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6.6 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen
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die traditionelle Moralphilosophie anzubieten hatte. Moralische Probleme stellen sich für
ihn nicht in der Philosophie , sondern im Leben. Sein Verhältnis zur Moral deshalb als ein
distanziertes zu betrachten , wäre völlig verfehlt.
Menger eröffnet ein Repertoire für moralisches Denken im Plural und mit Binnen-
differenzierungen. Ebenso wenig , wie er – im Gegensatz zu Wittgenstein , Waismann
und dem Wiener Carnap – von der Logik oder der Sprache sprechen will , gibt es für ihn
die Moral.253 Ein gutes Leben für alle ist eben nicht mit demselben guten Leben für alle
gleichzusetzen. Auf der Basis verschiedener individueller Wege gibt es viele verschiedene
Wege einer Regelung des Zusammenlebens. Dies anerkennend gibt es nicht nur die eine
richtige Inszenierung , die sich „die Moral“ nennen darf.
Eine wissenschaftlich einwandfreie Aufgabe der Ethik kann darin liegen , Möglichkei-
ten einer pluralistischen und differenzierten Moral zu untersuchen. Dieser Art von Ethik
dient Mengers logisch-mathematische Theorie. Die theoretischen Erkenntnisse selbst sind
wertfrei , doch können sie praktische Entscheidungen auf moralischem Terrain beeinflus-
sen. Moral , Wille und Weltgestaltung bietet kein moralisches Wissen , sondern Wissen , das
im Rahmen wissenschaftlicher Ethik für die Moral erarbeitet wird. Mengers logischer
Beitrag ist für Ethik und Moral gedacht , und zwar als Erkenntnis ohne , aber für die Mo-
ral oder im Sinne Mengers : Moralen.
Menger selbst sah sich mit diesem Beitrag durchaus als Unterstützer des Wiener Krei-
ses :
Despite all these reservations with regard to the unity of science , I felt that the externaliza-
tion of value judgments supported the general ideas of the Circle
– certainly of the Circle as
conceived by Schlick. ( Menger 1974 , 112 )
Bevor ich mich Schlicks Moral- und Ethikauffassung zuwenden werde , gilt es jene Neu-
raths und Franks zu untersuchen.
253 Dem Unternehmen „Einheitswissenschaft“ stand Menger wie Kraft , Schlick und Waismann reser-
viert gegenüber : “Apart from a general aversion to monistic schemes , I feared that for the sake of a
methodological monism some at least potentially useful procedures might be neglected or even dis-
carded.” ( Menger 1974 , 111 f. )
Ethik und Moral im Wiener Kreis
Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Ethik und Moral im Wiener Kreis
- Untertitel
- Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
- Autor
- Annemarie Siegetsleitner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79533-9
- Abmessungen
- 16.9 x 23.9 cm
- Seiten
- 450
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 13
- 2. Terminologische Klärungen 37
- 3. Moral und Ethik im Wiener Kreis und die Standardauffassung logisch- empiristischer Ethik 52
- 4. Das kulturelle Umfeld des politischen und moralischen Engagements 67
- 5. Rudolf Carnap : Individualistischer Dezisionismus und wissenschaftlicher Humanismus 89
- 5.1 Einleitung 89
- 5.2 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik vor der Wiener-Kreis-Periode 92
- 5.3 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik in der Wiener-Kreis-Periode 111
- 5.3.1 Der logische Aufbau der Welt ( 1928a ) und die Konstitution von Werten 111
- 5.3.2 Scheinprobleme in der Philosophie ( 1928b ) 120
- 5.3.3 „Wissenschaft und Leben“ ( 1929b ) 123
- 5.3.4 „Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache“ ( 1931/32 ) 129
- 5.3.5 „Theoretische Fragen und praktische Entscheidungen“ ( 1934a ) 133
- 5.3.6 Philosophy and Logical Syntax ( 1935 ) 136
- 5. 3. 7 Carnaps moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 138
- 5.3.8 Carnaps individualistischer Dezisionismus und die Lebenspraxis 141
- 5.3.9 Möglichkeiten und Grenzen der Ethik 148
- 5.4 Spätphase : Optative 149
- 5.5 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 160
- 6. Karl Menger : Mathematische Modelle für ein verträgliches Zusammenleben 163
- 6.1 Einleitung 163
- 6.2 Mengers Logik der Sitten 168
- 6.3 Mengers Moralauffassung 177
- 6.3.1 Moral 1. und 2. Stufe , Basismoralen 177
- 6.3.2 Sinn und Zweck der / einer Moral 177
- 6.3.3 Kritik am Kategorischen Imperativ 179
- 6.3.4 Mengers Konzeption der Moralsprache : Semantischer Nonkognitivismus 180
- 6.3.5 Moralische Erkenntnis : Fundamentaler Nonkognitivismus und systemimmanenter Kognitivismus 182
- 6.4 Mengers Ethikverständnis 186
- 6.5 Menger und die Angewandte Ethik 193
- 6.6 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 194
- 7. Otto Neurath : Moral auf der Grundlage gemeinsam beschlossener humanistischer Lebensgrundsätze und Ethik in der Einheitswissenschaft 196
- 8. Philipp Frank : Pragmatische Ethik und relativierte Moral 251
- 9. Moritz Schlick : Eudämonistische Ethik als Weisheitslehre 265
- 10. Victor Kraft : Zwei-Komponenten-Kognitivismus und rationale Moralbegründung 332
- 10.1 Einleitung 332
- 10.2 Krafts moralische und ethische Auffassungen in der Wiener-Kreis-Periode 337
- 10.3 Krafts moralische und ethische Auffassungen nach der Wiener-Kreis-Periode 371
- 10.3.1 Moralbegründung auf Grundlage der Kultur : Die Grundlagen einer wissenschaftlichen Wertlehre , 2. Auflage ( 1951 ) 371
- 10.3.2 Moralbegründung auf Grundlage natürlicher Ziele : Rationale Moralbegründung ( 1963 ) 374
- 10.3.3 Moralbegründung auf der Grundlage primärer Strebensziele : Die Grundlagen der Erkenntnis und der Moral ( 1968 ) 377
- 10.4 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 383
- 11. Herbert Feigl : Pragmatische Moralbegründung 387
- 12. Systematische Zusammenfassung und allgemeine Schlussbemerkungen 402
- 12.1 Mangelndes Interesse an Moral als Menschen und Bürgerinnen oder Bürger 402
- 12.2 Geteilte moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 403
- 12.3 Differenzierungen in den Moralkonzeptionen 404
- 12.4 Differenzierungen in den Ethikkonzeptionen 409
- 12.5 Ausblick auf zukünftige Forschung 412
- 12.6 Allgemeine Schlussbemerkungen 413
- Literatur 417
- Abkürzungen 440
- Bildquellennachweis 440
- Personenregister 441