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3. Moral und Ethik im Wiener Kreis und die Standardauffassung logisch-empiristischer Ethik
62 Gut in dieses Bild passt , was Carnap in „Überwindung der Metaphysik durch logische
Analyse der Sprache“ schreibt :
Die logische Analyse spricht somit das Urteil der Sinnlosigkeit über jede vorgebliche Er-
kenntnis , die über oder hinter die Erfahrung greifen will. Dieses Urteil trifft zunächst jede
spekulative Metaphysik , [ … ]. [ … ] Weiter gilt das Urteil auch für alle Wert- oder Normphilo-
sophie , für jede Ethik oder Ästhetik als normative Disziplin. Denn die objektive Gültigkeit ei-
nes Wertes oder einer Norm kann ja ( auch nach Auffassung der Wertphilosophen ) nicht em-
pirisch verifiziert oder aus empirischen Sätzen deduziert werden ; sie kann daher überhaupt
nicht ( durch einen sinnvollen Satz ) ausgesprochen werden. ( Carnap 1931/32 [ 2004 , 102 f. ])
Dies ist sicherlich eine der am häufigsten zitierten Stellen , wenn es um die logisch-empi-
ristische Auffassung von Moral und Ethik geht. Nicht zufällig wird eine angeblich gemein-
same ( oder zumindest paradigmatische ) logisch-empiristische Position mit Carnap’schen
Formulierungen untermauert. Auch 1935 schreibt er in Philosophy and Logical Syntax :
But actually a value statement is nothing else than a command in a misleading grammati-
cal form. [ … ]
[ … ] From the statement “Killing is evil” we cannot deduce any proposition about future ex-
periences. This statement is not verifiable and has no theoretical sense , and the same thing is
true of all other value statements. ( Carnap 1935 , 24 f. )
Meist sind solchen Zitaten Aussagen Ayers voran- oder nachgestellt. Denn maßgeblich
geprägt wurde die Standardauffassung logisch-empiristischer Ethik durch eine entspre-
chende Darstellung in Ayers Buch Language , Truth and Logic , das 1936 erschien und in
seiner leicht lesbaren Form vor allem im anglo-amerikanischen Raum die Sicht des Lo-
gischen Empirismus bestimmte.
The presence of an ethical symbol in a proposition adds nothing to its factual content. Thus
if I say to someone , “You acted wrongly in stealing that money ,” I am not stating anything
more than if I had simply said , “You stole that money.” In adding that this action is wrong I
am not making any further statement about it. I am simply evincing my moral disapproval of
it. It is as if I had said , “You stole that money ,” in a peculiar tone of horror , or written it with
the addition of some special exclamation marks. The tone , or the exclamation marks , adds
nothing to the literal meaning of the sentence. It merely serves to show that the expression
of it is attended by certain feelings in the speaker. ( Ayer 1936 , 110 )
Allgemeingültigkeit ) sein oder logische Beziehungen ( wie z. B. die Beziehung der logischen Folge , der
logischen Unvereinbarkeit usw. ) zu anderen Sätzen eingehen ( gleichgültig , ob es sich bei diesen ande-
ren Sätzen selbst wieder um Sollsätze handelt oder nicht ).“ ( Morscher 2009 , 241 )
Ethik und Moral im Wiener Kreis
Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Ethik und Moral im Wiener Kreis
- Untertitel
- Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
- Autor
- Annemarie Siegetsleitner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79533-9
- Abmessungen
- 16.9 x 23.9 cm
- Seiten
- 450
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 13
- 2. Terminologische Klärungen 37
- 3. Moral und Ethik im Wiener Kreis und die Standardauffassung logisch- empiristischer Ethik 52
- 4. Das kulturelle Umfeld des politischen und moralischen Engagements 67
- 5. Rudolf Carnap : Individualistischer Dezisionismus und wissenschaftlicher Humanismus 89
- 5.1 Einleitung 89
- 5.2 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik vor der Wiener-Kreis-Periode 92
- 5.3 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik in der Wiener-Kreis-Periode 111
- 5.3.1 Der logische Aufbau der Welt ( 1928a ) und die Konstitution von Werten 111
- 5.3.2 Scheinprobleme in der Philosophie ( 1928b ) 120
- 5.3.3 „Wissenschaft und Leben“ ( 1929b ) 123
- 5.3.4 „Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache“ ( 1931/32 ) 129
- 5.3.5 „Theoretische Fragen und praktische Entscheidungen“ ( 1934a ) 133
- 5.3.6 Philosophy and Logical Syntax ( 1935 ) 136
- 5. 3. 7 Carnaps moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 138
- 5.3.8 Carnaps individualistischer Dezisionismus und die Lebenspraxis 141
- 5.3.9 Möglichkeiten und Grenzen der Ethik 148
- 5.4 Spätphase : Optative 149
- 5.5 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 160
- 6. Karl Menger : Mathematische Modelle für ein verträgliches Zusammenleben 163
- 6.1 Einleitung 163
- 6.2 Mengers Logik der Sitten 168
- 6.3 Mengers Moralauffassung 177
- 6.3.1 Moral 1. und 2. Stufe , Basismoralen 177
- 6.3.2 Sinn und Zweck der / einer Moral 177
- 6.3.3 Kritik am Kategorischen Imperativ 179
- 6.3.4 Mengers Konzeption der Moralsprache : Semantischer Nonkognitivismus 180
- 6.3.5 Moralische Erkenntnis : Fundamentaler Nonkognitivismus und systemimmanenter Kognitivismus 182
- 6.4 Mengers Ethikverständnis 186
- 6.5 Menger und die Angewandte Ethik 193
- 6.6 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 194
- 7. Otto Neurath : Moral auf der Grundlage gemeinsam beschlossener humanistischer Lebensgrundsätze und Ethik in der Einheitswissenschaft 196
- 8. Philipp Frank : Pragmatische Ethik und relativierte Moral 251
- 9. Moritz Schlick : Eudämonistische Ethik als Weisheitslehre 265
- 10. Victor Kraft : Zwei-Komponenten-Kognitivismus und rationale Moralbegründung 332
- 10.1 Einleitung 332
- 10.2 Krafts moralische und ethische Auffassungen in der Wiener-Kreis-Periode 337
- 10.3 Krafts moralische und ethische Auffassungen nach der Wiener-Kreis-Periode 371
- 10.3.1 Moralbegründung auf Grundlage der Kultur : Die Grundlagen einer wissenschaftlichen Wertlehre , 2. Auflage ( 1951 ) 371
- 10.3.2 Moralbegründung auf Grundlage natürlicher Ziele : Rationale Moralbegründung ( 1963 ) 374
- 10.3.3 Moralbegründung auf der Grundlage primärer Strebensziele : Die Grundlagen der Erkenntnis und der Moral ( 1968 ) 377
- 10.4 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 383
- 11. Herbert Feigl : Pragmatische Moralbegründung 387
- 12. Systematische Zusammenfassung und allgemeine Schlussbemerkungen 402
- 12.1 Mangelndes Interesse an Moral als Menschen und Bürgerinnen oder Bürger 402
- 12.2 Geteilte moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 403
- 12.3 Differenzierungen in den Moralkonzeptionen 404
- 12.4 Differenzierungen in den Ethikkonzeptionen 409
- 12.5 Ausblick auf zukünftige Forschung 412
- 12.6 Allgemeine Schlussbemerkungen 413
- Literatur 417
- Abkürzungen 440
- Bildquellennachweis 440
- Personenregister 441