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6.3 Mengers Moralauffassung
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lensentschluss. Unter anderem stellt er dies in Hinblick auf ein Gedankenexperiment mit
Siedlern klar :
But the settlers recognize the ultimately noncognitive character of these decisions as well as
the fact that even obedience to the categorical imperative is neither necesssary nor sufficient
to achieve universal harmony. ( Menger 1994 , 187 )
Auch bei der Frage nach der Wahl von ökonomischen Systemen geht er darauf ein. In ei-
nem Dialog des Buches gibt ihm sein Gesprächspartner zu bedenken ,
daß manche Ökonomen und Ökonomenschulen behaupten , logisch beweisen zu können ,
daß die maximale Güterversorgung und optimale Güterverteilung und daher die größte
Wohlfahrt der Menschheit unter gewissen von ihnen angegebenen Bedingungen eintreten
würde. Wie stellst du dich dazu ? ( Menger 1934a [ 1997 , 108 ])
Mengers Antwort lautet , es sei keine Frage der Logik , welcher Wirtschaftszustand der
bessere sei , sondern in letzter Linie eine Frage des persönlichen Geschmacks. ( Menger
1934a [ 1997 , 109 ])
Dies offenzulegen ist nach Menger nicht seinen individuellen Vorlieben geschuldet. Es
entspreche aber seinem Geschmack , „wenn man Entschlüsse nicht verhüllt , sondern für
sie als das kämpft , was sie sind“ ( Menger 1934a [ 1997 , 208 ]).
Wenn Cornides feststellt „Morality , according to Menger , is nothing but decisions
( Entschlüsse ) of the individuals to adhere or not to adhere to certain norms“ ( Cornides
1983 , 9 ), so meint dies die nonkognitivistische Grundlegung jeder Moral.
Dieser Dezisionismus muss jedoch von einem Dezisionismus unterschieden werden ,
nach dem durch einen solchen Entschluss die Allgemeingültigkeit der Normen gesetzt
würde. Gültig und somit verbindlich sind die Normen nur für die sie Anerkennenden.
Dies trennt Mengers Auffassung auch vom Existenzialismus , in dessen Nähe er sich an-
sonsten durchaus sieht :
Nor will the reader find any implicit remnant of Kant’s categorical imperative as may be pre-
sent in the existentialist thesis that by deciding his or her conduct a person makes decisions
for everyone. [ … ], they do not prejudice the decisions of others. ( Menger 1974 , 96 )
In der Frage nach der Verbindlichkeit der Normen kann Menger damit immer auf die in-
dividuelle Anerkennung verweisen , aber auch nicht auf mehr.
Es ist jedoch fraglich , ob die Ansicht , moralische Äußerungen würden einen Willen aus-
drücken , tatsächlich erkenntnistheoretisch so weit trägt , wie Menger annimmt. Dies zieht
Josef Maria Bochenski , Theologe und Logiker , der mit dem Eintritt in den Dominikaner-
orden den Namen „Innocentius“ bekam und von dem einige Schriften deshalb die Initia-
Ethik und Moral im Wiener Kreis
Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Ethik und Moral im Wiener Kreis
- Untertitel
- Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
- Autor
- Annemarie Siegetsleitner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79533-9
- Abmessungen
- 16.9 x 23.9 cm
- Seiten
- 450
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 13
- 2. Terminologische Klärungen 37
- 3. Moral und Ethik im Wiener Kreis und die Standardauffassung logisch- empiristischer Ethik 52
- 4. Das kulturelle Umfeld des politischen und moralischen Engagements 67
- 5. Rudolf Carnap : Individualistischer Dezisionismus und wissenschaftlicher Humanismus 89
- 5.1 Einleitung 89
- 5.2 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik vor der Wiener-Kreis-Periode 92
- 5.3 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik in der Wiener-Kreis-Periode 111
- 5.3.1 Der logische Aufbau der Welt ( 1928a ) und die Konstitution von Werten 111
- 5.3.2 Scheinprobleme in der Philosophie ( 1928b ) 120
- 5.3.3 „Wissenschaft und Leben“ ( 1929b ) 123
- 5.3.4 „Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache“ ( 1931/32 ) 129
- 5.3.5 „Theoretische Fragen und praktische Entscheidungen“ ( 1934a ) 133
- 5.3.6 Philosophy and Logical Syntax ( 1935 ) 136
- 5. 3. 7 Carnaps moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 138
- 5.3.8 Carnaps individualistischer Dezisionismus und die Lebenspraxis 141
- 5.3.9 Möglichkeiten und Grenzen der Ethik 148
- 5.4 Spätphase : Optative 149
- 5.5 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 160
- 6. Karl Menger : Mathematische Modelle für ein verträgliches Zusammenleben 163
- 6.1 Einleitung 163
- 6.2 Mengers Logik der Sitten 168
- 6.3 Mengers Moralauffassung 177
- 6.3.1 Moral 1. und 2. Stufe , Basismoralen 177
- 6.3.2 Sinn und Zweck der / einer Moral 177
- 6.3.3 Kritik am Kategorischen Imperativ 179
- 6.3.4 Mengers Konzeption der Moralsprache : Semantischer Nonkognitivismus 180
- 6.3.5 Moralische Erkenntnis : Fundamentaler Nonkognitivismus und systemimmanenter Kognitivismus 182
- 6.4 Mengers Ethikverständnis 186
- 6.5 Menger und die Angewandte Ethik 193
- 6.6 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 194
- 7. Otto Neurath : Moral auf der Grundlage gemeinsam beschlossener humanistischer Lebensgrundsätze und Ethik in der Einheitswissenschaft 196
- 8. Philipp Frank : Pragmatische Ethik und relativierte Moral 251
- 9. Moritz Schlick : Eudämonistische Ethik als Weisheitslehre 265
- 10. Victor Kraft : Zwei-Komponenten-Kognitivismus und rationale Moralbegründung 332
- 10.1 Einleitung 332
- 10.2 Krafts moralische und ethische Auffassungen in der Wiener-Kreis-Periode 337
- 10.3 Krafts moralische und ethische Auffassungen nach der Wiener-Kreis-Periode 371
- 10.3.1 Moralbegründung auf Grundlage der Kultur : Die Grundlagen einer wissenschaftlichen Wertlehre , 2. Auflage ( 1951 ) 371
- 10.3.2 Moralbegründung auf Grundlage natürlicher Ziele : Rationale Moralbegründung ( 1963 ) 374
- 10.3.3 Moralbegründung auf der Grundlage primärer Strebensziele : Die Grundlagen der Erkenntnis und der Moral ( 1968 ) 377
- 10.4 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 383
- 11. Herbert Feigl : Pragmatische Moralbegründung 387
- 12. Systematische Zusammenfassung und allgemeine Schlussbemerkungen 402
- 12.1 Mangelndes Interesse an Moral als Menschen und Bürgerinnen oder Bürger 402
- 12.2 Geteilte moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 403
- 12.3 Differenzierungen in den Moralkonzeptionen 404
- 12.4 Differenzierungen in den Ethikkonzeptionen 409
- 12.5 Ausblick auf zukünftige Forschung 412
- 12.6 Allgemeine Schlussbemerkungen 413
- Literatur 417
- Abkürzungen 440
- Bildquellennachweis 440
- Personenregister 441