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III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt
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Der Wunsch nach Heilung der psychischen Wunden von 1945 , der vom burschen-
schaftlichen Wertesystem ausgehende , zugleich konservative und rebellische Impe-
tus und der als Affront empfundene Österreichnationalismus der maßgeblichen poli-
tischen Akteure der Zweiten Republik erhoben aus burschenschaftlicher Sicht die
eigene Unerschütterlichkeit in Sachen des deutschen Bekenntnisses im wahrsten Sinne
des Wortes zur Fahnenfrage ( bzw. konservierten sie in dieser Funktion ). Gerade weil
die Burschenschaften in der Zweiten Republik „eine der wenigen Kräfte“ bildeten , die
noch den Deutschnationalismus hochhielten ( respektive „das Anliegen unseres Vol-
kes vertr[ a ]ten“ ), erachteten sie sich als „wichtiger denn je“.686 Klärungsbedürftig er-
schien daher so manchem weniger , inwieweit der völkische Gedanke nach Auschwitz
noch haltbar sei , sondern ganz im Gegenteil , ob bzw. welche burschenschaftliche( n )
Anschauungen „in der heutigen Weltlage ( … ) gegenüber dem Vaterlandsgedanken in
den Hintergrund treten sollten“.687
Die trotz allem unleugbare , akute Legitimationsnot des völkischen Bekenntnisses
nach 1945 ( zumindest ) nach außen sowie wohl auch das Bedürfnis , die quasi-religi-
öse Hinwendung an die Figur des Deutschtums zu rationalisieren , ließen Burschen-
schafter darüber hinaus nach Begründungen für die Notwendigkeit einer ‚Deutscher-
haltung‘ Österreichs suchen , die geeignet wären , sowohl Zweifler im Inneren als auch
die Außenwelt zu überzeugen. Die ideologischen Arsenale der völkischen Bewegung
hielten dazu Material bereit , das im Kontext des Kalten Krieges nur geringfügig mo-
dernisiert werden musste. Ein ‚entdeutschtes‘ Österreich , hieß es nun , würde zum Ein-
fallstor des Bolschewismus nach Mittel- und Westeuropa. Damit konnte man nicht
nur an eine weitverbreitete antikommunistische Stimmung ( und unmittelbar an die
NS-Propaganda ) anknüpfen688 , sondern auch an das schon im 19. Jahrhundert gepflegte
Ideologem der „deutsche( n ) Aufgabe Österreichs“689 : Einmal mehr erschien das Al-
pen-Donau-Land als Vorposten der westlichen Zivilisation im Allgemeinen und des
Deutschtums im Besonderen. So verwies etwa der Liberte Karl Otto Rieß 1958 in einer
Festansprache auf die „Zeit der Türkenkriege , als Österreich für das Abendland asiati-
sche Wellen aufhalten konnte ; wir hoffen , daß auch dieser neuerliche Eroberungswille
wiederum nun hier anbranden kann“.690 Berka zufolge würde eine Loslösung Öster-
686 Aldania 1994 , 39.
687 Teutonia 1968 , 111.
688 So erklärten 63 Prozent der im Zuge einer zwischen 1976 und 1978 vom IFES-Institut und dem Linzer
Universitätsinstitut für Neuere Geschichte und Zeitgeschichte durchgeführten Studie Befragten , lie-
ber unter dem nationalsozialistischen als unter einem kommunistischen Regime leben zu wollen ( vgl.
Kaindl-Widhalm 1990 , 120 ).
689 Peter Wrabetz jun. ( Gothia ) im DBÖ-Rundschreiben Nr. 3 ( Brixia ) vom 8. 2. 1961 , 3 ( BAK , DB 9 , E. 4 [ B1 ]).
690 Zit. n. Libertas 1967 , 173. Vgl. zu den historischen Vorläufern der Wahrnehmung Österreichs als Au-
ßenposten und Schutzwall des Deutschtums Puschner 2001 , 104 ; Wredens Bemerkung über die „Ab-
wehrstellung des österreichischen Deutschtums von jeher“ ( zit. in Libertas 1967 , 105 ); oder die Schil-
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Untertitel
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Autor
- Bernhard Weidinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 634
- Schlagwörter
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619