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1. Einleitung
18 Eine Büste Ernst Machs befindet sich im Wiener Rathauspark. Sie wurde am 12. Juni
1926 mit Beiträgen von Albert Einstein , Felix Ehrenhaft , Moritz Schlick und Hans Thir-
ring enthüllt. ( Haller / Stadler 1988 , 58–62 , siehe insgesamt Stadler 1988 ) Schlick hielt bei
dieser Gelegenheit eine seiner allgemeinen Haltung entsprechende optimistische Rede.
( Stadler 2003 , 13 ) Laut Gründungsaufruf will der Verein die wissenschaftliche Weltauf-
fassung fördern und verbreiten :
Er wird Vorträge und Veröffentlichungen über den augenblicklichen Stand wissenschaftli-
cher Weltanschauung [ sic ! ] veranlassen , damit die Bedeutung exakter Forschung für Sozi-
alwissenschaften und Naturwissenschaften gezeigt wird. So sollen gedankliche Werkzeuge des
modernen Empirismus geformt werden , deren auch die öffentliche und private Lebensgestaltung
eventuell bedarf. ( Gründungsaufruf und Beitrittserklärung zum Verein Ernst Mach. Abge-
druckt in : Stadler 1997a , 366–367 , hier 366 )
Die Vorträge , Exkursionen , Tagungen und Arbeitsgemeinschaften sollten sich an ein brei-
teres , nicht nur akademisches , Publikum richten.6 1929 gab der Verein eine Programm-
schrift ( siehe unten ) heraus. Darüber hinaus veranstaltete er mit der Berliner Gruppe um
Hans Reichenbach die „Tagung für Erkenntnislehre der exakten Wissenschaften“, die im
Rahmenprogramm des Physikertages vom 15. bis 17. September 1929 in Prag stattfand.
Der Verein war ausdrücklich zur Verbreitung der wissenschaftlichen Weltauffassung
gedacht und wurde , so Elisabeth Nemeth , zu Recht von den Behörden als ein politisches
Instrument wahrgenommen. ( Nemeth 1994 , 119 ) Wurde der Freidenkerbund bereits im
Juli 1933 aufgelöst , so erfolgte die Auflösung des Vereins Ernst Mach aufgrund einer an-
geblichen staats- und regierungsfeindlichen Tätigkeit im Februar 1934. Auch ein Pro-
testschreiben Schlicks vom 2. März 1934 , in dem er die rein wissenschaftliche Tätigkeit
des Vereins herausstellte ( oder lediglich behauptete ? ) und eine Verbindung zur sozialde-
mokratischen Partei als „vollkommen irrig“ bezeichnete , konnte dies nicht verhindern.7
Ebenso wenig halfen weitere Schreiben Schlicks. Der Auflösungsbescheid wurde im Mai
rechtskräftig. ( Stadler 1982b , 204 )8
Die Programmschrift : Im Rahmen oben genannter Tagung in Prag erschien 1929 die
Schrift Wissenschaftliche Weltauffassung. Der Wiener Kreis. Als Herausgeber trat der Verein
Ernst Mach auf , Verfasserinnen oder Verfasser werden hingegen keine genannt. Konzipiert
wurde die Schrift in ihrer Grundausrichtung maßgeblich von Neurath. Nachdem mehre-
re ( v. a. Carnap , Feigl und Hahn ) an ihrem komplizierten Entstehungsprozess mitgewirkt
6 Auch Sigmund Freud , der sich als Naturwissenschaftler verstand ( so berichtet laut Dahms Marie Jaho-
da ; Dahms 1994 , 46 ), war Mitglied des Vereins. Der zweite Vortrag , der im Verein gehalten wurde , war
„Occams Rasiermesser“ von Hahn.
7 Brief an Hofrat Ganz. Der Brief ist wörtlich zitiert in Stadler 1982a , 196–199. Zu weiteren Inhalten
dieses Schreibens siehe auch Kapitel 4 der vorliegenden Untersuchung.
8 Ausführlich zum Verein Ernst Mach siehe v. a. Stadler ( 1982a , Teil 2 ) und Stadler ( 1997a , 364–370 ).
Ethik und Moral im Wiener Kreis
Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Ethik und Moral im Wiener Kreis
- Untertitel
- Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
- Autor
- Annemarie Siegetsleitner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79533-9
- Abmessungen
- 16.9 x 23.9 cm
- Seiten
- 450
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 13
- 2. Terminologische Klärungen 37
- 3. Moral und Ethik im Wiener Kreis und die Standardauffassung logisch- empiristischer Ethik 52
- 4. Das kulturelle Umfeld des politischen und moralischen Engagements 67
- 5. Rudolf Carnap : Individualistischer Dezisionismus und wissenschaftlicher Humanismus 89
- 5.1 Einleitung 89
- 5.2 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik vor der Wiener-Kreis-Periode 92
- 5.3 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik in der Wiener-Kreis-Periode 111
- 5.3.1 Der logische Aufbau der Welt ( 1928a ) und die Konstitution von Werten 111
- 5.3.2 Scheinprobleme in der Philosophie ( 1928b ) 120
- 5.3.3 „Wissenschaft und Leben“ ( 1929b ) 123
- 5.3.4 „Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache“ ( 1931/32 ) 129
- 5.3.5 „Theoretische Fragen und praktische Entscheidungen“ ( 1934a ) 133
- 5.3.6 Philosophy and Logical Syntax ( 1935 ) 136
- 5. 3. 7 Carnaps moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 138
- 5.3.8 Carnaps individualistischer Dezisionismus und die Lebenspraxis 141
- 5.3.9 Möglichkeiten und Grenzen der Ethik 148
- 5.4 Spätphase : Optative 149
- 5.5 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 160
- 6. Karl Menger : Mathematische Modelle für ein verträgliches Zusammenleben 163
- 6.1 Einleitung 163
- 6.2 Mengers Logik der Sitten 168
- 6.3 Mengers Moralauffassung 177
- 6.3.1 Moral 1. und 2. Stufe , Basismoralen 177
- 6.3.2 Sinn und Zweck der / einer Moral 177
- 6.3.3 Kritik am Kategorischen Imperativ 179
- 6.3.4 Mengers Konzeption der Moralsprache : Semantischer Nonkognitivismus 180
- 6.3.5 Moralische Erkenntnis : Fundamentaler Nonkognitivismus und systemimmanenter Kognitivismus 182
- 6.4 Mengers Ethikverständnis 186
- 6.5 Menger und die Angewandte Ethik 193
- 6.6 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 194
- 7. Otto Neurath : Moral auf der Grundlage gemeinsam beschlossener humanistischer Lebensgrundsätze und Ethik in der Einheitswissenschaft 196
- 8. Philipp Frank : Pragmatische Ethik und relativierte Moral 251
- 9. Moritz Schlick : Eudämonistische Ethik als Weisheitslehre 265
- 10. Victor Kraft : Zwei-Komponenten-Kognitivismus und rationale Moralbegründung 332
- 10.1 Einleitung 332
- 10.2 Krafts moralische und ethische Auffassungen in der Wiener-Kreis-Periode 337
- 10.3 Krafts moralische und ethische Auffassungen nach der Wiener-Kreis-Periode 371
- 10.3.1 Moralbegründung auf Grundlage der Kultur : Die Grundlagen einer wissenschaftlichen Wertlehre , 2. Auflage ( 1951 ) 371
- 10.3.2 Moralbegründung auf Grundlage natürlicher Ziele : Rationale Moralbegründung ( 1963 ) 374
- 10.3.3 Moralbegründung auf der Grundlage primärer Strebensziele : Die Grundlagen der Erkenntnis und der Moral ( 1968 ) 377
- 10.4 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 383
- 11. Herbert Feigl : Pragmatische Moralbegründung 387
- 12. Systematische Zusammenfassung und allgemeine Schlussbemerkungen 402
- 12.1 Mangelndes Interesse an Moral als Menschen und Bürgerinnen oder Bürger 402
- 12.2 Geteilte moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 403
- 12.3 Differenzierungen in den Moralkonzeptionen 404
- 12.4 Differenzierungen in den Ethikkonzeptionen 409
- 12.5 Ausblick auf zukünftige Forschung 412
- 12.6 Allgemeine Schlussbemerkungen 413
- Literatur 417
- Abkürzungen 440
- Bildquellennachweis 440
- Personenregister 441