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8. Philipp Frank : Pragmatische Ethik und relativierte Moral
256 wickelt , der sich mit der Wissenschaft ernsthaft beschäftigt. Wobei dies für Ingenieurwis-
senschaften nicht zutreffe , zumal er die unkritischsten aller Anhängerinnen und Anhänger
des Totalitarismus unter den Studierenden der Ingenieurwissenschaften gefunden hätte.
( Frank 1950 [ 1952 , 86 f. ])
Der charakteristische Zug der wissenschaftlichen Einstellung nach Frank ist :
Die allgemeinen Grundsätze , die wir aufstellen , haben , abgesehen von den beobachtbaren Tat-
sachen , die man von ihnen ableiten kann , keine andere Bedeutung. ( Frank 1950 [ 1952 , 88 f. ])
Dieser pragmatische Geist der Wissenschaft wirke sich zugunsten der Demokratie und
zu ungunsten der Diktatur aus. ( Frank 1950 [ 1952 , 93 ])
Die Beschäftigung mit der Wissenschaft mag sich , wie Frank meint , besonders gut
dazu eignen , diese pragmatische Einstellung auf die allgemeinen Regeln des menschli-
chen Verhaltens zu übertragen und sie einzuprägen , doch kann diese pragmatische Ein-
stellung nicht nur anhand der Wissenschaft ausgebildet werden. Es ist die kritische auf-
geklärte Haltung , die sich in den modernen Wissenschaften , aber auch anderswo zeigt
und ausbilden lässt. Dieses Verständnis von Relativierung kann sehr wohl auch direkt
in Moral und Ethik angewendet werden , was Frank selbst unternimmt. Entsprechende
Kapitelüberschriften lauten : „3. Was bedeutet ‚böse‘ ? Die relativistische Einstellung und
das menschliche Verhalten“, „9. Wie können wir im Falle von widersprechenden Werten
eine Entscheidung treffen ?“, „18. Wie werden strenge ethische Grundsätze in der Pra-
xis angewandt ?“
8.2.3 Pragmatische Ethik und relativierte Moral
8.2.3.1 Relativierung moralischer Begriffe
Nicht nur in der modernen Naturwissenschaft , sondern
auch in einer modernen Ethik und Moral müssten Be-
griffe bei erweitertem Erfahrungshorizont ergänzt wer-
den. Sei es im Erfahrungshorizont eines kleinen Kindes
hinreichend , „Hans ist böse“ als „Hans gehorcht seinen
Eltern nicht“ zu verstehen , so brauche es für Schulkinder
schon weitere Angaben , um eindeutig zu bleiben. Es er-
weitert sich zu „Hans ist böse in Bezug auf seine Eltern“
oder „Hans ist böse in Bezug auf seine Lehrer“, „Hans ist
böse in Bezug auf seine Mitschüler“. In der Bedeutung
„Hans ist böse in Bezug auf eine bestimmte Autorität“ ist
„böse“ unzweideutig. Die Relativierung schafft keinen Raum für subjektive oder skepti-
sche Deutungen ( Frank 1950 [ 1952 , 19 f. ]), sondern fordert „bloß“ Klarstellung :
Abb. 5 : Philipp Frank
Ethik und Moral im Wiener Kreis
Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Ethik und Moral im Wiener Kreis
- Untertitel
- Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
- Autor
- Annemarie Siegetsleitner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79533-9
- Abmessungen
- 16.9 x 23.9 cm
- Seiten
- 450
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 13
- 2. Terminologische Klärungen 37
- 3. Moral und Ethik im Wiener Kreis und die Standardauffassung logisch- empiristischer Ethik 52
- 4. Das kulturelle Umfeld des politischen und moralischen Engagements 67
- 5. Rudolf Carnap : Individualistischer Dezisionismus und wissenschaftlicher Humanismus 89
- 5.1 Einleitung 89
- 5.2 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik vor der Wiener-Kreis-Periode 92
- 5.3 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik in der Wiener-Kreis-Periode 111
- 5.3.1 Der logische Aufbau der Welt ( 1928a ) und die Konstitution von Werten 111
- 5.3.2 Scheinprobleme in der Philosophie ( 1928b ) 120
- 5.3.3 „Wissenschaft und Leben“ ( 1929b ) 123
- 5.3.4 „Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache“ ( 1931/32 ) 129
- 5.3.5 „Theoretische Fragen und praktische Entscheidungen“ ( 1934a ) 133
- 5.3.6 Philosophy and Logical Syntax ( 1935 ) 136
- 5. 3. 7 Carnaps moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 138
- 5.3.8 Carnaps individualistischer Dezisionismus und die Lebenspraxis 141
- 5.3.9 Möglichkeiten und Grenzen der Ethik 148
- 5.4 Spätphase : Optative 149
- 5.5 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 160
- 6. Karl Menger : Mathematische Modelle für ein verträgliches Zusammenleben 163
- 6.1 Einleitung 163
- 6.2 Mengers Logik der Sitten 168
- 6.3 Mengers Moralauffassung 177
- 6.3.1 Moral 1. und 2. Stufe , Basismoralen 177
- 6.3.2 Sinn und Zweck der / einer Moral 177
- 6.3.3 Kritik am Kategorischen Imperativ 179
- 6.3.4 Mengers Konzeption der Moralsprache : Semantischer Nonkognitivismus 180
- 6.3.5 Moralische Erkenntnis : Fundamentaler Nonkognitivismus und systemimmanenter Kognitivismus 182
- 6.4 Mengers Ethikverständnis 186
- 6.5 Menger und die Angewandte Ethik 193
- 6.6 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 194
- 7. Otto Neurath : Moral auf der Grundlage gemeinsam beschlossener humanistischer Lebensgrundsätze und Ethik in der Einheitswissenschaft 196
- 8. Philipp Frank : Pragmatische Ethik und relativierte Moral 251
- 9. Moritz Schlick : Eudämonistische Ethik als Weisheitslehre 265
- 10. Victor Kraft : Zwei-Komponenten-Kognitivismus und rationale Moralbegründung 332
- 10.1 Einleitung 332
- 10.2 Krafts moralische und ethische Auffassungen in der Wiener-Kreis-Periode 337
- 10.3 Krafts moralische und ethische Auffassungen nach der Wiener-Kreis-Periode 371
- 10.3.1 Moralbegründung auf Grundlage der Kultur : Die Grundlagen einer wissenschaftlichen Wertlehre , 2. Auflage ( 1951 ) 371
- 10.3.2 Moralbegründung auf Grundlage natürlicher Ziele : Rationale Moralbegründung ( 1963 ) 374
- 10.3.3 Moralbegründung auf der Grundlage primärer Strebensziele : Die Grundlagen der Erkenntnis und der Moral ( 1968 ) 377
- 10.4 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 383
- 11. Herbert Feigl : Pragmatische Moralbegründung 387
- 12. Systematische Zusammenfassung und allgemeine Schlussbemerkungen 402
- 12.1 Mangelndes Interesse an Moral als Menschen und Bürgerinnen oder Bürger 402
- 12.2 Geteilte moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 403
- 12.3 Differenzierungen in den Moralkonzeptionen 404
- 12.4 Differenzierungen in den Ethikkonzeptionen 409
- 12.5 Ausblick auf zukünftige Forschung 412
- 12.6 Allgemeine Schlussbemerkungen 413
- Literatur 417
- Abkürzungen 440
- Bildquellennachweis 440
- Personenregister 441