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II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration
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wie ( intergenerationelle ) bundesbrüderliche Loyalität benennen , verstärkt durch eine
Beharrungshaltung nach dem neuerlichen , das burschenschaftliche Trauma von 1871
aktualisierenden ‚Ausschluss aus Deutschland‘.
Was den erstgenannten Faktor anbelangt , wurde eine ergebnisoffene Auseinander-
setzung mit der ( nicht zuletzt : eigenen ) nationalsozialistischen Vergangenheit durch
den Umstand erschwert , dass die aktive und oft begeisterte Teilnahme von Burschen-
schaftern an den imperialistischen , rassistischen und antisemitischen Projekten Nazi-
deutschlands burschenschaftlichen Ideen ( jedenfalls in deren in Österreich ab etwa 1880
vorherrschenden Fassung ) keineswegs widersprach. Vielmehr ermöglichte der National-
sozialismus Burschenschaftern , diese Ideen
– ihren unbedingten Wunsch nach ‚Groß-
deutschland‘ , ihren auf Vernichtung drängenden Antisemitismus , die Einsetzung des
Wohles ‚Deutschlands‘ als höchstes ethisches Gut376 – in die Tat umzusetzen.377 Sich
allzu deutlich vom Nationalsozialismus und seinen Projekten zu distanzieren , hätte
daher bedeutet , sich nicht nur gegenüber bestimmten verbrecherischen Handlungen
Einzelner ( gegebenenfalls auch eigener Handlungen im Fall der ‚Erlebnisgeneration‘ ),
sondern auch von der burschenschaftlichen Überlieferung bis 1938 abzugrenzen und
–
jenseits individueller Biographien – die burschenschaftliche Idee selbst auf den Prüf-
stein zu stellen. Dazu waren offenkundig nur die wenigsten bereit. Der Wunsch nach
Reinhaltung des kollektiven und individuellen Selbstbildes erwies sich als stärker als
die Bereitschaft zu schmerzhafter Selbstreflexion ( und fand Rückhalt in einem ge-
sellschaftlichen Klima des Leugnens , Verdrängens und der Selbstviktimisierung ). Die
weitgehend bruchlose Fortführung der
– formalen wie ideellen
– Vorkriegstraditionen
wurde darüber hinaus durch die im Rahmen burschenschaftlicher Erziehung vollzo-
gene Sinnstiftung und ideologische Formierung sowie aus beiden folgende ( Selbst-)
Kritikunfähigkeit begünstigt. Insoweit diese Erziehung den Einzelnen nicht nur im
Sinne politischer Sozialisation , sondern auch im breiteren Sinne persönlicher Identi-
tätsbildung prägt , konnte eine Infragestellung der Grundlagen dieser Erziehung in die
Nähe einer grundsätzlichen Infragestellung des eigenen Selbstkonzepts rücken. Die-
sem Gedanken folgte Scheichl 1966 in zugespitzter Form , als er in seiner kontroversi-
ellen Linzer Rede
– mit Blick auf die ‚Alten Herren‘
– ausführte , es müsse „jedem bil-
lig Denkenden verständlich sein , daß jene , die voll Idealismus Hitler gefolgt sind und
376 Vgl. zur Aktualität dieser völkischen Ethik die unter Abschnitt II.5.6 zitierte Aussage Gerhard Schlüs-
selbergers sowie Kapitel III.7.
377 Noch deutlicher treten die Übereinstimmungen auf der Ebene allgemeiner Werte und Tugenden zutage.
Wo tatsächlich Widersprüche bestanden , kamen diese sowohl historisch als auch in der retro spektiven
burschenschaftlichen Betrachtung häufig nicht zum Tragen , da man sich ( nicht gänzlich unbegründet )
weigerte , zwischen dem ‚deutschen Volk‘ und seinen Herrschern zu unterscheiden. Wer für Ersteres
eintrat , musste in dieser Logik zwangsläufig Letzteren Gefolgschaft leisten.
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Untertitel
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Autor
- Bernhard Weidinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 634
- Schlagwörter
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619