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10.2 Krafts moralische und ethische Auffassungen in der Wiener-Kreis-Periode
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10.2 Krafts moralische und ethische Auffassungen in der
Wiener-Kreis-Periode
10.2.1 Moral als überindividuelle Perspektive : Die Grundlagen einer
wissenschaftlichen Wertlehre ( 1937 )
Krafts Überlegungen zur Moral sind in eine allgemeine Wertphilosophie eingeordnet , mit
der er auch als Erstes an die Öffentlichkeit trat. Dieser allgemeinen Wertphilosophie ist
sein Buch Die Grundlagen einer wissenschaftlichen Wertlehre ( im Folgenden : Wertlehre ) ge-
widmet. Ich werde mich in diesem Abschnitt auf die erste Auflage stützen , da diese dem
historischen Wiener Kreis am nächsten steht. Wo die 2. Auflage aus dem Jahre 1951 oder
weitere Werke verständlicher formulieren oder weiter erläutern , werde ich sodann diese
gelegentlich heranziehen.458
Die erste Auflage erschien 1937 in der von Schlick und Frank herausgegebenen Rei-
he Schriften zur wissenschaftlichen Weltauffassung. Nach der Ermordung Schlicks im Jah-
re 1936 hielt Kraft eine Publikation in dieser Reihe übrigens für alles andere als gesichert.
Am 1. Juli 1937 schreibt er diesbezüglich an Neurath :
Sehr getröstet hat es mich , in Ihrem Sonderabdruck zu lesen , dass unter den anständi-
gen Gebieten , die in ihre [ sic ! ] Enzyklopädie aufgenommen sind , auch „emirical [ sic ! ]
axiology“ vorkommt. Ich hatte schon gefürchtet , Ihnen nicht mehr unter die Augen kom-
men zu können , weil ich eben eine empirische Wertlehre vollendet habe. Das Manuskript
liegt jetzt bei Springer , ist aber noch nicht angenommen. Am liebsten hätte ich es in die
Schlick’sche Sammlung gegeben , in der mir die Aufnahme auch schon versprochen war :
aber sie wird anscheinend nicht fortgesetzt. ( Kraft an Neurath , 1. Juli 1937 , Nachlass Neu-
rath , Inv.-Nr. 258 )
Prestige gebracht. Wobei die nationale Anerkennung , die Kraft ab den 1950er-Jahren erhielt , nicht
unerwähnt bleiben soll : Ab 1950 war Kraft korrespondierendes Mitglied der Österreichischen Akade-
mie der Wissenschaften , ab 1954 wirkliches Mitglied. 1972 erkannte ihm diese Akademie den Wilhelm
Hartel Preis zu , den höchsten Preis für das Lebenswerk eines Geisteswissenschaftlers / einer Geis-
teswissenschaftlerin. Aus dem staatlichen Bereich erhielt Kraft von der Stadt Wien die Ehrenme-
daille und den Preis der Stadt Wien , von der Republik Österreich das Ehrenkreuz für Wissenschaft
und Kunst I. Klasse. ( Topitsch 1976 , xii f. )
458 Die zweite Auflage werde ich als eigenständige Quelle mit der Jahreszahl 1951 ausweisen , da sie in
Hinblick auf die hier interessierenden Fragestellungen entscheidende Änderungen enthält , die mit
einer Datierung auf 1937 zu einer falschen Interpretation von Krafts Entwicklung verleiten könnten.
Der Verkauf der Grundlagen einer wissenschaftlichen Wertlehre wurde übrigens 1938 eingestellt ( siehe
Vorwort zur zweiten Auflage von 1951 ). Alle Schriften des Wiener Kreises waren verboten worden.
Der Rest der ersten Auflage verbrannte 1945 , als Wien durch die sowjetische Armee erobert wur-
de. ( Schramm 1992 , 111 ; auf Krafts Ethik geht Schramm in seinem Beitrag nicht ein. ) Über die ers-
te Auflage konnte Kraft also nicht wirken.
Ethik und Moral im Wiener Kreis
Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Ethik und Moral im Wiener Kreis
- Untertitel
- Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
- Autor
- Annemarie Siegetsleitner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79533-9
- Abmessungen
- 16.9 x 23.9 cm
- Seiten
- 450
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 13
- 2. Terminologische Klärungen 37
- 3. Moral und Ethik im Wiener Kreis und die Standardauffassung logisch- empiristischer Ethik 52
- 4. Das kulturelle Umfeld des politischen und moralischen Engagements 67
- 5. Rudolf Carnap : Individualistischer Dezisionismus und wissenschaftlicher Humanismus 89
- 5.1 Einleitung 89
- 5.2 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik vor der Wiener-Kreis-Periode 92
- 5.3 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik in der Wiener-Kreis-Periode 111
- 5.3.1 Der logische Aufbau der Welt ( 1928a ) und die Konstitution von Werten 111
- 5.3.2 Scheinprobleme in der Philosophie ( 1928b ) 120
- 5.3.3 „Wissenschaft und Leben“ ( 1929b ) 123
- 5.3.4 „Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache“ ( 1931/32 ) 129
- 5.3.5 „Theoretische Fragen und praktische Entscheidungen“ ( 1934a ) 133
- 5.3.6 Philosophy and Logical Syntax ( 1935 ) 136
- 5. 3. 7 Carnaps moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 138
- 5.3.8 Carnaps individualistischer Dezisionismus und die Lebenspraxis 141
- 5.3.9 Möglichkeiten und Grenzen der Ethik 148
- 5.4 Spätphase : Optative 149
- 5.5 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 160
- 6. Karl Menger : Mathematische Modelle für ein verträgliches Zusammenleben 163
- 6.1 Einleitung 163
- 6.2 Mengers Logik der Sitten 168
- 6.3 Mengers Moralauffassung 177
- 6.3.1 Moral 1. und 2. Stufe , Basismoralen 177
- 6.3.2 Sinn und Zweck der / einer Moral 177
- 6.3.3 Kritik am Kategorischen Imperativ 179
- 6.3.4 Mengers Konzeption der Moralsprache : Semantischer Nonkognitivismus 180
- 6.3.5 Moralische Erkenntnis : Fundamentaler Nonkognitivismus und systemimmanenter Kognitivismus 182
- 6.4 Mengers Ethikverständnis 186
- 6.5 Menger und die Angewandte Ethik 193
- 6.6 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 194
- 7. Otto Neurath : Moral auf der Grundlage gemeinsam beschlossener humanistischer Lebensgrundsätze und Ethik in der Einheitswissenschaft 196
- 8. Philipp Frank : Pragmatische Ethik und relativierte Moral 251
- 9. Moritz Schlick : Eudämonistische Ethik als Weisheitslehre 265
- 10. Victor Kraft : Zwei-Komponenten-Kognitivismus und rationale Moralbegründung 332
- 10.1 Einleitung 332
- 10.2 Krafts moralische und ethische Auffassungen in der Wiener-Kreis-Periode 337
- 10.3 Krafts moralische und ethische Auffassungen nach der Wiener-Kreis-Periode 371
- 10.3.1 Moralbegründung auf Grundlage der Kultur : Die Grundlagen einer wissenschaftlichen Wertlehre , 2. Auflage ( 1951 ) 371
- 10.3.2 Moralbegründung auf Grundlage natürlicher Ziele : Rationale Moralbegründung ( 1963 ) 374
- 10.3.3 Moralbegründung auf der Grundlage primärer Strebensziele : Die Grundlagen der Erkenntnis und der Moral ( 1968 ) 377
- 10.4 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 383
- 11. Herbert Feigl : Pragmatische Moralbegründung 387
- 12. Systematische Zusammenfassung und allgemeine Schlussbemerkungen 402
- 12.1 Mangelndes Interesse an Moral als Menschen und Bürgerinnen oder Bürger 402
- 12.2 Geteilte moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 403
- 12.3 Differenzierungen in den Moralkonzeptionen 404
- 12.4 Differenzierungen in den Ethikkonzeptionen 409
- 12.5 Ausblick auf zukünftige Forschung 412
- 12.6 Allgemeine Schlussbemerkungen 413
- Literatur 417
- Abkürzungen 440
- Bildquellennachweis 440
- Personenregister 441