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V. Burschenschaften und politische Parteien
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dende historische Erfahrungen lassen sich demgegenüber die ‚Waffenbrüderschaft‘ von
katholischen und völkischen Korporierten im Ersten Weltkrieg , gemeinsame Organi-
sierung in Heimwehr-Verbänden ( insbesondere im Steirischen Heimatschutz ) oder die
Brückenbauversuche der Zwischenkriegs- und der ‚Anschluß‘-Zeit zwischen Kirche
und Nationalsozialismus nennen , die nicht zuletzt im deutsch-völkischen Flügel des
ÖCV ihre Basis hatten.
Im Fall der SPÖ reichten die historischen Verbindungslinien weiter zurück. So wer-
den in burschenschaftlichen Quellen etwa das Revolutionsjahr 1848 oder die sogenann-
ten Badeni-Krawalle 1897 herangezogen , um eine Tradition gemeinsamer Kämpfe von
Arbeitern und Studenten zu beschwören.281 Unbestreitbar sind die gleichfalls oft refe-
rierten gemeinsamen Wurzeln der organisierten Sozialdemokratie und der Parteien-
landschaft des ‚Dritten Lagers‘ , personifiziert in Persönlichkeiten wie den Burschen-
schaftern und Sozialdemokraten Engelbert Pernerstorfer und Victor Adler.282 Einen
frischeren Anknüpfungspunkt lieferte die Verfolgung durch das Dollfuß- und Schusch-
nigg-Regime : So wie diese völkische Korporierte auf Distanz zur ÖVP brachte , stif-
tete sie Verbundenheit mit den ehemaligen Lager- und Zellengenossen , die nun in der
SPÖ organisiert waren.283 Es lässt sich in diesem Zusammenhang von einer Art ‚Geist
der Lagerstraße von Wöllersdorf‘ sprechen. In inhaltlicher Hinsicht treten in burschen-
schaftlicher Darstellung neben dem Antiklerikalismus der großdeutsche Gedanke und
die soziale Frage als gemeinsame Basis hervor , wobei letztlich eine klare Trenn
linie zum
sozialistischen Internationalismus und zu proletarischen Klassenstandpunkten ( denen
das Ideal der Volksgemeinschaft gegenübergestellt wird ) gezogen wird.284 Entlang die-
ser Abgrenzung erachteten manche völkische Korporierte wiederum die ÖVP als gleich-
vergleichsweise gutes Verhältnis gepflogen ( Interview vom 24. 2. 2010 ). Vgl. zur Bedeutung des Anti-
klerikalismus auch die von Kraus ( 1988 , 278 ) kolportierte Einsicht Julius Raabs Ende der 1940er-Jahre ,
„dass die ÖVP zahllose antiklerikale Bürgerliche , wie die Burschenschafter und viele ehemalige Nazi ,
doch nie gewinnen könne“. Grillmayer ( 2006 , 124 und 147 ) ortet ein solches Umdenken in der ÖVP erst
unter Karl Schleinzer im Nachklang der Nationalratswahl von 1971.
281 Vgl. etwa Alemannia 1962 , 6 und Aldania 1994 , 38. Die Badeni-Krawalle ereigneten sich in Reaktion
auf die vom damaligen österreichischen Ministerpräsidenten Kasimir Felix Badeni erlassene Sprachen-
verordnung , die auch für die vorwiegend deutschsprachigen Teile Böhmens und Mährens ( Čechy bzw.
Morava ) eine zweisprachige Amtsführung vorsah. Die von deutschsprachiger Seite ( und nicht zuletzt ,
aber nicht ausschließlich von deutsch-völkischen Kreisen ) inszenierten Proteste blieben nicht auf die
betroffenen Gebiete beschränkt , sondern erfassten u. a. auch Wien und führten letztlich zum Sturz des
Ministerpräsidenten.
282 Vgl. u. a. F. Stefan 2009 , 10.
283 Interview mit Frischenschlager vom 11. 12. 2009. Alemannen-Chronist Gärtner sah „Arbeiter und Stu-
denten“ im Angesicht der ständestaatlichen Repression gar „vereint wie 1848“ ( Alemannia 1962 , 100 ).
284 Vgl. Alemannia 1962 , 7. Generell findet die Verwandtschaft von Burschenschaften und Sozialdemokra-
tie in Gärtners Alemannen-Chronik starke Betonung ( vgl. ebd., 6 f., 13 , 15 , 100 ). Für ein rezenteres Bei-
spiel vgl. die Ausführungen des FPÖ-Politikers und Pennalburschenschafters Werner Neubauer in der
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Untertitel
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Autor
- Bernhard Weidinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 634
- Schlagwörter
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619