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6.1 Einleitung
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imposed themselves on everyone almost everyday. In my desire for a consistent , comprehen-
sive world view I asked myself whether some answers might not come through exact thought.
( Menger 1994 , 181 )
Es waren also die Zeitumstände , die Menger zur Beschäftigung mit ethischen und mo-
ralischen Fragen drängten. Gerade in dieser Arbeit sind politische Umstände und mo-
ralische Weltauffassung eng miteinander verknüpft. Schon im November 1933 , so Leo-
nard , schrieb Menger an Schlick , er gedenke ein kleines Büchlein zu schreiben , das er
ihm gerne zu lesen geben wolle. Einige Wochen später zog sich Menger nach Prein am
Fuß der Raxalpe zurück , um das Manuskript zu überarbeiten , und äußerte Schlick ge-
genüber seine Bedenken bezüglich der Unsicherheit , wie das Buch aufgenommen werden
würde. Er befürchtete , es könnte falsch verstanden werden und ihm Unannehmlichkei-
ten bereiten. Insbesondere wollte er nicht , dass es anderen schade oder seine Ansichten
irrtümlicherweise anderen zugeschrieben würden. Keinesfalls wollte er , dass es linkem
Radikalismus zugeordnet werde. ( Leonard 1998 , 19 ) Trotz aller Bedenken war das Buch
bereits im Frühling 1934 fertig. Schlick war von der Originalität des Werkes überzeugt
und wollte es in der Reihe Schriften zur wissenschaftlichen Weltauffassung , die er gemein-
sam mit Frank herausgab , veröffentlichen. Da Menger dies aus persönlichen Gründen
ablehnte ,219 empfahl Schlick das Buch dem Springer Verlag , der es publizierte. ( Menger
1974 , 115 )220 Eine englische , umgearbeitete Ausgabe mit einem ausführlichen Nachwort
des Autors wurde im Übrigen erst 1974 veröffentlicht. Diese Ausgabe trägt einen ent-
schieden nüchterneren Titel als die deutsche , nämlich Morality , Decision , and Social Or-
ganization. Towards a Logic of Ethics.
Der Hauptteil des Buches ist teilweise in Brief- und Dialogform abgefasst , um den
Leserinnen und Lesern das Verständnis zu erleichtern. Er enthält aber über diese leicht
verständlichen Passagen hinaus eine Reihe formaler Ausführungen , mit denen Menger
zum Pionier mathematischer Modelle in den Sozialwissenschaften wurde.221 Ich werde die
Grundzüge dieser formalen Modelle aufzeigen , ohne mich jedoch den technischen De-
tails zuzuwenden. Mir geht es hier vielmehr um Mengers Themenstellung , seine grund-
219 Vermutlich tat er dies bereits aus Distanz zur Einheitswissenschaft und anderen Bestrebungen im
Wiener Kreis , die er nicht mittragen wollte.
220 Schlick schlug Menger auch J. M. Guyaus Esquisse d’une morale sans obligation ni sanction zur Lektü-
re vor , das bei Menger jedoch wenig Anklang fand. ( Menger 1974 , 115 )
221 Die Wirkung verlief hauptsächlich über Morgenstern , der darin entscheidende Inspiration für die
Entwicklung der Spieltheorie fand , und die englischsprachigen Artikel , in denen Menger zentra-
le Ideen des Buches aufgriff ( z. B. Menger 1937 u. 1938 ). Auch Hayek verweist in „Economics and
Knowledge“ ( 1937 , 38 , Fn. 1 ) auf Menger ( 1934a ) als einen ersten Versuch , mathematische Modelle
sozialer Arrangements zu erstellen. In einem Nachdruck dieses Artikels 1945 wurde diese Fußnote
jedoch gestrichen. ( Leonard 1998 , 24 , Fn. 43 ) Hayeks Exemplar von Moral , Wille und Weltgestaltung
befindet sich in der Hayek-Bibliothek an der Universität Salzburg.
Ethik und Moral im Wiener Kreis
Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Ethik und Moral im Wiener Kreis
- Untertitel
- Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
- Autor
- Annemarie Siegetsleitner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79533-9
- Abmessungen
- 16.9 x 23.9 cm
- Seiten
- 450
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 13
- 2. Terminologische Klärungen 37
- 3. Moral und Ethik im Wiener Kreis und die Standardauffassung logisch- empiristischer Ethik 52
- 4. Das kulturelle Umfeld des politischen und moralischen Engagements 67
- 5. Rudolf Carnap : Individualistischer Dezisionismus und wissenschaftlicher Humanismus 89
- 5.1 Einleitung 89
- 5.2 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik vor der Wiener-Kreis-Periode 92
- 5.3 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik in der Wiener-Kreis-Periode 111
- 5.3.1 Der logische Aufbau der Welt ( 1928a ) und die Konstitution von Werten 111
- 5.3.2 Scheinprobleme in der Philosophie ( 1928b ) 120
- 5.3.3 „Wissenschaft und Leben“ ( 1929b ) 123
- 5.3.4 „Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache“ ( 1931/32 ) 129
- 5.3.5 „Theoretische Fragen und praktische Entscheidungen“ ( 1934a ) 133
- 5.3.6 Philosophy and Logical Syntax ( 1935 ) 136
- 5. 3. 7 Carnaps moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 138
- 5.3.8 Carnaps individualistischer Dezisionismus und die Lebenspraxis 141
- 5.3.9 Möglichkeiten und Grenzen der Ethik 148
- 5.4 Spätphase : Optative 149
- 5.5 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 160
- 6. Karl Menger : Mathematische Modelle für ein verträgliches Zusammenleben 163
- 6.1 Einleitung 163
- 6.2 Mengers Logik der Sitten 168
- 6.3 Mengers Moralauffassung 177
- 6.3.1 Moral 1. und 2. Stufe , Basismoralen 177
- 6.3.2 Sinn und Zweck der / einer Moral 177
- 6.3.3 Kritik am Kategorischen Imperativ 179
- 6.3.4 Mengers Konzeption der Moralsprache : Semantischer Nonkognitivismus 180
- 6.3.5 Moralische Erkenntnis : Fundamentaler Nonkognitivismus und systemimmanenter Kognitivismus 182
- 6.4 Mengers Ethikverständnis 186
- 6.5 Menger und die Angewandte Ethik 193
- 6.6 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 194
- 7. Otto Neurath : Moral auf der Grundlage gemeinsam beschlossener humanistischer Lebensgrundsätze und Ethik in der Einheitswissenschaft 196
- 8. Philipp Frank : Pragmatische Ethik und relativierte Moral 251
- 9. Moritz Schlick : Eudämonistische Ethik als Weisheitslehre 265
- 10. Victor Kraft : Zwei-Komponenten-Kognitivismus und rationale Moralbegründung 332
- 10.1 Einleitung 332
- 10.2 Krafts moralische und ethische Auffassungen in der Wiener-Kreis-Periode 337
- 10.3 Krafts moralische und ethische Auffassungen nach der Wiener-Kreis-Periode 371
- 10.3.1 Moralbegründung auf Grundlage der Kultur : Die Grundlagen einer wissenschaftlichen Wertlehre , 2. Auflage ( 1951 ) 371
- 10.3.2 Moralbegründung auf Grundlage natürlicher Ziele : Rationale Moralbegründung ( 1963 ) 374
- 10.3.3 Moralbegründung auf der Grundlage primärer Strebensziele : Die Grundlagen der Erkenntnis und der Moral ( 1968 ) 377
- 10.4 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 383
- 11. Herbert Feigl : Pragmatische Moralbegründung 387
- 12. Systematische Zusammenfassung und allgemeine Schlussbemerkungen 402
- 12.1 Mangelndes Interesse an Moral als Menschen und Bürgerinnen oder Bürger 402
- 12.2 Geteilte moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 403
- 12.3 Differenzierungen in den Moralkonzeptionen 404
- 12.4 Differenzierungen in den Ethikkonzeptionen 409
- 12.5 Ausblick auf zukünftige Forschung 412
- 12.6 Allgemeine Schlussbemerkungen 413
- Literatur 417
- Abkürzungen 440
- Bildquellennachweis 440
- Personenregister 441