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4.3 Engagement in überparteilichen Organisationen
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de Geistesprodukte leicht und richtig zu verstehen , und die in ihm das Bedürfnis zeitigt ,
sich von den Dingen und Ereignissen der Umwelt wissenschaftlich Rechenschaft zu geben.
( Jerusalem 1907 [ 1986 , 611 ]; zit. n. Uebel 2000 , 295 f. )
In Wien wurden schließlich eigene Volksbildungshäuser ( „Volkshochschulen“ ) errichtet ,
sodass es bald einige größere Volksbildungseinrichtungen gab : den Wiener Volksbildungs-
verein , die Volkshochschule , das Volksheim Ottakring ( ab 1901 ) und die Urania ( ab 1897 ).
Der Sozialdemokratie am nächsten stand dabei das Volksheim Ottakring. Auch Personen ,
die an der Universität keine Chance erhielten oder finanziell ungenügend abgesichert wa-
ren , konnten an den Volksbildungseinrichtungen lehren.82
Hier waren nicht nur Neurath , Hahn und Zilsel bereit zu wirken , sondern auch die li-
beraleren Mitglieder wie Kraft , Waismann und Feigl. Auch Rand konnte durch Empfeh-
lung Schlicks in der Volksbildung tätig sein. Hahn wurde 1924 sogar in den Vorstand der
Urania gewählt. ( Stadler 1997a , 702 )
4.3.2 Monistenbund
Der Österreichische Monistenbund wurde 1914 von Freidenkerinnen und Freidenkern ge-
gründet. Besonders betrieben wurde dies wiederum von Jodl.83 Maßgeblich angestoßen
wurde diese Gründung jedoch durch den Deutschen Monistenbund , der in seinen Anfän-
gen zunächst von Ernst Haeckel und nach diesem von Wilhelm Ostwald geführt wurde.84
Vom Deutschen Monistenbund wurde die philosophische Ansicht übernommen , die Welt
bilde eine natürliche Einheit , die sich ausschließlich mithilfe wissenschaftlicher Vernunft
erklären ließe. ( Näheres dazu siehe Stadler 1982a , 153 ff. und Stadler 1997a , 213 ff. ) Ver-
bunden wurde damit nicht zuletzt eine eudämonistische Moralauffassung. In einem Pro-
gramm des Deutschen Monistenbundes der 1920er-Jahre heißt es :
Was lehrt der Monismus ?
Wahrheit kann nur gefunden werden durch sorgfältiges Beobachten , durch genaues Feststel-
len von Tatsachen und vernünftiges Denken. Es ist Aufgabe der Wissenschaft , festzustel-
len , was wirklich ist. Es gibt kein Mittel neben oder über dem wissenschaftlichen Denken ,
um zur Wahrheit zu gelangen. Der Monismus lehnt alle angeblichen Wahrheiten , die durch
„Erleben“ oder „inneres Schauen“ gefunden sind , und deren Kontrolle durch wissenschaftli-
che Methoden unmöglich ist , als Täuschungen und Illusionen ab.
82 Siehe u. a. : http://www.adulteducation.at/de/historiografie und http://www.dasrotewien.at /
83 Jodl sprach bereits 1911 beim ersten internationalen Monistenkongress in Hamburg. ( Siehe Jodl 1911 )
84 Ostwald war von 1902 bis 1921 Herausgeber der Annalen der Naturphilosophie , in deren letzter Nummer
Wittgensteins Tractatus erschien. Zum Deutschen Monistenbund und dessen Kontext siehe auch Lüb-
be 1963 , Dritter Teil : „Weltverbesserung aus ‚wissenschaftlicher‘ Weltanschauung“, 124–170.
Ethik und Moral im Wiener Kreis
Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Ethik und Moral im Wiener Kreis
- Untertitel
- Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
- Autor
- Annemarie Siegetsleitner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79533-9
- Abmessungen
- 16.9 x 23.9 cm
- Seiten
- 450
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 13
- 2. Terminologische Klärungen 37
- 3. Moral und Ethik im Wiener Kreis und die Standardauffassung logisch- empiristischer Ethik 52
- 4. Das kulturelle Umfeld des politischen und moralischen Engagements 67
- 5. Rudolf Carnap : Individualistischer Dezisionismus und wissenschaftlicher Humanismus 89
- 5.1 Einleitung 89
- 5.2 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik vor der Wiener-Kreis-Periode 92
- 5.3 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik in der Wiener-Kreis-Periode 111
- 5.3.1 Der logische Aufbau der Welt ( 1928a ) und die Konstitution von Werten 111
- 5.3.2 Scheinprobleme in der Philosophie ( 1928b ) 120
- 5.3.3 „Wissenschaft und Leben“ ( 1929b ) 123
- 5.3.4 „Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache“ ( 1931/32 ) 129
- 5.3.5 „Theoretische Fragen und praktische Entscheidungen“ ( 1934a ) 133
- 5.3.6 Philosophy and Logical Syntax ( 1935 ) 136
- 5. 3. 7 Carnaps moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 138
- 5.3.8 Carnaps individualistischer Dezisionismus und die Lebenspraxis 141
- 5.3.9 Möglichkeiten und Grenzen der Ethik 148
- 5.4 Spätphase : Optative 149
- 5.5 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 160
- 6. Karl Menger : Mathematische Modelle für ein verträgliches Zusammenleben 163
- 6.1 Einleitung 163
- 6.2 Mengers Logik der Sitten 168
- 6.3 Mengers Moralauffassung 177
- 6.3.1 Moral 1. und 2. Stufe , Basismoralen 177
- 6.3.2 Sinn und Zweck der / einer Moral 177
- 6.3.3 Kritik am Kategorischen Imperativ 179
- 6.3.4 Mengers Konzeption der Moralsprache : Semantischer Nonkognitivismus 180
- 6.3.5 Moralische Erkenntnis : Fundamentaler Nonkognitivismus und systemimmanenter Kognitivismus 182
- 6.4 Mengers Ethikverständnis 186
- 6.5 Menger und die Angewandte Ethik 193
- 6.6 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 194
- 7. Otto Neurath : Moral auf der Grundlage gemeinsam beschlossener humanistischer Lebensgrundsätze und Ethik in der Einheitswissenschaft 196
- 8. Philipp Frank : Pragmatische Ethik und relativierte Moral 251
- 9. Moritz Schlick : Eudämonistische Ethik als Weisheitslehre 265
- 10. Victor Kraft : Zwei-Komponenten-Kognitivismus und rationale Moralbegründung 332
- 10.1 Einleitung 332
- 10.2 Krafts moralische und ethische Auffassungen in der Wiener-Kreis-Periode 337
- 10.3 Krafts moralische und ethische Auffassungen nach der Wiener-Kreis-Periode 371
- 10.3.1 Moralbegründung auf Grundlage der Kultur : Die Grundlagen einer wissenschaftlichen Wertlehre , 2. Auflage ( 1951 ) 371
- 10.3.2 Moralbegründung auf Grundlage natürlicher Ziele : Rationale Moralbegründung ( 1963 ) 374
- 10.3.3 Moralbegründung auf der Grundlage primärer Strebensziele : Die Grundlagen der Erkenntnis und der Moral ( 1968 ) 377
- 10.4 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 383
- 11. Herbert Feigl : Pragmatische Moralbegründung 387
- 12. Systematische Zusammenfassung und allgemeine Schlussbemerkungen 402
- 12.1 Mangelndes Interesse an Moral als Menschen und Bürgerinnen oder Bürger 402
- 12.2 Geteilte moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 403
- 12.3 Differenzierungen in den Moralkonzeptionen 404
- 12.4 Differenzierungen in den Ethikkonzeptionen 409
- 12.5 Ausblick auf zukünftige Forschung 412
- 12.6 Allgemeine Schlussbemerkungen 413
- Literatur 417
- Abkürzungen 440
- Bildquellennachweis 440
- Personenregister 441