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7. Otto Neurath : Moral
234 tensweisen der Menschen oder ihre Befehle an andere Menschen übrig. ( Neurath 1931/32
[ 1981b , 552 ])
Im selben Sinne :
Ohne Metaphysik , ohne Abgrenzungen , die nur aus metaphysischen Gewohnheiten er-
klärbar sind , können diese Disziplinen [ Ethik und Rechtslehre ] sich nicht selbständig hal-
ten. Was an ihnen Realwissenschaft ist , geht in das Gebäude der Soziologie ein. ( Neurath 1931/32
[ 1981b , 555 ])
Was jedoch dennoch möglich wäre , wäre eine Disziplin , die
innerhalb der Einheitswissenschaft in durchaus behavioristischer Weise untersucht , welche
Reaktionen durch eine bestimmte Lebensordnung als Reiz ausgelöst werden , ob die Men-
schen durch bestimmte Lebensordnungen glücklicher oder weniger glücklich werden.
( Neurath 1931/32 [ 1981b , 553 ])
Dieser Disziplin gibt Neurath den Namen „Felicitologie“, und diese solle an die Stelle
überlieferter Ethik treten. Weitere Möglichkeiten prüft er 1931 nicht.
Die Felicitologie beschäftigt sich ausschließlich mit gesetzmäßigen Zusammenhän-
gen von Räumlich-Zeitlichem. Wobei die Motivationen der Menschen keine geeignete
Grundlage für gesetzmäßige Zusammenhänge seien. ( Neurath 1931/32 [ 1981b , 553 ]) Auch
der Marxismus sehe davon ab. Es gehe ihm nur um Korrelationen zwischen Tun und Be-
dingungen des Tuns :
Er bemüht sich , Korrelationen zwischen sozialer Lage und dem Verhalten ganzer Klas-
sen festzustellen , um dann die oft wechselnden Wortfolgen abzuleiten , welche verwendet
werden , um das so bedingte gesetzmäßig ableitbare Tun zu „motivieren“. ( Neurath 1931/32
[ 1981b , 553 ])
Wie schon in seinen frühen ökonomischen Beiträgen behauptet Neurath auch 1931 :
Es hat also einen guten Sinn zu fragen , ob eine bestimmte Lebensordnung mehr oder min-
der Glück verbreitet als eine andere , da ja „Glück“ durchaus behavioristisch beschreibbar ist ;
es hat einen guten Sinn zu fragen , wovon die Forderungen abhängen , die Menschenmassen
einander zurufen , welche neuen Forderungen aufgestellt werden , welche Verhaltensweisen
dabei auftreten werden – wobei Forderungen und Verhaltensweisen oft wesentlich differie-
ren. Das sind alles legitime soziologische Fragestellungen. Ob es sich empfiehlt , sie als „ethi-
sche“ zu bezeichnen , bleibe dahingestellt. ( Neurath 1931/32 [ 1981b , 553 ])
Ethik und Moral im Wiener Kreis
Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Ethik und Moral im Wiener Kreis
- Untertitel
- Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
- Autor
- Annemarie Siegetsleitner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79533-9
- Abmessungen
- 16.9 x 23.9 cm
- Seiten
- 450
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 13
- 2. Terminologische Klärungen 37
- 3. Moral und Ethik im Wiener Kreis und die Standardauffassung logisch- empiristischer Ethik 52
- 4. Das kulturelle Umfeld des politischen und moralischen Engagements 67
- 5. Rudolf Carnap : Individualistischer Dezisionismus und wissenschaftlicher Humanismus 89
- 5.1 Einleitung 89
- 5.2 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik vor der Wiener-Kreis-Periode 92
- 5.3 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik in der Wiener-Kreis-Periode 111
- 5.3.1 Der logische Aufbau der Welt ( 1928a ) und die Konstitution von Werten 111
- 5.3.2 Scheinprobleme in der Philosophie ( 1928b ) 120
- 5.3.3 „Wissenschaft und Leben“ ( 1929b ) 123
- 5.3.4 „Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache“ ( 1931/32 ) 129
- 5.3.5 „Theoretische Fragen und praktische Entscheidungen“ ( 1934a ) 133
- 5.3.6 Philosophy and Logical Syntax ( 1935 ) 136
- 5. 3. 7 Carnaps moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 138
- 5.3.8 Carnaps individualistischer Dezisionismus und die Lebenspraxis 141
- 5.3.9 Möglichkeiten und Grenzen der Ethik 148
- 5.4 Spätphase : Optative 149
- 5.5 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 160
- 6. Karl Menger : Mathematische Modelle für ein verträgliches Zusammenleben 163
- 6.1 Einleitung 163
- 6.2 Mengers Logik der Sitten 168
- 6.3 Mengers Moralauffassung 177
- 6.3.1 Moral 1. und 2. Stufe , Basismoralen 177
- 6.3.2 Sinn und Zweck der / einer Moral 177
- 6.3.3 Kritik am Kategorischen Imperativ 179
- 6.3.4 Mengers Konzeption der Moralsprache : Semantischer Nonkognitivismus 180
- 6.3.5 Moralische Erkenntnis : Fundamentaler Nonkognitivismus und systemimmanenter Kognitivismus 182
- 6.4 Mengers Ethikverständnis 186
- 6.5 Menger und die Angewandte Ethik 193
- 6.6 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 194
- 7. Otto Neurath : Moral auf der Grundlage gemeinsam beschlossener humanistischer Lebensgrundsätze und Ethik in der Einheitswissenschaft 196
- 8. Philipp Frank : Pragmatische Ethik und relativierte Moral 251
- 9. Moritz Schlick : Eudämonistische Ethik als Weisheitslehre 265
- 10. Victor Kraft : Zwei-Komponenten-Kognitivismus und rationale Moralbegründung 332
- 10.1 Einleitung 332
- 10.2 Krafts moralische und ethische Auffassungen in der Wiener-Kreis-Periode 337
- 10.3 Krafts moralische und ethische Auffassungen nach der Wiener-Kreis-Periode 371
- 10.3.1 Moralbegründung auf Grundlage der Kultur : Die Grundlagen einer wissenschaftlichen Wertlehre , 2. Auflage ( 1951 ) 371
- 10.3.2 Moralbegründung auf Grundlage natürlicher Ziele : Rationale Moralbegründung ( 1963 ) 374
- 10.3.3 Moralbegründung auf der Grundlage primärer Strebensziele : Die Grundlagen der Erkenntnis und der Moral ( 1968 ) 377
- 10.4 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 383
- 11. Herbert Feigl : Pragmatische Moralbegründung 387
- 12. Systematische Zusammenfassung und allgemeine Schlussbemerkungen 402
- 12.1 Mangelndes Interesse an Moral als Menschen und Bürgerinnen oder Bürger 402
- 12.2 Geteilte moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 403
- 12.3 Differenzierungen in den Moralkonzeptionen 404
- 12.4 Differenzierungen in den Ethikkonzeptionen 409
- 12.5 Ausblick auf zukünftige Forschung 412
- 12.6 Allgemeine Schlussbemerkungen 413
- Literatur 417
- Abkürzungen 440
- Bildquellennachweis 440
- Personenregister 441