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2.3 Metaethik
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usw. unter moralischen Gesichtspunkten zu beurteilen oder ihr Handeln ( usw. ) an mora-
lischen Normen zu orientieren. ( Birnbacher 2003 , 427 )
Was die Unterscheidung von Nonkognitivismus und Kognitivismus betrifft , bildet der
Nonkognitivismus in den gegenwärtigen metaethischen Diskussionen ( noch ) das Zent-
rum der Debatte , sodass üblicherweise zunächst die nonkognitivistische Position inhalt-
lich erläutert wird und der Kognitivismus als Verneinung des Nonkognitivismus definiert
wird. ( So beispielsweise von van Roojen in der Stanford Encyclopedia of Philosophy ( van
Roojen 2009 )) Roojen versteht unter einem Nonkognitivismus eine Position , die ontolo-
gische , erkenntnistheoretische , sprach- und geistesphilosophische Positionen umfasst. Der
Nonkognitivismus ist in van Roojens Terminologie durch folgende Thesen charakterisiert :
1. Es gibt keine moralischen Eigenschaften oder moralischen Tatsachen.
2. Es gibt keine moralische Erkenntnis.
3. Moralische Begriffe beschreiben keine Eigenschaften oder Tatsachen. Sie
können deshalb weder wahr noch falsch sein. ( Semantic nonfactualism )
4. Moralische Begriffe drücken vielmehr nicht-kognitive ( konative ) Haltungen
wie Wünsche , Gefühle , Zustimmung oder Ablehnung aus.
Obwohl diese terminologische Festlegung sicherlich nützlich sein kann , werde ich ihr aus
Gründen , die aus meinen weiteren Erläuterungen deutlich werden sollten , nicht folgen.
Wie an dem Überblick bereits ersichtlich wurde , werde ich die Kategorien von Kogniti-
vismus und Nonkognitivismus an mehreren Stellen einführen , doch nicht als metaethische
Grundunterscheidung , in der dann alle anderen Unterscheidungen als Varianten dieser zwei
Gruppen auftreten. Als Grundunterscheidung können sie nämlich nur fungieren , wenn sie
wie bei van Roojen in sich äußerst komplex werden. Das alleine spricht nicht gegen sie als
Grundunterscheidung , doch muss , wenn das „non“ die Negation ausdrücken soll , eine der
beiden Optionen gleichzeitig so vielschichtig werden , dass diese fast alles umfasst und so-
mit nur mehr über wenig Aussagekraft verfügt. Grundsätzlich läge es nahe , „Kognitivismus“
und „Nonkognitivismus“ nur als erkenntnistheoretische Positionen zu verstehen , wie es dem
Wortsinn entspräche ( kognitiv = die Erkenntnis betreffend ). Da es jedoch auch üblich ist ,
sprachphilosophische Positionen damit zu bezeichnen , werde ich auch von einem seman-
tischen Kognitivismus bzw. Nonkognitivismus im unten zu erläuternden Sinne sprechen.
Mit meiner Aufteilung in sprachphilosophische , ontologische und erkenntnistheoreti-
sche Fragestellungen soll weitgehend vermieden werden , dass sich diese Positionen vermi-
schen.38 Außerdem soll damit die Aufmerksamkeit in der Debatte zwischen Kognitivismus
oder Nonkognitivismus wieder auf die Inhalte gelenkt werden , anstatt einen Stellungs-
38 Dass diese Gebiete auch bei John L. Mackies „ethischem Skeptizismus“ durcheinander geraten , dar-
auf hat Kutschera ( 1982 , 48 ) hingewiesen. Es handelt sich dabei primär um eine ontologische Position
und nur sekundär um eine erkenntnistheoretische. ( Siehe auch Birnbacher 2003 , 355 )
Ethik und Moral im Wiener Kreis
Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Ethik und Moral im Wiener Kreis
- Untertitel
- Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
- Autor
- Annemarie Siegetsleitner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79533-9
- Abmessungen
- 16.9 x 23.9 cm
- Seiten
- 450
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 13
- 2. Terminologische Klärungen 37
- 3. Moral und Ethik im Wiener Kreis und die Standardauffassung logisch- empiristischer Ethik 52
- 4. Das kulturelle Umfeld des politischen und moralischen Engagements 67
- 5. Rudolf Carnap : Individualistischer Dezisionismus und wissenschaftlicher Humanismus 89
- 5.1 Einleitung 89
- 5.2 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik vor der Wiener-Kreis-Periode 92
- 5.3 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik in der Wiener-Kreis-Periode 111
- 5.3.1 Der logische Aufbau der Welt ( 1928a ) und die Konstitution von Werten 111
- 5.3.2 Scheinprobleme in der Philosophie ( 1928b ) 120
- 5.3.3 „Wissenschaft und Leben“ ( 1929b ) 123
- 5.3.4 „Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache“ ( 1931/32 ) 129
- 5.3.5 „Theoretische Fragen und praktische Entscheidungen“ ( 1934a ) 133
- 5.3.6 Philosophy and Logical Syntax ( 1935 ) 136
- 5. 3. 7 Carnaps moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 138
- 5.3.8 Carnaps individualistischer Dezisionismus und die Lebenspraxis 141
- 5.3.9 Möglichkeiten und Grenzen der Ethik 148
- 5.4 Spätphase : Optative 149
- 5.5 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 160
- 6. Karl Menger : Mathematische Modelle für ein verträgliches Zusammenleben 163
- 6.1 Einleitung 163
- 6.2 Mengers Logik der Sitten 168
- 6.3 Mengers Moralauffassung 177
- 6.3.1 Moral 1. und 2. Stufe , Basismoralen 177
- 6.3.2 Sinn und Zweck der / einer Moral 177
- 6.3.3 Kritik am Kategorischen Imperativ 179
- 6.3.4 Mengers Konzeption der Moralsprache : Semantischer Nonkognitivismus 180
- 6.3.5 Moralische Erkenntnis : Fundamentaler Nonkognitivismus und systemimmanenter Kognitivismus 182
- 6.4 Mengers Ethikverständnis 186
- 6.5 Menger und die Angewandte Ethik 193
- 6.6 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 194
- 7. Otto Neurath : Moral auf der Grundlage gemeinsam beschlossener humanistischer Lebensgrundsätze und Ethik in der Einheitswissenschaft 196
- 8. Philipp Frank : Pragmatische Ethik und relativierte Moral 251
- 9. Moritz Schlick : Eudämonistische Ethik als Weisheitslehre 265
- 10. Victor Kraft : Zwei-Komponenten-Kognitivismus und rationale Moralbegründung 332
- 10.1 Einleitung 332
- 10.2 Krafts moralische und ethische Auffassungen in der Wiener-Kreis-Periode 337
- 10.3 Krafts moralische und ethische Auffassungen nach der Wiener-Kreis-Periode 371
- 10.3.1 Moralbegründung auf Grundlage der Kultur : Die Grundlagen einer wissenschaftlichen Wertlehre , 2. Auflage ( 1951 ) 371
- 10.3.2 Moralbegründung auf Grundlage natürlicher Ziele : Rationale Moralbegründung ( 1963 ) 374
- 10.3.3 Moralbegründung auf der Grundlage primärer Strebensziele : Die Grundlagen der Erkenntnis und der Moral ( 1968 ) 377
- 10.4 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 383
- 11. Herbert Feigl : Pragmatische Moralbegründung 387
- 12. Systematische Zusammenfassung und allgemeine Schlussbemerkungen 402
- 12.1 Mangelndes Interesse an Moral als Menschen und Bürgerinnen oder Bürger 402
- 12.2 Geteilte moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 403
- 12.3 Differenzierungen in den Moralkonzeptionen 404
- 12.4 Differenzierungen in den Ethikkonzeptionen 409
- 12.5 Ausblick auf zukünftige Forschung 412
- 12.6 Allgemeine Schlussbemerkungen 413
- Literatur 417
- Abkürzungen 440
- Bildquellennachweis 440
- Personenregister 441