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5.1 Einleitung
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Zunächst werde ich , soweit für meine Belange nötig , untersuchen , mit welchen moralischen
und ethischen Ansichten Carnap bereits nach Wien kam und wie bis dahin deren Entwick-
lung verlaufen war. Welchen Beitrag leistete Carnap zur Ethik ? Welche Themen behan-
delte er ? Welche Positionen vertrat er ? Wie sieht die Entwicklung seiner Positionen aus ?
Zahlreiche Einflüsse prägten diese Entwicklung. Neben den geläufigen Einflüssen
durch Philosophen , die selbst der Analytischen Philosophie zugerechnet werden wie Rus-
sell und Wittgenstein , werden hier nicht zuletzt auch Einflüsse durch Philosophen des
Neukantianismus wie Heinrich Rickert und Bruno Bauch sowie Philosophen der Lebens-
philosophie wie Friedrich Nietzsche und Wilhelm Dilthey aufgezeigt werden. Diese Phi-
losophen werden
– mit wenigen Ausnahmen
– erst seit rund zwei Jahrzehnten mit Carnap
in Verbindung gebracht. Ohne diese Denker und weitere historische und kulturelle Ent-
wicklungen der Zeit sowie den persönlichen Umkreis Carnaps zu berücksichtigen , kön-
nen dessen ethische Ausführungen nicht angemessen verstanden und gewürdigt werden.
Erst in diesem Zusammenhang werden beispielsweise die teils heftigen und polemischen
Formulierungen Carnaps verständlich.
Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen hier Carnaps veröffentlichte theoretische
Beiträge zu Ethik und Moral aus der Zeit des historischen Wiener Kreises : Der logische
Aufbau der Welt ( 1928a ), Scheinprobleme in der Philosophie ( 1928b ), „Überwindung der Me-
taphysik durch logische Analyse der Sprache“ ( 1931/32 ), „Theoretische Fragen und prakti-
sche Entscheidungen“ ( 1934a ) sowie Philosophy and Logical Syntax ( 1935 ). Diese werden zur
Interpretation und zur Darlegung der weiteren Entwicklung durch Vortragsmanuskripte
und weitere Archivquellen ergänzt , wie beispielsweise einem Manuskript zu einem Vor-
trag mit dem Titel „Wissenschaft und Leben“ ( 1929b ). Ausführungen zu früheren Kon-
zeptionen von Ethik und Moral haben insofern hinführenden Charakter.
Die Untersuchung wird zudem nicht bei den Werken der Wiener-Kreis-Periode ab-
rupt abbrechen , sondern auch die weitere Entwicklung kurz nachzeichnen. Aus den spä-
teren Jahren werden vor allem folgende Publikationen berücksichtigt werden : Zum einen
ist dies die Intellektuelle Autobiographie Carnaps , die in einer gekürzten Version in dem
Carnap gewidmeten Band The Philosophy of Rudolf Carnap in der von Arthur Schilpp her-
ausgegebenen Reihe Library of Living Philosophers publiziert wurde. Diese Autobiographie
endet mit einem eigenen Kapitel „Werte und praktische Entscheidungen“. ( Carnap 1963a
bzw. dt. Carnap 1993 ). Zum anderen werde ich auf die ausführlichste Replik Carnaps auf
die im Schilpp-Band versammelten Beiträge zu seinen Werken eingehen , nämlich auf
die Replik auf Abraham Kaplans Beitrag „Logical Empiricism and Value Judgments“
( Carnap 1963b ). Dabei folge ich grundsätzlich der Einteilung von Carnaps Wertphilo-
sophie in drei Phasen , wie sie von Mormann vorgenommen wurde : ( C1 ) die neukantia-
nische Phase , ( C2 ) die logisch-empiristische Phase und ( C3 ) die amerikanische Phase.
( Mormann 2010b , 88 )
Ethik und Moral im Wiener Kreis
Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Ethik und Moral im Wiener Kreis
- Untertitel
- Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
- Autor
- Annemarie Siegetsleitner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79533-9
- Abmessungen
- 16.9 x 23.9 cm
- Seiten
- 450
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 13
- 2. Terminologische Klärungen 37
- 3. Moral und Ethik im Wiener Kreis und die Standardauffassung logisch- empiristischer Ethik 52
- 4. Das kulturelle Umfeld des politischen und moralischen Engagements 67
- 5. Rudolf Carnap : Individualistischer Dezisionismus und wissenschaftlicher Humanismus 89
- 5.1 Einleitung 89
- 5.2 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik vor der Wiener-Kreis-Periode 92
- 5.3 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik in der Wiener-Kreis-Periode 111
- 5.3.1 Der logische Aufbau der Welt ( 1928a ) und die Konstitution von Werten 111
- 5.3.2 Scheinprobleme in der Philosophie ( 1928b ) 120
- 5.3.3 „Wissenschaft und Leben“ ( 1929b ) 123
- 5.3.4 „Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache“ ( 1931/32 ) 129
- 5.3.5 „Theoretische Fragen und praktische Entscheidungen“ ( 1934a ) 133
- 5.3.6 Philosophy and Logical Syntax ( 1935 ) 136
- 5. 3. 7 Carnaps moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 138
- 5.3.8 Carnaps individualistischer Dezisionismus und die Lebenspraxis 141
- 5.3.9 Möglichkeiten und Grenzen der Ethik 148
- 5.4 Spätphase : Optative 149
- 5.5 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 160
- 6. Karl Menger : Mathematische Modelle für ein verträgliches Zusammenleben 163
- 6.1 Einleitung 163
- 6.2 Mengers Logik der Sitten 168
- 6.3 Mengers Moralauffassung 177
- 6.3.1 Moral 1. und 2. Stufe , Basismoralen 177
- 6.3.2 Sinn und Zweck der / einer Moral 177
- 6.3.3 Kritik am Kategorischen Imperativ 179
- 6.3.4 Mengers Konzeption der Moralsprache : Semantischer Nonkognitivismus 180
- 6.3.5 Moralische Erkenntnis : Fundamentaler Nonkognitivismus und systemimmanenter Kognitivismus 182
- 6.4 Mengers Ethikverständnis 186
- 6.5 Menger und die Angewandte Ethik 193
- 6.6 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 194
- 7. Otto Neurath : Moral auf der Grundlage gemeinsam beschlossener humanistischer Lebensgrundsätze und Ethik in der Einheitswissenschaft 196
- 8. Philipp Frank : Pragmatische Ethik und relativierte Moral 251
- 9. Moritz Schlick : Eudämonistische Ethik als Weisheitslehre 265
- 10. Victor Kraft : Zwei-Komponenten-Kognitivismus und rationale Moralbegründung 332
- 10.1 Einleitung 332
- 10.2 Krafts moralische und ethische Auffassungen in der Wiener-Kreis-Periode 337
- 10.3 Krafts moralische und ethische Auffassungen nach der Wiener-Kreis-Periode 371
- 10.3.1 Moralbegründung auf Grundlage der Kultur : Die Grundlagen einer wissenschaftlichen Wertlehre , 2. Auflage ( 1951 ) 371
- 10.3.2 Moralbegründung auf Grundlage natürlicher Ziele : Rationale Moralbegründung ( 1963 ) 374
- 10.3.3 Moralbegründung auf der Grundlage primärer Strebensziele : Die Grundlagen der Erkenntnis und der Moral ( 1968 ) 377
- 10.4 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 383
- 11. Herbert Feigl : Pragmatische Moralbegründung 387
- 12. Systematische Zusammenfassung und allgemeine Schlussbemerkungen 402
- 12.1 Mangelndes Interesse an Moral als Menschen und Bürgerinnen oder Bürger 402
- 12.2 Geteilte moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 403
- 12.3 Differenzierungen in den Moralkonzeptionen 404
- 12.4 Differenzierungen in den Ethikkonzeptionen 409
- 12.5 Ausblick auf zukünftige Forschung 412
- 12.6 Allgemeine Schlussbemerkungen 413
- Literatur 417
- Abkürzungen 440
- Bildquellennachweis 440
- Personenregister 441