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2. Terminologische Klärungen
50 Damit steht in gemeinschaftlichen Moralen ein intersubjektives Entscheidungskrite-
rium zur Verfügung.
Der gemeinschaftliche erkenntnistheoretische Dezisionismus stellt deshalb eine Versi-
on des erkenntnistheoretischen Kognitivismus dar , der individualistische erkenntnistheo-
retische Dezisionismus hingegen eine Version des Nonkognitivismus.
Ähnlich wie bei den sprachphilosophischen Positionen können auch im Falle der er-
kenntnistheoretischen die Positionen auf bestimmte moralische Sätze oder nach Funkti-
on in einem moralischen System spezifiziert werden. So kann der erkenntnistheoretische
moralische Kognitivismus auf abgeleitete Sätze in einem anerkannten System beschränkt
werden. Es handelt sich dann um einen systemimmanenten Kognitivismus. Ein fundamen-
taler Kognitivismus würde hingegen die Erkenntnis der fundamentalen moralischen Sät-
ze eines Moralsystems behaupten.
2.4 Abhängigkeitsverhältnisse der Positionen
Abhängigkeit mancher Positionen : Nicht jede Position in diesem Schema kann unabhängig
von jeder anderen vertreten werden , da sich eine Bedeutungsanalyse der moralischen Spra-
che , Ontologie und Erkenntnistheorie der Moral nicht vollständig voneinander trennen
lassen , worauf im Allgemeinen auch Birnbacher ( 2003 , 355 ) hinweist. Wenn der erkennt-
nistheoretische Kognitivismus verbunden mit einer Korrespondenztheorie der Wahrheit
vertreten wird , so ist die Existenz moralischer Tatsachen vorausgesetzt.
Unabhängigkeit mancher Positionen : Wie auf diesen Umstand weist Birnbacher eben-
so darauf hin , dass die Positionen dennoch voneinander unabhängiger sind , als dies viel-
fach angenommen wird. So sind durchaus alle sprachphilosophischen Positionen mit al-
len ontologischen und erkenntnistheoretischen vereinbar. Sowohl Deskriptivistinnen und
Deskriptivisten als auch Expressivistinnen und Expressivisten oder Präskriptivisten bzw.
Präskriptivistinnen können die Existenz moralischer Tatsachen und deren Erkennbarkeit
bejahen , ohne dass dies widersprüchlich wäre :
Kants Ethik mangelt es nicht an Widersprüchen , aber zu diesen gehört nicht die Tatsache ,
dass Kant als Semantiker der Moral eine präskriptivistische , als Ontologe der Moral eine re-
alistische und als Erkenntnistheoretiker der Moral eine kognitivistische Position vertrat. Es
ist nicht widersprüchlich , den grundlegenden Tatbestand der moralischen Sprache in Impe-
rativen ( Forderungen ) zu sehen und gleichzeitig sowohl die Existenz moralischer Tatsachen
( des „Sittengesetzes“ ) als auch deren Erkennbarkeit ( mittels der „praktischen Vernunft“ ) zu
postulieren. Ebensowenig ist es widersprüchlich , mit Max Scheler in semantischer Hinsicht
einer emotivistischen Analyse zuzuneigen und gleichzeitig in ontologischer Hinsicht sowohl
Realist zu sein ( es gibt moralische Sachverhalte , z. B. die Rangfolge der Werte ) als auch Ko-
gnitivist ( die Rangfolge der Werte ist durch Intuition erkennbar ). ( Birnbacher 2003 , 356 )
Ethik und Moral im Wiener Kreis
Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Ethik und Moral im Wiener Kreis
- Untertitel
- Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
- Autor
- Annemarie Siegetsleitner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79533-9
- Abmessungen
- 16.9 x 23.9 cm
- Seiten
- 450
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 13
- 2. Terminologische Klärungen 37
- 3. Moral und Ethik im Wiener Kreis und die Standardauffassung logisch- empiristischer Ethik 52
- 4. Das kulturelle Umfeld des politischen und moralischen Engagements 67
- 5. Rudolf Carnap : Individualistischer Dezisionismus und wissenschaftlicher Humanismus 89
- 5.1 Einleitung 89
- 5.2 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik vor der Wiener-Kreis-Periode 92
- 5.3 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik in der Wiener-Kreis-Periode 111
- 5.3.1 Der logische Aufbau der Welt ( 1928a ) und die Konstitution von Werten 111
- 5.3.2 Scheinprobleme in der Philosophie ( 1928b ) 120
- 5.3.3 „Wissenschaft und Leben“ ( 1929b ) 123
- 5.3.4 „Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache“ ( 1931/32 ) 129
- 5.3.5 „Theoretische Fragen und praktische Entscheidungen“ ( 1934a ) 133
- 5.3.6 Philosophy and Logical Syntax ( 1935 ) 136
- 5. 3. 7 Carnaps moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 138
- 5.3.8 Carnaps individualistischer Dezisionismus und die Lebenspraxis 141
- 5.3.9 Möglichkeiten und Grenzen der Ethik 148
- 5.4 Spätphase : Optative 149
- 5.5 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 160
- 6. Karl Menger : Mathematische Modelle für ein verträgliches Zusammenleben 163
- 6.1 Einleitung 163
- 6.2 Mengers Logik der Sitten 168
- 6.3 Mengers Moralauffassung 177
- 6.3.1 Moral 1. und 2. Stufe , Basismoralen 177
- 6.3.2 Sinn und Zweck der / einer Moral 177
- 6.3.3 Kritik am Kategorischen Imperativ 179
- 6.3.4 Mengers Konzeption der Moralsprache : Semantischer Nonkognitivismus 180
- 6.3.5 Moralische Erkenntnis : Fundamentaler Nonkognitivismus und systemimmanenter Kognitivismus 182
- 6.4 Mengers Ethikverständnis 186
- 6.5 Menger und die Angewandte Ethik 193
- 6.6 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 194
- 7. Otto Neurath : Moral auf der Grundlage gemeinsam beschlossener humanistischer Lebensgrundsätze und Ethik in der Einheitswissenschaft 196
- 8. Philipp Frank : Pragmatische Ethik und relativierte Moral 251
- 9. Moritz Schlick : Eudämonistische Ethik als Weisheitslehre 265
- 10. Victor Kraft : Zwei-Komponenten-Kognitivismus und rationale Moralbegründung 332
- 10.1 Einleitung 332
- 10.2 Krafts moralische und ethische Auffassungen in der Wiener-Kreis-Periode 337
- 10.3 Krafts moralische und ethische Auffassungen nach der Wiener-Kreis-Periode 371
- 10.3.1 Moralbegründung auf Grundlage der Kultur : Die Grundlagen einer wissenschaftlichen Wertlehre , 2. Auflage ( 1951 ) 371
- 10.3.2 Moralbegründung auf Grundlage natürlicher Ziele : Rationale Moralbegründung ( 1963 ) 374
- 10.3.3 Moralbegründung auf der Grundlage primärer Strebensziele : Die Grundlagen der Erkenntnis und der Moral ( 1968 ) 377
- 10.4 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 383
- 11. Herbert Feigl : Pragmatische Moralbegründung 387
- 12. Systematische Zusammenfassung und allgemeine Schlussbemerkungen 402
- 12.1 Mangelndes Interesse an Moral als Menschen und Bürgerinnen oder Bürger 402
- 12.2 Geteilte moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 403
- 12.3 Differenzierungen in den Moralkonzeptionen 404
- 12.4 Differenzierungen in den Ethikkonzeptionen 409
- 12.5 Ausblick auf zukünftige Forschung 412
- 12.6 Allgemeine Schlussbemerkungen 413
- Literatur 417
- Abkürzungen 440
- Bildquellennachweis 440
- Personenregister 441