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5.3 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik in der Wiener-Kreis-Periode
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ten Wunsches. Obwohl sie die grammatische Form einer Behauptung habe , sei sie keine.
Viele ließen sich jedoch irreführen und würden für ihre Werturteile Gründe anführen und
versuchen , die Werturteile ihrer Gegnerinnen und Gegner mit Gründen zu widerlegen :
But actually a value statement is nothing else than a command in a misleading grammati-
cal form. It may have effects upon the actions of men , and these effects may either be in ac-
cordance with our wishes or not ; but it is neither true nor false. It does not assert anything
and can neither be proved nor disproved. ( Carnap 1935 , 24 )
Die logische Analyse würde zeigen , dass aus „Killing is evil“ keine Propositionen über zu-
künftige Erfahrungserlebnisse folgten , der Satz damit nicht verifizierbar sei und keinen
theoretischen Sinn habe. Dies gelte – ohne dass Carnap dies weiter begründen würde –
für alle Werturteile , weshalb er für die normative Ethik ( Philosophie der moralischen Ur-
teile oder Normen ) behauptet :
The propositions of normative ethics , whether they have the form of rules or the form of value
statements , have no theoretical sense , are not scientific propositions ( taking the word scien-
tific to mean any assertive proposition ). ( Carnap 1935 , 25 )
Wie Poesie und Musik hätten Werturteile oder Normen ( bei Carnap als Imperative for-
muliert ) nur expressive und / oder präskriptive Funktion , keine deskriptive. Was sie aus-
drückten , seien permanente emotionale oder volitionale Dispositionen. ( Carnap 1935 , 29 f. )
Sie gehörten zur Metaphysik ( wobei Carnap vergisst anzufügen : „wenn mit Anspruch auf
theoretischen Gehalt vorgetragen“ ). ( Carnap 1935 , 26 ) Der nicht-theoretische Charakter
selbst sei jedoch nicht das Problem :
The non-theoretical character of metaphysics would not be in itself a defect ; all arts have
this non-theoretical character without thereby losing their high value for personal as well
as for social life. The danger lies in the deceptive character of metaphysics ; it gives the illu-
sion of knowledge without actually giving any knowledge. This is the reason why we reject
it. ( Carnap 1935 , 31 )
Die Menschen würden also getäuscht. Im Namen der Wissenschaft werde vorgetragen ,
was nur persönliche Entscheidung sei. Werturteile als Untersuchungsgegenstand empiri-
scher Ethik bleiben jedoch weiterhin zulässig. ( Carnap 1935 , 26 )188
Ab 1935 gibt es in Carnaps Schriften nur noch spärliche Äußerungen zur Moral und
Ethik. Schon in Philosophy and Logical Syntax kündigt sich dies an , wo Philosophie
188 Für das ganze Kapitel gibt Carnap neben Wittgensteins Tractatus und seiner eigenen „Überwindung“
auch Odgen / Richards The Meaning of Meaning ( 1923 ) als Literaturhinweis an.
Ethik und Moral im Wiener Kreis
Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Ethik und Moral im Wiener Kreis
- Untertitel
- Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
- Autor
- Annemarie Siegetsleitner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79533-9
- Abmessungen
- 16.9 x 23.9 cm
- Seiten
- 450
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 13
- 2. Terminologische Klärungen 37
- 3. Moral und Ethik im Wiener Kreis und die Standardauffassung logisch- empiristischer Ethik 52
- 4. Das kulturelle Umfeld des politischen und moralischen Engagements 67
- 5. Rudolf Carnap : Individualistischer Dezisionismus und wissenschaftlicher Humanismus 89
- 5.1 Einleitung 89
- 5.2 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik vor der Wiener-Kreis-Periode 92
- 5.3 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik in der Wiener-Kreis-Periode 111
- 5.3.1 Der logische Aufbau der Welt ( 1928a ) und die Konstitution von Werten 111
- 5.3.2 Scheinprobleme in der Philosophie ( 1928b ) 120
- 5.3.3 „Wissenschaft und Leben“ ( 1929b ) 123
- 5.3.4 „Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache“ ( 1931/32 ) 129
- 5.3.5 „Theoretische Fragen und praktische Entscheidungen“ ( 1934a ) 133
- 5.3.6 Philosophy and Logical Syntax ( 1935 ) 136
- 5. 3. 7 Carnaps moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 138
- 5.3.8 Carnaps individualistischer Dezisionismus und die Lebenspraxis 141
- 5.3.9 Möglichkeiten und Grenzen der Ethik 148
- 5.4 Spätphase : Optative 149
- 5.5 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 160
- 6. Karl Menger : Mathematische Modelle für ein verträgliches Zusammenleben 163
- 6.1 Einleitung 163
- 6.2 Mengers Logik der Sitten 168
- 6.3 Mengers Moralauffassung 177
- 6.3.1 Moral 1. und 2. Stufe , Basismoralen 177
- 6.3.2 Sinn und Zweck der / einer Moral 177
- 6.3.3 Kritik am Kategorischen Imperativ 179
- 6.3.4 Mengers Konzeption der Moralsprache : Semantischer Nonkognitivismus 180
- 6.3.5 Moralische Erkenntnis : Fundamentaler Nonkognitivismus und systemimmanenter Kognitivismus 182
- 6.4 Mengers Ethikverständnis 186
- 6.5 Menger und die Angewandte Ethik 193
- 6.6 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 194
- 7. Otto Neurath : Moral auf der Grundlage gemeinsam beschlossener humanistischer Lebensgrundsätze und Ethik in der Einheitswissenschaft 196
- 8. Philipp Frank : Pragmatische Ethik und relativierte Moral 251
- 9. Moritz Schlick : Eudämonistische Ethik als Weisheitslehre 265
- 10. Victor Kraft : Zwei-Komponenten-Kognitivismus und rationale Moralbegründung 332
- 10.1 Einleitung 332
- 10.2 Krafts moralische und ethische Auffassungen in der Wiener-Kreis-Periode 337
- 10.3 Krafts moralische und ethische Auffassungen nach der Wiener-Kreis-Periode 371
- 10.3.1 Moralbegründung auf Grundlage der Kultur : Die Grundlagen einer wissenschaftlichen Wertlehre , 2. Auflage ( 1951 ) 371
- 10.3.2 Moralbegründung auf Grundlage natürlicher Ziele : Rationale Moralbegründung ( 1963 ) 374
- 10.3.3 Moralbegründung auf der Grundlage primärer Strebensziele : Die Grundlagen der Erkenntnis und der Moral ( 1968 ) 377
- 10.4 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 383
- 11. Herbert Feigl : Pragmatische Moralbegründung 387
- 12. Systematische Zusammenfassung und allgemeine Schlussbemerkungen 402
- 12.1 Mangelndes Interesse an Moral als Menschen und Bürgerinnen oder Bürger 402
- 12.2 Geteilte moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 403
- 12.3 Differenzierungen in den Moralkonzeptionen 404
- 12.4 Differenzierungen in den Ethikkonzeptionen 409
- 12.5 Ausblick auf zukünftige Forschung 412
- 12.6 Allgemeine Schlussbemerkungen 413
- Literatur 417
- Abkürzungen 440
- Bildquellennachweis 440
- Personenregister 441