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5. Rudolf Carnap : Individualistischer Dezisionismus und wissenschaftlicher Humanismus
130 In moralischen Wert- und Normsätzen kommen Wörter vor , die keine ( theoretische )
Bedeutung haben , wodurch eine Art von Scheinsätzen vorliegt.179 Wann aber hat ein Wort
eine ( theoretische ) Bedeutung ? Hier kommt nun wieder das verifikationistische Sinnkri-
terium ins Spiel : „a“ sei irgendein Wort und „S( a )“ der Elementarsatz ( i. e. die einfachste
Satzform , in der „a“ vorkommen kann ), in dem es auftritt. Die elementare Satzform für
das Wort „Stein“ ist etwa , so Carnaps eigenes Beispiel , „x ist ein Stein.“ Die hinreichende
und notwendige Bedingung dafür , dass das Wort „a“ eine Bedeutung hat , kann dann in je-
der der folgenden Formulierungen angegeben werden , die im Grunde dasselbe aussagten :
1. Die empirischen Kennzeichen für „a“ sind bekannt.
2. Es steht fest , aus welchen Protokollsätzen ( erste Sätze ) „S( a )“ abgeleitet werden
kann.
3. Die Wahrheitsbedingungen für „S( a )“ liegen fest.
4. Der Weg zur Verifikation von „S( a )“ ist bekannt.
( Carnap 1931/32 [ 2004 , 87 ])
Viele Wörter der Metaphysik wie „Prinzip“, „Gott“ oder „das Absolute“ seien ohne Be-
deutung. Sie könnten zwar von Vorstellungen und Gefühlen begleitet sein , doch würde
dadurch das Wort keine Bedeutung erhalten. Sätze , in denen sie vorkommen , seien bloße
Scheinsätze. ( Carnap 1931/32 [ 2004 , 87 ff. ]) Von der Möglichkeit , für diese Begriffe em-
pirische Kennzeichen anzuführen , sieht Carnap ab , wohl deshalb , weil sie in der Meta-
physik üblicherweise nicht so verstanden werden. Da er davon ausgeht , dass moralische
Wert- und Normsätze der Ausdruck persönlicher Einstellungen sind , ist auch für sie eine
solche Definition nicht mehr möglich.
Der Sinn eines Satzes liege eben in der Methode seiner Verifikation. Ein Satz besage
nur das , was an ihm verifizierbar sei :
Daher kann ein Satz , wenn er überhaupt etwas besagt , nur eine empirische Tatsache besa-
gen. Etwas , das prinzipiell jenseits des Erfahrbaren läge , könnte weder gesagt , noch gedacht ,
noch erfragt werden. ( Carnap 1931/32 [ 2004 , 102 ])
Sinnvoll seien lediglich analytische bzw. kontradiktorische und Erfahrungssätze. ( Carnap
1931/32 [ 2004 , 102 ]) Nun ist auch die Ethik mit gefangen und mit gehangen :
179 In den anderen haben zwar die vorkommenden Wörter eine Bedeutung , sind aber in syntaxwidriger
Weise zusammengestellt , sodass sie keinen Sinn ergeben. Carnap untersucht u. a. Heideggers Satz
„Das Nichts nichtet.“ ( Carnap 1931/32 [ 2004 , 94 f. ]) Friedman vertritt die These , in der Kontrover-
se zwischen Carnap und Heidegger waren politische und ideologische Differenzen im Spiel. ( Fried-
man 2000 )
Ethik und Moral im Wiener Kreis
Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Ethik und Moral im Wiener Kreis
- Untertitel
- Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
- Autor
- Annemarie Siegetsleitner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79533-9
- Abmessungen
- 16.9 x 23.9 cm
- Seiten
- 450
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 13
- 2. Terminologische Klärungen 37
- 3. Moral und Ethik im Wiener Kreis und die Standardauffassung logisch- empiristischer Ethik 52
- 4. Das kulturelle Umfeld des politischen und moralischen Engagements 67
- 5. Rudolf Carnap : Individualistischer Dezisionismus und wissenschaftlicher Humanismus 89
- 5.1 Einleitung 89
- 5.2 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik vor der Wiener-Kreis-Periode 92
- 5.3 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik in der Wiener-Kreis-Periode 111
- 5.3.1 Der logische Aufbau der Welt ( 1928a ) und die Konstitution von Werten 111
- 5.3.2 Scheinprobleme in der Philosophie ( 1928b ) 120
- 5.3.3 „Wissenschaft und Leben“ ( 1929b ) 123
- 5.3.4 „Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache“ ( 1931/32 ) 129
- 5.3.5 „Theoretische Fragen und praktische Entscheidungen“ ( 1934a ) 133
- 5.3.6 Philosophy and Logical Syntax ( 1935 ) 136
- 5. 3. 7 Carnaps moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 138
- 5.3.8 Carnaps individualistischer Dezisionismus und die Lebenspraxis 141
- 5.3.9 Möglichkeiten und Grenzen der Ethik 148
- 5.4 Spätphase : Optative 149
- 5.5 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 160
- 6. Karl Menger : Mathematische Modelle für ein verträgliches Zusammenleben 163
- 6.1 Einleitung 163
- 6.2 Mengers Logik der Sitten 168
- 6.3 Mengers Moralauffassung 177
- 6.3.1 Moral 1. und 2. Stufe , Basismoralen 177
- 6.3.2 Sinn und Zweck der / einer Moral 177
- 6.3.3 Kritik am Kategorischen Imperativ 179
- 6.3.4 Mengers Konzeption der Moralsprache : Semantischer Nonkognitivismus 180
- 6.3.5 Moralische Erkenntnis : Fundamentaler Nonkognitivismus und systemimmanenter Kognitivismus 182
- 6.4 Mengers Ethikverständnis 186
- 6.5 Menger und die Angewandte Ethik 193
- 6.6 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 194
- 7. Otto Neurath : Moral auf der Grundlage gemeinsam beschlossener humanistischer Lebensgrundsätze und Ethik in der Einheitswissenschaft 196
- 8. Philipp Frank : Pragmatische Ethik und relativierte Moral 251
- 9. Moritz Schlick : Eudämonistische Ethik als Weisheitslehre 265
- 10. Victor Kraft : Zwei-Komponenten-Kognitivismus und rationale Moralbegründung 332
- 10.1 Einleitung 332
- 10.2 Krafts moralische und ethische Auffassungen in der Wiener-Kreis-Periode 337
- 10.3 Krafts moralische und ethische Auffassungen nach der Wiener-Kreis-Periode 371
- 10.3.1 Moralbegründung auf Grundlage der Kultur : Die Grundlagen einer wissenschaftlichen Wertlehre , 2. Auflage ( 1951 ) 371
- 10.3.2 Moralbegründung auf Grundlage natürlicher Ziele : Rationale Moralbegründung ( 1963 ) 374
- 10.3.3 Moralbegründung auf der Grundlage primärer Strebensziele : Die Grundlagen der Erkenntnis und der Moral ( 1968 ) 377
- 10.4 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 383
- 11. Herbert Feigl : Pragmatische Moralbegründung 387
- 12. Systematische Zusammenfassung und allgemeine Schlussbemerkungen 402
- 12.1 Mangelndes Interesse an Moral als Menschen und Bürgerinnen oder Bürger 402
- 12.2 Geteilte moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 403
- 12.3 Differenzierungen in den Moralkonzeptionen 404
- 12.4 Differenzierungen in den Ethikkonzeptionen 409
- 12.5 Ausblick auf zukünftige Forschung 412
- 12.6 Allgemeine Schlussbemerkungen 413
- Literatur 417
- Abkürzungen 440
- Bildquellennachweis 440
- Personenregister 441