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12.6 Allgemeine Schlussbemerkungen
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suchen wäre zudem ein Kapitel aus sei nem unvollendeten Werk „Die sozialen Ursprünge
der neuzeitlichen Wissen schaft“, von dem laut Krohn ( 1985 , 273 , Fn. 36 ) ein Manuskript
für das Kapitel „Humanism“ erhalten ist.
Sicherlich würden die nicht berücksichtigten Arbeiten noch einige Nuancen im darge-
stellten Spektrum hinzufügen. Dies muss jedoch zukünftigen , weiterführenden Forschun-
gen vorbehalten werden. Ebenso wenig konnte die vorliegende Schrift eine umfassende ,
detaillierte inhaltliche Kritik aus der Perspektive späterer und aktueller Diskussionsfelder
leisten. Hierzu bedürfte es einer Reihe weiterer Untersuchungen , die den Rahmen und
auch die Ausrichtung dieser Arbeit deutlich gesprengt hätten.
12.6 Allgemeine Schlussbemerkungen
Wäre Stephen E. Toulmin mit dem „anderen“ Wiener Kreis vertraut gewesen , hätte er sich
als ein dem Wiener Kreis nahe Verwandter erkennen können. Ihm war jedoch noch 1990
in Cosmopolis die Einheitswissenschaft nur als ein System mit der reinen Mathematik als
Kern bekannt. Erst in den 1950er-Jahren hatte sich in seiner Wahrnehmung das Blatt ge-
wendet , und zwar beginnend mit seinem eigenen Buch The Philosophy of Science von 1953
und im Folgenden entschieden mit Kuhns Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen , das
1962 erschien. Aufgrund des Umstandes , dass es in der Encyclopedia of Unified Science ver-
öffentlicht wurde , versteht Toulmin es als ein trojanisches Pferd. Doch hätte Toulmin im
Wiener Kreis durchaus Verbündete finden können. Neurath und Schlick , so unterschied-
lich sie waren , können auf je ihre Weise mehr als Renaissance-Denker gelten , als Toulmin
wusste
– nicht zuletzt in Moral und Ethik
– , nämlich als Denker „mit Toleranz gegenüber
Vielfalt , Vieldeutigkeit und Ungewißheit – den Kennzeichen der Renaissancekultur und
-rhetorik“ und für einen „Reichtum des Gefühls und Gehalts“ ( Toulmin 1990 [ 1994 , 246 ])
eintretend. Es ging mehreren Mitgliedern durchaus auch um Geschichte , Psychologie und
vor allem Moral und Ethik. Dies alles in Betracht ziehend , hätte Toulmin nicht von einer
allgemeinen Rückkehr zum Formalismus bei den Philosophinnen und Philosophen des
Wiener Kreises in den 1920er-Jahren sprechen können. ( Toulmin 1990 [ 1994 , 247 ]) Auch
seine Wahrnehmung , es habe im Wiener Kreis zwei Strömungen gegeben
– Reichenbach ,
den er hier zum Wiener Kreis zählt , und Carnap als die Abstrakten als die eine und Neu-
rath , den er fälschlicherweise als Minister in der sozialistischen Nachkriegsregierung Ös-
terreichs präsentiert , als den Pragmatischeren als die andere – änderte an seinem Urteil
nichts. Denn er sah zwar bei Neurath die Einheitswissenschaft mit sozialen und politi-
schen Reformen verbunden , die Einheitswissenschaft des Wiener Kreises selbst verstand
er jedoch dahingehend , dass diese um die mathematische Logik herum aufgebaut werden
müsste. ( Toulmin 1990 [ 1994 , 248 ]) Der Humanismus der Renaissance wäre gerade auch
im Wiener Kreis , so der Eindruck , den Toulmin erweckt , verdrängt worden. Doch worin
sieht er den Humanismus der Renaissance ? Toulmin charakterisiert ihn folgendermaßen :
Ethik und Moral im Wiener Kreis
Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Ethik und Moral im Wiener Kreis
- Untertitel
- Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
- Autor
- Annemarie Siegetsleitner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79533-9
- Abmessungen
- 16.9 x 23.9 cm
- Seiten
- 450
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 13
- 2. Terminologische Klärungen 37
- 3. Moral und Ethik im Wiener Kreis und die Standardauffassung logisch- empiristischer Ethik 52
- 4. Das kulturelle Umfeld des politischen und moralischen Engagements 67
- 5. Rudolf Carnap : Individualistischer Dezisionismus und wissenschaftlicher Humanismus 89
- 5.1 Einleitung 89
- 5.2 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik vor der Wiener-Kreis-Periode 92
- 5.3 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik in der Wiener-Kreis-Periode 111
- 5.3.1 Der logische Aufbau der Welt ( 1928a ) und die Konstitution von Werten 111
- 5.3.2 Scheinprobleme in der Philosophie ( 1928b ) 120
- 5.3.3 „Wissenschaft und Leben“ ( 1929b ) 123
- 5.3.4 „Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache“ ( 1931/32 ) 129
- 5.3.5 „Theoretische Fragen und praktische Entscheidungen“ ( 1934a ) 133
- 5.3.6 Philosophy and Logical Syntax ( 1935 ) 136
- 5. 3. 7 Carnaps moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 138
- 5.3.8 Carnaps individualistischer Dezisionismus und die Lebenspraxis 141
- 5.3.9 Möglichkeiten und Grenzen der Ethik 148
- 5.4 Spätphase : Optative 149
- 5.5 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 160
- 6. Karl Menger : Mathematische Modelle für ein verträgliches Zusammenleben 163
- 6.1 Einleitung 163
- 6.2 Mengers Logik der Sitten 168
- 6.3 Mengers Moralauffassung 177
- 6.3.1 Moral 1. und 2. Stufe , Basismoralen 177
- 6.3.2 Sinn und Zweck der / einer Moral 177
- 6.3.3 Kritik am Kategorischen Imperativ 179
- 6.3.4 Mengers Konzeption der Moralsprache : Semantischer Nonkognitivismus 180
- 6.3.5 Moralische Erkenntnis : Fundamentaler Nonkognitivismus und systemimmanenter Kognitivismus 182
- 6.4 Mengers Ethikverständnis 186
- 6.5 Menger und die Angewandte Ethik 193
- 6.6 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 194
- 7. Otto Neurath : Moral auf der Grundlage gemeinsam beschlossener humanistischer Lebensgrundsätze und Ethik in der Einheitswissenschaft 196
- 8. Philipp Frank : Pragmatische Ethik und relativierte Moral 251
- 9. Moritz Schlick : Eudämonistische Ethik als Weisheitslehre 265
- 10. Victor Kraft : Zwei-Komponenten-Kognitivismus und rationale Moralbegründung 332
- 10.1 Einleitung 332
- 10.2 Krafts moralische und ethische Auffassungen in der Wiener-Kreis-Periode 337
- 10.3 Krafts moralische und ethische Auffassungen nach der Wiener-Kreis-Periode 371
- 10.3.1 Moralbegründung auf Grundlage der Kultur : Die Grundlagen einer wissenschaftlichen Wertlehre , 2. Auflage ( 1951 ) 371
- 10.3.2 Moralbegründung auf Grundlage natürlicher Ziele : Rationale Moralbegründung ( 1963 ) 374
- 10.3.3 Moralbegründung auf der Grundlage primärer Strebensziele : Die Grundlagen der Erkenntnis und der Moral ( 1968 ) 377
- 10.4 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 383
- 11. Herbert Feigl : Pragmatische Moralbegründung 387
- 12. Systematische Zusammenfassung und allgemeine Schlussbemerkungen 402
- 12.1 Mangelndes Interesse an Moral als Menschen und Bürgerinnen oder Bürger 402
- 12.2 Geteilte moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 403
- 12.3 Differenzierungen in den Moralkonzeptionen 404
- 12.4 Differenzierungen in den Ethikkonzeptionen 409
- 12.5 Ausblick auf zukünftige Forschung 412
- 12.6 Allgemeine Schlussbemerkungen 413
- Literatur 417
- Abkürzungen 440
- Bildquellennachweis 440
- Personenregister 441