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8. Philipp Frank : Pragmatische Ethik und relativierte Moral
252 ten zu müssen. Seine Thesen hierzu führte er vor allem in einem schmalen Band aus dem
Jahre 1950 aus , welches den Titel Relativity – A Richer Truth trägt. 1952 wurde die Schrift
als Wahrheit – relativ oder absolut ? in deutscher Übersetzung publiziert.
8.2 Relativity – A Richer Truth
8.2.1 Die „Konferenzen über Naturwissenschaft , Philosophie und Religion“: Werte-
und Demokratieverfall
Das Buch , für das Franks Freund Albert Einstein das Vorwort verfasste , geht auf Debatten
an der von 1940 bis 1951 jährlich in New York stattfindenden Conference on Science , Philoso-
phy and Religion zurück , an der Frank regelmäßig teilnahm.334 Die überwiegende Mehrheit
der Teilnehmenden waren Theologen , Pädagogen , Soziologen , Philosophen und Histori-
ker. Nur ein kleiner Teil , so berichtet Frank in der Einleitung , waren Naturwissenschaft-
ler. Ihn hätte die Konferenz jedoch um „viele wertvolle Erfahrungen bereichert“. Da Na-
turwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler gemeinhin die Wissenschaft als Selbstzweck
sehen würden , sei es für ihn sehr wertvoll gewesen , „in einen so engen persönlichen und
geistigen Kontakt mit den Vertretern von Gruppen zu kommen , die die Wissenschaft als
ein Mittel zum Zweck – ein Mittel zur Errichtung einer wünschenswerten Lebensweise
für die Menschheit – betrachteten“ ( Frank 1950 [ 1952 , 9 f. ]). Die Konferenz verfolgte ei-
nen politischen Zweck. Deren Hauptziel war es nämlich , „zum allgemeinen Verständnis
der demokratischen Grundsätze beizutragen , um damit der auf hohen Touren laufenden
Propaganda des Totalitarismus wirksam begegnen zu können“ ( Frank 1950 [ 1952 , 9 ]). Im
Grundtenor der Konferenzen wurde als ein Problem für die Demokratie ein angeblicher
Werteverfall ausgemacht , der wiederum der modernen Wissenschaft mit ihrem „Relati-
vismus“ angelastet wurde. Gleich zu Beginn der Schrift wird der Kontext zum angebli-
chen Werteverfall hergestellt :
Als 1940 Frankreich und mit ihm der ganze westeuropäische Kontinent unter dem Ansturm
der deutschen Macht zusammenbrachen , gab es überall Menschen , die die tieferen Ursachen
dieses Zusammenbruchs militärischer und politischer Moral in der agnostischen und skep-
tischen Einstellung unserer Zeit – in der Erschütterung des Glaubens an absolute Werte zu
finden glaubten. ( Frank 1950 [ 1952 , 9 ])
schaft „geboren wurde und wie sie heranwuchs“. ( Frank 1950 [ 1952 , 71 f. ]) Über gemeinsame Merk-
male von Kuhns The Structure of Scientific Revolutions ( 1962 ) und Franks Wissenschaftstheorie siehe
Reisch ( 2005 , 229–233 ).
334 Morris , Hempel und Carnap nahmen ebenfalls an der Konferenz teil , jedoch nur für kurze Zeit.
( Reisch 2005 , 219 )
Ethik und Moral im Wiener Kreis
Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Ethik und Moral im Wiener Kreis
- Untertitel
- Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
- Autor
- Annemarie Siegetsleitner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79533-9
- Abmessungen
- 16.9 x 23.9 cm
- Seiten
- 450
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 13
- 2. Terminologische Klärungen 37
- 3. Moral und Ethik im Wiener Kreis und die Standardauffassung logisch- empiristischer Ethik 52
- 4. Das kulturelle Umfeld des politischen und moralischen Engagements 67
- 5. Rudolf Carnap : Individualistischer Dezisionismus und wissenschaftlicher Humanismus 89
- 5.1 Einleitung 89
- 5.2 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik vor der Wiener-Kreis-Periode 92
- 5.3 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik in der Wiener-Kreis-Periode 111
- 5.3.1 Der logische Aufbau der Welt ( 1928a ) und die Konstitution von Werten 111
- 5.3.2 Scheinprobleme in der Philosophie ( 1928b ) 120
- 5.3.3 „Wissenschaft und Leben“ ( 1929b ) 123
- 5.3.4 „Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache“ ( 1931/32 ) 129
- 5.3.5 „Theoretische Fragen und praktische Entscheidungen“ ( 1934a ) 133
- 5.3.6 Philosophy and Logical Syntax ( 1935 ) 136
- 5. 3. 7 Carnaps moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 138
- 5.3.8 Carnaps individualistischer Dezisionismus und die Lebenspraxis 141
- 5.3.9 Möglichkeiten und Grenzen der Ethik 148
- 5.4 Spätphase : Optative 149
- 5.5 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 160
- 6. Karl Menger : Mathematische Modelle für ein verträgliches Zusammenleben 163
- 6.1 Einleitung 163
- 6.2 Mengers Logik der Sitten 168
- 6.3 Mengers Moralauffassung 177
- 6.3.1 Moral 1. und 2. Stufe , Basismoralen 177
- 6.3.2 Sinn und Zweck der / einer Moral 177
- 6.3.3 Kritik am Kategorischen Imperativ 179
- 6.3.4 Mengers Konzeption der Moralsprache : Semantischer Nonkognitivismus 180
- 6.3.5 Moralische Erkenntnis : Fundamentaler Nonkognitivismus und systemimmanenter Kognitivismus 182
- 6.4 Mengers Ethikverständnis 186
- 6.5 Menger und die Angewandte Ethik 193
- 6.6 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 194
- 7. Otto Neurath : Moral auf der Grundlage gemeinsam beschlossener humanistischer Lebensgrundsätze und Ethik in der Einheitswissenschaft 196
- 8. Philipp Frank : Pragmatische Ethik und relativierte Moral 251
- 9. Moritz Schlick : Eudämonistische Ethik als Weisheitslehre 265
- 10. Victor Kraft : Zwei-Komponenten-Kognitivismus und rationale Moralbegründung 332
- 10.1 Einleitung 332
- 10.2 Krafts moralische und ethische Auffassungen in der Wiener-Kreis-Periode 337
- 10.3 Krafts moralische und ethische Auffassungen nach der Wiener-Kreis-Periode 371
- 10.3.1 Moralbegründung auf Grundlage der Kultur : Die Grundlagen einer wissenschaftlichen Wertlehre , 2. Auflage ( 1951 ) 371
- 10.3.2 Moralbegründung auf Grundlage natürlicher Ziele : Rationale Moralbegründung ( 1963 ) 374
- 10.3.3 Moralbegründung auf der Grundlage primärer Strebensziele : Die Grundlagen der Erkenntnis und der Moral ( 1968 ) 377
- 10.4 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 383
- 11. Herbert Feigl : Pragmatische Moralbegründung 387
- 12. Systematische Zusammenfassung und allgemeine Schlussbemerkungen 402
- 12.1 Mangelndes Interesse an Moral als Menschen und Bürgerinnen oder Bürger 402
- 12.2 Geteilte moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 403
- 12.3 Differenzierungen in den Moralkonzeptionen 404
- 12.4 Differenzierungen in den Ethikkonzeptionen 409
- 12.5 Ausblick auf zukünftige Forschung 412
- 12.6 Allgemeine Schlussbemerkungen 413
- Literatur 417
- Abkürzungen 440
- Bildquellennachweis 440
- Personenregister 441