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III.8 Burschenschaften und Demokratie
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„parteiförmige Rechtsextremismus und noch mehr der Rechtspopulismus“ sich mit der
Demokratie als Form arrangiert hätten.740 Aufgrund dieser Adaption ist offene Demo-
kratiefeindlichkeit als Kriterium zur Bestimmung des politischen Standorts auch der
Burschenschaften ( die freilich nicht in toto der extremen Rechten zuzurechnen sind )
nur mehr beschränkt geeignet. Zu fragen wäre vielmehr nach dem Verhältnis von Bur-
schenschaften zu Demokratie als Inhalt respektive zur Demokratisierung als „eman-
zipatorische( m ) Projekt“741. Letztere fasse ich dabei als Prozess der Erweiterung der
Möglichkeiten von Individuen , die Bedingungen ihres Lebens aktiv zu gestalten , als
Prozess der Erweiterung von Teilhabechancen.
Auch in dieser Hinsicht liefert das Quellenmaterial Anknüpfungspunkte – und re-
flektiert damit jene ( in Österreich eher marginale ) ‚national-liberale‘ Traditionslinie bur-
schenschaftlicher Ideengeschichte , die anstelle eines klaren Primats des Völkischen ‚natio-
nale‘ Anliegen mit liberalem Anspruch auszubalancieren beanspruchte. Ausdruck fand sie
nach 1945 etwa im Eintreten von ( RFS-)Burschenschaftern für eine „freiheitliche Rechts-
ordnung“ und gegen „jeden Versuch zur Schaffung eines kollektivistischen Systems“.742
Jörg Haider räsonierte 1978 – damals bereits promoviert und Kärntner Landespartei-
sekretär der FPÖ
– im Ring über das vermeintliche SPÖ-Ziel einer „sozialistischen Ge-
sellschaft , wo die Norm des staatlichen Kollektivs die Handlungs- und Lebensziele des
einzelnen absteckt“.743 Wenn zudem der RFS in jener Zeit auf die von einer Haltung der
politischen Lethargie ausgehende Demokratiegefährdung aufmerksam macht744 , Aldania
1994 die Wahrung von Grundrechten zum Teil der „Basis unseres Handelns“ erklärt745
oder Oliver Dick ( Arminia Czernowitz zu Linz , Gothia Salzburg ) 2009 Österreich und
Deutschland als „Postdemokratien“ bezeichnet746 , so zeugt all dies fraglos von einem
Demokratieverständnis , das bei bloßen institutionellen Formen nicht haltmacht , son-
dern auch inhaltliche Ansprüche stellt
– trotz des expliziten Plädoyers eines Ring-Chef-
redakteurs ( und Olympen ) für „Demokratie nicht als Inhalt , sondern als Form“.747 Eine
740 Schiedel 2007 , 27 f.
741 Ebd., 28.
742 Rainer Pawkowicz auf der Titelseite von Der Ring Nr. 11 / 1970 [ Ausgabe für die TH Wien ].
743 Der Ring Nr. 5 / 1978 , 11. Vgl. zu anti-kollektivistischen , pro-individualistischen Stellungnahmen des RFS
etwa auch Der Ring Nr. 1 / 1975 , 5 f. ; Nr. 1 / 1976 , 3 ; oder jenes Flugblatt von 1977 , dem zufolge die Frei-
heitlichen Studenten „nicht für kollektive Beglückung , sondern für die Freiheit des einzelnen“ einträten
( PBW ).
744 Der Ring Nr. 4 / 1979 , 6.
745 Aldania 1994 , 244.
746 http://www.burschenschaftliche-blaetter.de/netzversion/detailansicht/browse/5/meldung/395/190-jah-
re-k.html.
747 Werner Lackner in Der Ring Nr. 2 / 1974 , 3. Um welche Ansprüche es sich dabei handelt , bleibt freilich
noch zu bestimmen. So fällt beispielsweise auf , dass Grundrechte von burschenschaftlicher Seite v. a.
dort eingemahnt werden , wo es um die Sagbarkeit ‚unorthodoxer‘ historischer ‚Meinungen‘ geht , kaum
jedoch dort , wo etwa die vitalen Interessen von AsylwerberInnen auf dem Spiel stehen.
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Untertitel
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Autor
- Bernhard Weidinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 634
- Schlagwörter
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619