ne Themenpalette keineswegs darauf beschränkt blieb. Debattiert wurde beispielsweise auch
ĂĽber Thomistische Philosophie , Altes und Neues Testament , den jĂĽdischen Talmud , den hl.
Augustinus oder die Scholastiker. ( Frank 1949 , 1 ) FĂĽr diesen frĂĽhen Zirkel ist mittlerweile
die Rede vom Ersten Wiener Kreis geläufig , wie ihn Rudolf Haller nannte. ( Haller 1985 und
1993 , auch Stadler 1997a , 69 und Uebel 2000 ) Es war schlieĂźlich Hahn , der sich 1922 maĂź-
geblich für die Berufung des deutschen Philosophen und Physikers Moritz Schlick ( 1882–
1936 ), der gerade von Rostock nach Kiel gewechselt hatte , nach Wien einsetzte.
Die Institutionalisierung ( 1924–1929 ): Im Jahre 1922 kam Schlick nach Wien. Ab dem
Wintersemester 1924/25 bildete sich um ihn in Fortsetzung eines Seminars ein Diskussi-
onszirkel. Dieser traf sich an Donnerstagen zunächst einige Jahre in der Privatwohnung
Schlicks , später in der Boltzmanngasse in einem Saal des neuen Physikalischen Instituts.
Auf Vorschlag Hahns wurde in den ersten Jahren Wittgensteins Tractatus logico-philosophi-
cus ( Wittgenstein 1922 ) Satz fĂĽr Satz studiert. Von Anfang an mit dabei waren neben Neu-
rath , Hahn und Schlick auch die Mathematikerin Olga Hahn-Neurath ( 1882–1937 ) und der
Philosoph Victor Kraft ( 1880–1975 ). Kraft war neben dem Soziologen und Methodologen
Felix Kaufmann ( 1895–1949 ) der einzige Vertreter der sogenannten Geisteswissenschaften
im Kreise. Der Philosoph und Physiker Rudolf Carnap ( 1891–1970 ) war 1925 zunächst für
kurze Zeit in Wien , um in diesem Schlick-Zirkel eine erste Fassung seiner Schrift Der logi-
sche Aufbau der Welt ( Carnap 1928a ) zu diskutieren. Vom Herbst 1926 bis 1931 war er schlieĂź-
lich regelmäßiger Teilnehmer des Kreises. 1927 stieß nach seiner Rückkehr aus Amsterdam
auch der Mathematiker Karl Menger ( 1902–1985 ) dazu. Zu den weiteren Mitgliedern im
Zentrum des Kreises zählen ( in alphabetischer Reihenfolge und Stadler 1997a folgend ):
Gustav Bergmann ( 1906–1987 ; Mathematik , Physik , Philosophie , Psychologie ), Herbert
Feigl ( 1902–1988 ; Mathematik , Physik , Philosophie ), Kurt Gödel ( 1906–1978 ; Mathema-
tik , Physik ), Béla Juhos ( 1901–1971 ; Mathematik , Physik , Philosophie ), Rose Rand ( 1903–
1980 ; Philosophie , Logik ), Josef Schächter ( 1901–1995 ; Philosophie , Judaistik ), Olga Taus-
sky-Todd ( 1906–1995 ; Mathematik ), Friedrich Waismann ( 1896–1959 ; Mathematik , Physik ,
Philosophie ) und Edgar Zilsel ( 1891–1944 ; Philosophie , Mathematik , Physik ).
Diese Treffen des Schlick-Zirkels fanden zwei- bis dreimal pro Monat mit durch-
schnittlich zwanzig Teilnehmerinnen und Teilnehmern statt. Die regelmäßig Teilnehmen-
den lagen nicht nur nach beruflicher Stellung , sondern auch hinsichtlich ihres Alters weit
auseinander : Die ältere Generation war um 1880 geboren ( Neurath , Frank , Hahn , Hahn-
Ethik und Moral im Wiener Kreis
Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Ethik und Moral im Wiener Kreis
- Untertitel
- Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
- Autor
- Annemarie Siegetsleitner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79533-9
- Abmessungen
- 16.9 x 23.9 cm
- Seiten
- 450
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 13
- 2. Terminologische Klärungen 37
- 3. Moral und Ethik im Wiener Kreis und die Standardauffassung logisch- empiristischer Ethik 52
- 4. Das kulturelle Umfeld des politischen und moralischen Engagements 67
- 5. Rudolf Carnap : Individualistischer Dezisionismus und wissenschaftlicher Humanismus 89
- 5.1 Einleitung 89
- 5.2 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik vor der Wiener-Kreis-Periode 92
- 5.3 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik in der Wiener-Kreis-Periode 111
- 5.3.1 Der logische Aufbau der Welt ( 1928a ) und die Konstitution von Werten 111
- 5.3.2 Scheinprobleme in der Philosophie ( 1928b ) 120
- 5.3.3 „Wissenschaft und Leben“ ( 1929b ) 123
- 5.3.4 „Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache“ ( 1931/32 ) 129
- 5.3.5 „Theoretische Fragen und praktische Entscheidungen“ ( 1934a ) 133
- 5.3.6 Philosophy and Logical Syntax ( 1935 ) 136
- 5. 3. 7 Carnaps moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 138
- 5.3.8 Carnaps individualistischer Dezisionismus und die Lebenspraxis 141
- 5.3.9 Möglichkeiten und Grenzen der Ethik 148
- 5.4 Spätphase : Optative 149
- 5.5 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 160
- 6. Karl Menger : Mathematische Modelle für ein verträgliches Zusammenleben 163
- 6.1 Einleitung 163
- 6.2 Mengers Logik der Sitten 168
- 6.3 Mengers Moralauffassung 177
- 6.3.1 Moral 1. und 2. Stufe , Basismoralen 177
- 6.3.2 Sinn und Zweck der / einer Moral 177
- 6.3.3 Kritik am Kategorischen Imperativ 179
- 6.3.4 Mengers Konzeption der Moralsprache : Semantischer Nonkognitivismus 180
- 6.3.5 Moralische Erkenntnis : Fundamentaler Nonkognitivismus und systemimmanenter Kognitivismus 182
- 6.4 Mengers Ethikverständnis 186
- 6.5 Menger und die Angewandte Ethik 193
- 6.6 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 194
- 7. Otto Neurath : Moral auf der Grundlage gemeinsam beschlossener humanistischer Lebensgrundsätze und Ethik in der Einheitswissenschaft 196
- 8. Philipp Frank : Pragmatische Ethik und relativierte Moral 251
- 9. Moritz Schlick : Eudämonistische Ethik als Weisheitslehre 265
- 10. Victor Kraft : Zwei-Komponenten-Kognitivismus und rationale MoralbegrĂĽndung 332
- 10.1 Einleitung 332
- 10.2 Krafts moralische und ethische Auffassungen in der Wiener-Kreis-Periode 337
- 10.3 Krafts moralische und ethische Auffassungen nach der Wiener-Kreis-Periode 371
- 10.3.1 MoralbegrĂĽndung auf Grundlage der Kultur : Die Grundlagen einer wissenschaftlichen Wertlehre , 2. Auflage ( 1951 ) 371
- 10.3.2 MoralbegrĂĽndung auf Grundlage natĂĽrlicher Ziele : Rationale MoralbegrĂĽndung ( 1963 ) 374
- 10.3.3 Moralbegründung auf der Grundlage primärer Strebensziele : Die Grundlagen der Erkenntnis und der Moral ( 1968 ) 377
- 10.4 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 383
- 11. Herbert Feigl : Pragmatische MoralbegrĂĽndung 387
- 12. Systematische Zusammenfassung und allgemeine Schlussbemerkungen 402
- 12.1 Mangelndes Interesse an Moral als Menschen und BĂĽrgerinnen oder BĂĽrger 402
- 12.2 Geteilte moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 403
- 12.3 Differenzierungen in den Moralkonzeptionen 404
- 12.4 Differenzierungen in den Ethikkonzeptionen 409
- 12.5 Ausblick auf zukĂĽnftige Forschung 412
- 12.6 Allgemeine Schlussbemerkungen 413
- Literatur 417
- AbkĂĽrzungen 440
- Bildquellennachweis 440
- Personenregister 441