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7. Otto Neurath : Moral
248 solut gelten. Aber eben nur Universalhistorikerinnen und -historiker , nicht die Histori-
kerinnen oder Historiker , die sich damit begnügen , dass ihre Ergebnisse für bestimmte ,
wenn auch nicht alle , Kulturen bedeutsam sind.
Das Problem bei Rickert müsste für Neurath also nicht in seiner Unterscheidung von
zwei Tendenzen in den Methoden der Wissenschaften liegen , sondern in seinem Wert-
absolutismus und der spezifischen Auswahl der Werte , von denen Neurath insbesondere
einen ablehnt. Den bislang in Kulturwissenschaft und Naturwissenschaft aufgeführten wie
Religion , Staat , Recht , Sitten wird in Rickerts „Thesen zum System der Philosophie“ 1932
ein weiterer hinzugefügt : das Volk. So habe die philosophische Anthropologie ( diese ist
für Rickert keine empirische Wissenschaft und es geht bei ihr nicht um eine kultur- oder
naturwissenschaftliche Methode ) nach dem „Universum der Werte“ zu suchen :
Bei dem Versuch einer universalen Gliederung der Werte sind solche Güter , die Eigenwert
besitzen , wie Wissenschaft , Kunst , Familie , Volk , Recht , Staat u. a. von denen zu scheiden ,
denen Wert nur als Mittel zukommt , [ … ]. ( Rickert 1932 [ 1982 , 179 f. ])
Zu dieser Zeit war eine solche Ergänzung selbstverständlich politisch bedeutsam und die
Bezeichnung „BLUBO-Metaphysik“ angebracht.
Neurath lehnte die Werte Rickerts sowohl inhaltlich als auch in ihrem Status als über-
geschichtlich und allgemein verbindlich ab. Und darüber hinaus aufgrund ihrer politi-
schen Instrumentalisierbarkeit.
7.4 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen
Antimetaphysik heißt für Neurath nicht Verzicht auf ge-
meinsame Lebensgrundsätze , die er zu manchen Zeiten
durchaus , zu anderen eher nicht als „Moral“ bezeichnen
würde. Ausgeschlossen sind lediglich Konzeptionen , die
in ihren Prinzipien und Grundlegungen über Menschen
Zugängliches und ihrer Gestaltung Entzogenes hinaus-
gehen. Neurath selbst vertritt eine klare moralische Aus-
richtung , die den Rahmen seiner vielfältigen Tätigkeiten
bildet. Ziel von Neuraths Moral ist die Verbesserung der
menschlichen Lebensbedingungen , die Vermehrung des
Glücks der gesamten Menschheit. Als wertvolles Instru-
ment hierzu gilt ihm die Wissenschaft bis hinunter zu ih-
ren terminologischen Grundlagenfragen. Insofern teilt er
mit den anderen Mitgliedern des Wiener Kreises den wissenschaftlichen Humanismus. In
Neuraths spezifischer Konzeption können die Verbesserungen jedoch nur durch grund-
Abb. 4 : Otto Neurath einen Tag
vor seinem Tod
Ethik und Moral im Wiener Kreis
Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Ethik und Moral im Wiener Kreis
- Untertitel
- Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
- Autor
- Annemarie Siegetsleitner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79533-9
- Abmessungen
- 16.9 x 23.9 cm
- Seiten
- 450
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 13
- 2. Terminologische Klärungen 37
- 3. Moral und Ethik im Wiener Kreis und die Standardauffassung logisch- empiristischer Ethik 52
- 4. Das kulturelle Umfeld des politischen und moralischen Engagements 67
- 5. Rudolf Carnap : Individualistischer Dezisionismus und wissenschaftlicher Humanismus 89
- 5.1 Einleitung 89
- 5.2 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik vor der Wiener-Kreis-Periode 92
- 5.3 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik in der Wiener-Kreis-Periode 111
- 5.3.1 Der logische Aufbau der Welt ( 1928a ) und die Konstitution von Werten 111
- 5.3.2 Scheinprobleme in der Philosophie ( 1928b ) 120
- 5.3.3 „Wissenschaft und Leben“ ( 1929b ) 123
- 5.3.4 „Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache“ ( 1931/32 ) 129
- 5.3.5 „Theoretische Fragen und praktische Entscheidungen“ ( 1934a ) 133
- 5.3.6 Philosophy and Logical Syntax ( 1935 ) 136
- 5. 3. 7 Carnaps moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 138
- 5.3.8 Carnaps individualistischer Dezisionismus und die Lebenspraxis 141
- 5.3.9 Möglichkeiten und Grenzen der Ethik 148
- 5.4 Spätphase : Optative 149
- 5.5 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 160
- 6. Karl Menger : Mathematische Modelle für ein verträgliches Zusammenleben 163
- 6.1 Einleitung 163
- 6.2 Mengers Logik der Sitten 168
- 6.3 Mengers Moralauffassung 177
- 6.3.1 Moral 1. und 2. Stufe , Basismoralen 177
- 6.3.2 Sinn und Zweck der / einer Moral 177
- 6.3.3 Kritik am Kategorischen Imperativ 179
- 6.3.4 Mengers Konzeption der Moralsprache : Semantischer Nonkognitivismus 180
- 6.3.5 Moralische Erkenntnis : Fundamentaler Nonkognitivismus und systemimmanenter Kognitivismus 182
- 6.4 Mengers Ethikverständnis 186
- 6.5 Menger und die Angewandte Ethik 193
- 6.6 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 194
- 7. Otto Neurath : Moral auf der Grundlage gemeinsam beschlossener humanistischer Lebensgrundsätze und Ethik in der Einheitswissenschaft 196
- 8. Philipp Frank : Pragmatische Ethik und relativierte Moral 251
- 9. Moritz Schlick : Eudämonistische Ethik als Weisheitslehre 265
- 10. Victor Kraft : Zwei-Komponenten-Kognitivismus und rationale Moralbegründung 332
- 10.1 Einleitung 332
- 10.2 Krafts moralische und ethische Auffassungen in der Wiener-Kreis-Periode 337
- 10.3 Krafts moralische und ethische Auffassungen nach der Wiener-Kreis-Periode 371
- 10.3.1 Moralbegründung auf Grundlage der Kultur : Die Grundlagen einer wissenschaftlichen Wertlehre , 2. Auflage ( 1951 ) 371
- 10.3.2 Moralbegründung auf Grundlage natürlicher Ziele : Rationale Moralbegründung ( 1963 ) 374
- 10.3.3 Moralbegründung auf der Grundlage primärer Strebensziele : Die Grundlagen der Erkenntnis und der Moral ( 1968 ) 377
- 10.4 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 383
- 11. Herbert Feigl : Pragmatische Moralbegründung 387
- 12. Systematische Zusammenfassung und allgemeine Schlussbemerkungen 402
- 12.1 Mangelndes Interesse an Moral als Menschen und Bürgerinnen oder Bürger 402
- 12.2 Geteilte moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 403
- 12.3 Differenzierungen in den Moralkonzeptionen 404
- 12.4 Differenzierungen in den Ethikkonzeptionen 409
- 12.5 Ausblick auf zukünftige Forschung 412
- 12.6 Allgemeine Schlussbemerkungen 413
- Literatur 417
- Abkürzungen 440
- Bildquellennachweis 440
- Personenregister 441