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5.3 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik in der Wiener-Kreis-Periode
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lichen Einstellung war , die die wirklichen Verhältnisse verschleiert. ( Mormann 2000 , 64 )
Rickerts und Bauchs183 Wertphilosophie war nun Metaphysik und theoretisch unredlich.
Außerdem hatten sich die beiden in der Zwischenzeit für Carnap auch politisch diskredi-
tiert ( siehe dazu Mormann 2010b und Uebel 2010 ). „In Wien kam Carnap“, so Mormann ,
„zu der Überzeugung , daß die traditionellen Projekte der Metaphysik nicht nur einfach
Unsinn waren , sondern Unsinn mit politischen Implikationen.“ ( Mormann 2006 , 186 )
Metaphysische Meinungen hatten politische Konsequenzen , wie die politischen „Verstri-
ckungen“ Bauchs , Rickerts , Nohls , Freyers und anderer führender Köpfe der Jenaer Kons-
tellation nach 1933 drastisch bestätigten. ( Mormann 2006 , 185 )
In Wien stand Carnap mit Frank , Hahn und Neurath irgendwo im nichtparteigebunde-
nen sozialistischen Lager. Auch wenn sich kein direkter Zusammenhang zwischen po-
litischer und philosophischer Orientierung herstellen lässt , sei es , so Mormann weiter ,
schwer vorstellbar , dass der Kontext des Roten Wien Carnap nicht auch philosophisch
beeinflusst haben sollte. ( Mormann 2006 , 186 )
Normative Ethik war als Unternehmen diskreditiert , ihr der Boden unter den Füßen
weggezogen. Eine nicht-normative inhaltliche Ethik stand bei Carnap nicht zur Debatte.
5.3.5 „Theoretische Fragen und praktische Entscheidungen“ ( 1934a )
Auch 1934 , Carnap ist nun seit 1931 Außerordentlicher Professor für Naturphilosophie an
der Universität Prag , hält er noch daran fest : Die logische Analyse der metaphysischen
Sätze mit den Hilfsmitteln der modernen Logik habe gelehrt , „daß diese bloß Schein-
sätze sind , keinen Sinn haben , nichts aussagen“ ( Carnap 1934a , 257 ). Ethische Wert- und
Normsätze werden nicht ausgenommen. Sie seien Scheinsätze , da Wert- und Normsätze
keine theoretischen – und damit keine rational entscheidbaren – Sätze seien. Dennoch :
Die Ausweisung aus dem Gebiet der theoretischen Entscheidung enthebt uns nicht der Mög-
lichkeit , ja der Pflicht der praktischen Stellungnahme. Zwischen beidem besteht jedoch ein
grundsätzlicher Unterschied ; über diesen müssen wir uns klar werden. ( Carnap 1934a , 257 )
Wir werden hier nicht zur Entscheidung zwischen wahr oder falsch ( Fragen im eigent-
lichen Sinne ) aufgefordert , sondern zu einer Handlungsentscheidung. Es gehe um einen
Entschluss , eine praktische Entscheidung , nicht um eine theoretische Entscheidung. Le-
diglich die sprachliche Form von „Soll ich einen Apfel essen ?“ täuscht vor , es liege hier
eine Frage vor , doch dem sei nicht so. Nicht , dass der menschliche Verstand zu beschränkt
sei , diese Frage befriedigend zu beantworten , sondern es sei eben gar keine Frage vorhan-
183 Bauch hatte schon vor 1933 „völkische“ und nationalsozialistische Positionen vertreten. ( Mormann
2000 , 17 )
Ethik und Moral im Wiener Kreis
Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Ethik und Moral im Wiener Kreis
- Untertitel
- Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
- Autor
- Annemarie Siegetsleitner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79533-9
- Abmessungen
- 16.9 x 23.9 cm
- Seiten
- 450
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 13
- 2. Terminologische Klärungen 37
- 3. Moral und Ethik im Wiener Kreis und die Standardauffassung logisch- empiristischer Ethik 52
- 4. Das kulturelle Umfeld des politischen und moralischen Engagements 67
- 5. Rudolf Carnap : Individualistischer Dezisionismus und wissenschaftlicher Humanismus 89
- 5.1 Einleitung 89
- 5.2 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik vor der Wiener-Kreis-Periode 92
- 5.3 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik in der Wiener-Kreis-Periode 111
- 5.3.1 Der logische Aufbau der Welt ( 1928a ) und die Konstitution von Werten 111
- 5.3.2 Scheinprobleme in der Philosophie ( 1928b ) 120
- 5.3.3 „Wissenschaft und Leben“ ( 1929b ) 123
- 5.3.4 „Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache“ ( 1931/32 ) 129
- 5.3.5 „Theoretische Fragen und praktische Entscheidungen“ ( 1934a ) 133
- 5.3.6 Philosophy and Logical Syntax ( 1935 ) 136
- 5. 3. 7 Carnaps moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 138
- 5.3.8 Carnaps individualistischer Dezisionismus und die Lebenspraxis 141
- 5.3.9 Möglichkeiten und Grenzen der Ethik 148
- 5.4 Spätphase : Optative 149
- 5.5 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 160
- 6. Karl Menger : Mathematische Modelle für ein verträgliches Zusammenleben 163
- 6.1 Einleitung 163
- 6.2 Mengers Logik der Sitten 168
- 6.3 Mengers Moralauffassung 177
- 6.3.1 Moral 1. und 2. Stufe , Basismoralen 177
- 6.3.2 Sinn und Zweck der / einer Moral 177
- 6.3.3 Kritik am Kategorischen Imperativ 179
- 6.3.4 Mengers Konzeption der Moralsprache : Semantischer Nonkognitivismus 180
- 6.3.5 Moralische Erkenntnis : Fundamentaler Nonkognitivismus und systemimmanenter Kognitivismus 182
- 6.4 Mengers Ethikverständnis 186
- 6.5 Menger und die Angewandte Ethik 193
- 6.6 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 194
- 7. Otto Neurath : Moral auf der Grundlage gemeinsam beschlossener humanistischer Lebensgrundsätze und Ethik in der Einheitswissenschaft 196
- 8. Philipp Frank : Pragmatische Ethik und relativierte Moral 251
- 9. Moritz Schlick : Eudämonistische Ethik als Weisheitslehre 265
- 10. Victor Kraft : Zwei-Komponenten-Kognitivismus und rationale Moralbegründung 332
- 10.1 Einleitung 332
- 10.2 Krafts moralische und ethische Auffassungen in der Wiener-Kreis-Periode 337
- 10.3 Krafts moralische und ethische Auffassungen nach der Wiener-Kreis-Periode 371
- 10.3.1 Moralbegründung auf Grundlage der Kultur : Die Grundlagen einer wissenschaftlichen Wertlehre , 2. Auflage ( 1951 ) 371
- 10.3.2 Moralbegründung auf Grundlage natürlicher Ziele : Rationale Moralbegründung ( 1963 ) 374
- 10.3.3 Moralbegründung auf der Grundlage primärer Strebensziele : Die Grundlagen der Erkenntnis und der Moral ( 1968 ) 377
- 10.4 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 383
- 11. Herbert Feigl : Pragmatische Moralbegründung 387
- 12. Systematische Zusammenfassung und allgemeine Schlussbemerkungen 402
- 12.1 Mangelndes Interesse an Moral als Menschen und Bürgerinnen oder Bürger 402
- 12.2 Geteilte moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 403
- 12.3 Differenzierungen in den Moralkonzeptionen 404
- 12.4 Differenzierungen in den Ethikkonzeptionen 409
- 12.5 Ausblick auf zukünftige Forschung 412
- 12.6 Allgemeine Schlussbemerkungen 413
- Literatur 417
- Abkürzungen 440
- Bildquellennachweis 440
- Personenregister 441