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9. Moritz Schlick : Eudämonistische Ethik als Weisheitslehre
288 ri 2013 , 85 ). Schlick wird bis 1921
– also fast bis zu seinem Ruf nach Wien
– in Rostock blei-
ben und dort regelmäßig neben Erkenntnistheorie , Philosophie der Mathematik und Na-
turphilosophie auch Ethik lehren.383
Bevor ich zu den ethischen Werken aus der Wiener-Kreis-
Periode übergehe , seien noch kurz zwei ethische Arbeiten
aus dem Nachlass erwähnt , an denen Schlick zwischen Le-
bensweisheit und seiner Wiener Zeit schrieb bzw. welche er
in der Zwischenzeit zu verfassen begann.
9.2.3 Der neue Epikur und Die Philosophie der Jugend
In Schlicks Nachlass finden sich zwei Fragment gebliebe-
ne ethische Werke , an denen er über viele Jahre hinweg ar-
beitete : Der neue Epikur und Die Philosophie der Jugend. Die
Ansicht , Schlick habe sich zwischen Lebensweisheit ( 1908 )
und Vom Sinn des Lebens ( 1927a ) nicht mit ethischen Fragen
beschäftigt , wie beispielsweise noch Gomes ( 1975 , 92 ) an-
nahm , ist falsch , obgleich Schlick beide Arbeiten nicht zum
Abschluss brachte. Beide Fragmente werden in der Moritz
Schlick Gesamtausgabe ( MSGA II / 3.1 ) veröffentlicht.
Der neue Epikur : Der neue Epikur Oder was er uns vom Spiel des Daseins lehrte wurde kurz
nach Abschluss der Lebensweisheit begonnen. ( Iven 2008a , 212 ) Im Nachlass liegen meh-
rere Fassungen vor , u. a. ein Heft aus dem Jahre 1908 ( Inv.-Nr. 11 , A. 27a , unvollständige
Abschrift : 27b ). Dort wie in späteren Fassungen ist ein Ich-Erzähler im Hochgebirge un-
terwegs und trifft auf einen Mathematikprofessor , dem die wissenschaftliche Arbeit ver-
boten worden war. Der Erzähler äußert sich über den Professor :
Der Reichtum und die Weite seines Geistes waren nie verborgen gewesen. Wenn er auch
nie systematisch über die Dinge nachgedacht hatte , die vom Centrum seines wissenschaft-
lichen Interesses weit ab lagen , so hatten seine Freunde an ihm doch stets ein schnelles und
sicheres Urteil über alle Gebiete des Lebens bewundern können , wie es ein blitzender , nur
die großen Züge umfassender Blick von einer sehr hohen Warte liefert , [ … ]. [ … ] Jetzt nun
schien er auf dem Wege zu sein , diese Ansichten durchzudenken und zu vertiefen. ( Schlick
[ Der neue Epikur ], Nachlass Schlick , Inv.-Nr. 11 , A 27b , 7 )
383 Es befinden sich mehrere Vorlesungsmanuskripte aus dieser Zeit im Schlick-Nachlass , u. a. zu
„Grundfragen der Ethik“ ( 1912 /13 ), in dem Schlick bekräftigt , dass die Ethik als Wissenschaft nicht
zu werten habe ( Schlick [ Grundfragen der Ethik ], Nachlass Schlick , Inv.-Nr. 4 , A. 4b , 2 ). Über Wert-
fragen äußert er sich darüber hinaus im Manuskript zur Vorlesung „Weltanschauungsfragen“ ( ver-
mutlich 1917/18 , Nachlass Schlick , Inv.-Nr. 6 , A. 9a ), in dem er Nietzsche den größten Wertphiloso-
phen der neuen Zeit nennt ( 8 ).
Abb. 6 : Moritz Schlick 1911 als
junger Dozent in Rostock
Ethik und Moral im Wiener Kreis
Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Ethik und Moral im Wiener Kreis
- Untertitel
- Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
- Autor
- Annemarie Siegetsleitner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79533-9
- Abmessungen
- 16.9 x 23.9 cm
- Seiten
- 450
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 13
- 2. Terminologische Klärungen 37
- 3. Moral und Ethik im Wiener Kreis und die Standardauffassung logisch- empiristischer Ethik 52
- 4. Das kulturelle Umfeld des politischen und moralischen Engagements 67
- 5. Rudolf Carnap : Individualistischer Dezisionismus und wissenschaftlicher Humanismus 89
- 5.1 Einleitung 89
- 5.2 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik vor der Wiener-Kreis-Periode 92
- 5.3 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik in der Wiener-Kreis-Periode 111
- 5.3.1 Der logische Aufbau der Welt ( 1928a ) und die Konstitution von Werten 111
- 5.3.2 Scheinprobleme in der Philosophie ( 1928b ) 120
- 5.3.3 „Wissenschaft und Leben“ ( 1929b ) 123
- 5.3.4 „Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache“ ( 1931/32 ) 129
- 5.3.5 „Theoretische Fragen und praktische Entscheidungen“ ( 1934a ) 133
- 5.3.6 Philosophy and Logical Syntax ( 1935 ) 136
- 5. 3. 7 Carnaps moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 138
- 5.3.8 Carnaps individualistischer Dezisionismus und die Lebenspraxis 141
- 5.3.9 Möglichkeiten und Grenzen der Ethik 148
- 5.4 Spätphase : Optative 149
- 5.5 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 160
- 6. Karl Menger : Mathematische Modelle für ein verträgliches Zusammenleben 163
- 6.1 Einleitung 163
- 6.2 Mengers Logik der Sitten 168
- 6.3 Mengers Moralauffassung 177
- 6.3.1 Moral 1. und 2. Stufe , Basismoralen 177
- 6.3.2 Sinn und Zweck der / einer Moral 177
- 6.3.3 Kritik am Kategorischen Imperativ 179
- 6.3.4 Mengers Konzeption der Moralsprache : Semantischer Nonkognitivismus 180
- 6.3.5 Moralische Erkenntnis : Fundamentaler Nonkognitivismus und systemimmanenter Kognitivismus 182
- 6.4 Mengers Ethikverständnis 186
- 6.5 Menger und die Angewandte Ethik 193
- 6.6 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 194
- 7. Otto Neurath : Moral auf der Grundlage gemeinsam beschlossener humanistischer Lebensgrundsätze und Ethik in der Einheitswissenschaft 196
- 8. Philipp Frank : Pragmatische Ethik und relativierte Moral 251
- 9. Moritz Schlick : Eudämonistische Ethik als Weisheitslehre 265
- 10. Victor Kraft : Zwei-Komponenten-Kognitivismus und rationale Moralbegründung 332
- 10.1 Einleitung 332
- 10.2 Krafts moralische und ethische Auffassungen in der Wiener-Kreis-Periode 337
- 10.3 Krafts moralische und ethische Auffassungen nach der Wiener-Kreis-Periode 371
- 10.3.1 Moralbegründung auf Grundlage der Kultur : Die Grundlagen einer wissenschaftlichen Wertlehre , 2. Auflage ( 1951 ) 371
- 10.3.2 Moralbegründung auf Grundlage natürlicher Ziele : Rationale Moralbegründung ( 1963 ) 374
- 10.3.3 Moralbegründung auf der Grundlage primärer Strebensziele : Die Grundlagen der Erkenntnis und der Moral ( 1968 ) 377
- 10.4 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 383
- 11. Herbert Feigl : Pragmatische Moralbegründung 387
- 12. Systematische Zusammenfassung und allgemeine Schlussbemerkungen 402
- 12.1 Mangelndes Interesse an Moral als Menschen und Bürgerinnen oder Bürger 402
- 12.2 Geteilte moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 403
- 12.3 Differenzierungen in den Moralkonzeptionen 404
- 12.4 Differenzierungen in den Ethikkonzeptionen 409
- 12.5 Ausblick auf zukünftige Forschung 412
- 12.6 Allgemeine Schlussbemerkungen 413
- Literatur 417
- Abkürzungen 440
- Bildquellennachweis 440
- Personenregister 441