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7.2 Neuraths Konzeption von Moral und Ethik vor der Wiener-Kreis-Periode
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diese nicht nur den normativen Bezugsrahmen seiner außerwissenschaftlichen Tätigkeit ,
sondern auch seiner wissenschaftlichen Tätigkeit in Ökonomie und Bildstatistik sowie
dem Projekt Einheitswissenschaft bildet. Wenn Neider sich an Neurath als den Aktivis-
ten erinnert :
Bei ihm war das Wissen und das Denken immer nur ein Hilfsmittel zum eigentlichen Tun ,
das für ihn ja doch à la longue die Revolution war. ( Gespräch mit Neider 1977 , 21 )
so blieb dies nicht ohne Folgen für Neuraths Moral- und Ethikverständnis. Neuraths Ver-
ständnis als Aktivist führte nicht nur dazu , dass der Wiener Kreis –Neurath prägte auch
diesen Namen – in Philosophie , Wissenschaft und Wiener Gesellschaft bekannter wur-
de , als es wohl ohne ihn der Fall gewesen wäre , sondern bestimmte auch sein Verständnis
von Ethik und Moral. Wie im übrigen Werk werden sich aber auch hier mehr program-
matische Thesen und provozierende Anregungen finden als präzise Formulierungen und
detaillierte Begründungen.275
7.2 Neuraths Konzeption von Moral und Ethik vor der Wiener-Kreis-Periode :
beglückende Verwaltungswirtschaft
Auch bei Neurath bildet eine aufgeklärte , humanistische Moral , die auf die Wissenschaft
als wertvolles Mittel zur Verwirklichung der Ziele setzt , den Rahmen seines außerwissen-
schaftlichen und wissenschaftlichen Wirkens. Es sei erfüllbare Aufgabe der Menschen ,
das Leben der Menschen zu verbessern. Überirdische , prinzipiell unerkennbare Wesen
und Lebensabschnitte hätten hierbei keine Rolle zu spielen ( damit auch keine Theologie
und Metaphysik ). Hingegen wird auf die Wissenschaft als wertvolles Mittel zur Verbesse-
rung des menschlichen Lebens vertraut. Diese moralische Auffassung dient Neurath nicht
nur als persönliche Motivation , sondern auch als Vorgabe für Inhalt und Methode sowohl
in seinen ökonomischen und bildstatistischen als auch in seinen philosophischen Beiträ-
gen. Dies war bereits lange , bevor sich der Wiener Kreis bildete , so.
Neuraths erster Vortrag in der Gesellschaft für Philosophie der Universität Wien , die da-
mals Jodl leitete , war einem ethischen Thema gewidmet : „Der Krieg und die Moralprinzi-
pien“, 5. März 1908. Der Vortrag ist leider nicht erhalten. ( Uebel 2000 , 141 ) Es dürfte sich
um erste Überlegungen zu einer von Neurath in Ausarbeitung befindlichen Habilitations-
schrift zu eben diesem Thema gehandelt haben , von der er Tönnies mehrmals schriftlich
berichtet. Neurath plante damals , an der Philosophischen Fakultät zu habilitieren , vermut-
lich unter Betreuung von Jodl , der ihn beriet. ( Neurath an Tönnies , 27. August 1908 , Nach-
lass Ferdinand Tönnies , Signatur Cb 54.56 :538–540 , Schleswig-Holsteinische Landesbib-
275 Zu diesen Stärken und Schwächen Neuraths vgl. Geier 1992 , 17.
Ethik und Moral im Wiener Kreis
Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Ethik und Moral im Wiener Kreis
- Untertitel
- Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
- Autor
- Annemarie Siegetsleitner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79533-9
- Abmessungen
- 16.9 x 23.9 cm
- Seiten
- 450
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 13
- 2. Terminologische Klärungen 37
- 3. Moral und Ethik im Wiener Kreis und die Standardauffassung logisch- empiristischer Ethik 52
- 4. Das kulturelle Umfeld des politischen und moralischen Engagements 67
- 5. Rudolf Carnap : Individualistischer Dezisionismus und wissenschaftlicher Humanismus 89
- 5.1 Einleitung 89
- 5.2 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik vor der Wiener-Kreis-Periode 92
- 5.3 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik in der Wiener-Kreis-Periode 111
- 5.3.1 Der logische Aufbau der Welt ( 1928a ) und die Konstitution von Werten 111
- 5.3.2 Scheinprobleme in der Philosophie ( 1928b ) 120
- 5.3.3 „Wissenschaft und Leben“ ( 1929b ) 123
- 5.3.4 „Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache“ ( 1931/32 ) 129
- 5.3.5 „Theoretische Fragen und praktische Entscheidungen“ ( 1934a ) 133
- 5.3.6 Philosophy and Logical Syntax ( 1935 ) 136
- 5. 3. 7 Carnaps moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 138
- 5.3.8 Carnaps individualistischer Dezisionismus und die Lebenspraxis 141
- 5.3.9 Möglichkeiten und Grenzen der Ethik 148
- 5.4 Spätphase : Optative 149
- 5.5 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 160
- 6. Karl Menger : Mathematische Modelle für ein verträgliches Zusammenleben 163
- 6.1 Einleitung 163
- 6.2 Mengers Logik der Sitten 168
- 6.3 Mengers Moralauffassung 177
- 6.3.1 Moral 1. und 2. Stufe , Basismoralen 177
- 6.3.2 Sinn und Zweck der / einer Moral 177
- 6.3.3 Kritik am Kategorischen Imperativ 179
- 6.3.4 Mengers Konzeption der Moralsprache : Semantischer Nonkognitivismus 180
- 6.3.5 Moralische Erkenntnis : Fundamentaler Nonkognitivismus und systemimmanenter Kognitivismus 182
- 6.4 Mengers Ethikverständnis 186
- 6.5 Menger und die Angewandte Ethik 193
- 6.6 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 194
- 7. Otto Neurath : Moral auf der Grundlage gemeinsam beschlossener humanistischer Lebensgrundsätze und Ethik in der Einheitswissenschaft 196
- 8. Philipp Frank : Pragmatische Ethik und relativierte Moral 251
- 9. Moritz Schlick : Eudämonistische Ethik als Weisheitslehre 265
- 10. Victor Kraft : Zwei-Komponenten-Kognitivismus und rationale Moralbegründung 332
- 10.1 Einleitung 332
- 10.2 Krafts moralische und ethische Auffassungen in der Wiener-Kreis-Periode 337
- 10.3 Krafts moralische und ethische Auffassungen nach der Wiener-Kreis-Periode 371
- 10.3.1 Moralbegründung auf Grundlage der Kultur : Die Grundlagen einer wissenschaftlichen Wertlehre , 2. Auflage ( 1951 ) 371
- 10.3.2 Moralbegründung auf Grundlage natürlicher Ziele : Rationale Moralbegründung ( 1963 ) 374
- 10.3.3 Moralbegründung auf der Grundlage primärer Strebensziele : Die Grundlagen der Erkenntnis und der Moral ( 1968 ) 377
- 10.4 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 383
- 11. Herbert Feigl : Pragmatische Moralbegründung 387
- 12. Systematische Zusammenfassung und allgemeine Schlussbemerkungen 402
- 12.1 Mangelndes Interesse an Moral als Menschen und Bürgerinnen oder Bürger 402
- 12.2 Geteilte moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 403
- 12.3 Differenzierungen in den Moralkonzeptionen 404
- 12.4 Differenzierungen in den Ethikkonzeptionen 409
- 12.5 Ausblick auf zukünftige Forschung 412
- 12.6 Allgemeine Schlussbemerkungen 413
- Literatur 417
- Abkürzungen 440
- Bildquellennachweis 440
- Personenregister 441