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I.5 Zentrale Begrifflichkeiten
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spitzt werden98 , machen die erwähnten Parallelen den Konservatismus seinerseits an-
fällig für Allianzen mit Rechtsextremen , für die Übernahme einer Vorbereiterfunktion
für diese oder gar für eigene Radikalisierung hin zur faschistischen Option.99 Letztere
scheint in Krisenzeiten am wahrscheinlichsten , zeigt Konservatismus sich doch wesen-
haft unfähig zu grundlegenden Reformen und tendiert dazu , deren Verweigerung durch
ideologische Ersatzhandlungen
– „neubelebte( n ) Wertefundamentalismus“, „Bindungs-
ideologien und Identitätsmythen“ – kompensieren zu wollen.100
Liberalismus fasse ich als politische Ideologie , die sich auf proklamatorischer Ebene
um das Postulat des Eigentums des Menschen an sich selbst und den daraus abgeleite-
ten zentralen Wert individueller Freiheit anordnet und bürgerliche Gesellschaften für
geeignet hält , diese Freiheit zu maximaler Entfaltung zu bringen. Daraus ergibt sich
ein ambivalentes Verhältnis zum bürgerlichen Staat : Einerseits muss Freiheit diesem
( in Form von Grundrechten ) abgerungen werden , andererseits kann im liberalen Ver-
ständnis nur er sie ( über das bürgerliche Recht und insbesondere den Schutz des Pri-
vateigentums ) garantieren. Ideologiekritisch bestimmt findet Liberalismus seinen Kern
dementsprechend in der
freie( n ) Verfügung des individuellen Wirtschaftssubjekts über das Privateigentum und ( der )
staatlich-rechtlich garantierte( n ) Sicherheit dieser Verfügung. Alle ökonomischen und so-
zialen Forderungen des Liberalismus sind wandelbar um dies eine stabile Zentrum – wan-
delbar bis zur Selbstaufhebung.101
Anders als Konservative bejahen Liberale seit jeher die Gleichheit der Menschen. Sie
sehen diese in der Gleichheit der Staatsbürger ( inzwischen : StaatsbürgerInnen ) vor
dem Recht verwirklicht , die freilich historisch wie funktional lediglich eine abgelei-
tete Größe einer anderen Form der Vergleichung darstellt : jener durch den Zwang , am
kapitalistischen Wirtschaftsprozess teilzunehmen , der rechtlich gleiche , vertragsfähige
Subjekte zur Voraussetzung hat , real aber soziale Ungleichheit produziert.102
Historisch stand der vom Bürgertum getragene Liberalismus dem Konservatismus
der Feudalaristokratie antagonistisch gegenüber. In jenem Maße aber , in dem das Bür-
gertum zur ökonomisch wie politisch tonangebenden Klasse aufstieg , glichen seine
98 Schiedel 2007 , 25.
99 Vgl. zu letztgenanntem Aspekt historisch Lenk 1994b , 130 und 139 ; Grebing 1973 , 201 ; Fritzsche 1998 , 285–
290. Zum Verhältnis von Rechtsextremismus und Konservatismus vgl. auch Grebing 1971 , Lenk 1994a
und Venner 1994.
100 Fritzsche 1998 , 298 ( Herv. entf. ).
101 Herbert Marcuse , zit. n. Döhn 1998 , 227 f.
102 Zur Kritik des liberalen Verständnisses von Freiheit und Gleichheit vgl. Gruber 1998 sowie Döhn 1998 ,
v. a. 222–228.
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Untertitel
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Autor
- Bernhard Weidinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 634
- Schlagwörter
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619