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9.2 Schlicks moralische und ethische Auffassungen vor seiner Wiener-Kreis-Periode
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vermachte er einen beträchtlichen Geldbetrag den Wohltätigkeitseinrichtungen der Loge.
1905 wird „Geben ist seliger denn nehmen“ als Lebensmotto von Vater und Großvater ge-
nannt. ( Iven 2008a , 28–32 ) Iven schließt daraus :
Güte und Verständnis , Toleranz und Aufgeschlossenheit dürfen [ … ] sicherlich ohne Ein-
schränkung als diejenigen Eigenschaften benannt werden , die die Erziehung zuvorderst be-
stimmten. ( Iven 2008a , 32 )
Schlicks Vater dürfte zudem in der 1876 gegründeten Nationalliberalen Partei engagiert ge-
wesen sein. In einem Brief an seinen Sohn Moritz berichtet er 1916 , er habe bei einer Sit-
zung der Partei neben Max Planck gesessen , der in der Zwischenzeit Schlicks Doktorva-
ter geworden war. ( Iven 2008a , 32 , Fn. 39 )
Krankheitsbedingt – er litt unter anderem an Migräne – konnte Schlick die Schule
häufig nicht besuchen und verbrachte seine Zeit mit Klavierspiel , Malerei und Litera-
tur. Schon 1893 stellte er einem ersten literarischen Versuch , von dem nur wenige Seiten
ausgeführt wurden , das Titelblatt „M. Schlick’s Werke. I. Band. enthaltend : 1. Perse-
phone“ voran. Meist hielten , so ist Iven zu folgen , in den dramatischen Versuchen alte
Männer „lyrisch oder philosophisch angehauchte Monologe“, wie sie sich noch später
in Schlicks ethischen Werken finden werden. In den im Nachlass erhaltenen Notizbü-
chern und der Korrespondenz finden sich darüber hinaus zahlreiche lyrische Versuche.
( Iven 2008a , 47 ff. ) 344
Ebenfalls noch während der Schulzeit machte sich Schlick v. a. durch die Heftchen
der Reclam’schen Universalbibliothek mit philosophischen Schriften von Descartes und
Schopenhauer vertraut. ( Iven 2008a , 52 ) Hinzu kam eine ausgeprägte Begeisterung des
16-Jährigen für Nietzsche :
Ich kaufte mir sofort die „Fröhliche Wissenschaft“ und den „Zarathustra“. Ich stand im Alter
von 16 Jahren in der Zeit der grössten Aufnahmefähigkeit und die poetische Gewalt des Bu-
ches ergriff mich bis ins Innerste
– [ … ]. Kein Buch hat früher oder später mich so erschüttert
und beseeligt wie der Zarathustra. Und selbst wenn ich nicht auch heute noch Nietzsche für
den Weisheitskünder hielte , der für tiefste Erlebnisse die glühendsten Worte gefunden hat ,
die je einem Menschen gegeben waren , müsste ich ihn dennoch immer segnen um so vieler
Tränen höchster Begeisterung willen , die ich ihm danke. ( Schlick [ Autobiographie ], Nach-
lass Schlick , Inv.-Nr. 82 , C. 2b , 3 /4 )345
344 1962 wurde eine Sammlung mit Aphorismen aus dem Schlick-Nachlass herausgegeben. ( Schlick
1962 ) In einem heißt es : „Wir sind alle verhinderte Dichter.“ ( Schlick 1962 , 66 )
345 Über Nietzsche wird Schlick mehrmals Vorlesungen halten. Neben Schopenhauer hat er ihn , der im
angloamerikanischen Kulturbereich meist abgelehnt und lange ignoriert wurde , als Philoso phen an-
erkannt. Zur Rezeption Nietzsches bei Wittgenstein und dem Wiener Kreis siehe Brusotti 2009.
Ethik und Moral im Wiener Kreis
Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Ethik und Moral im Wiener Kreis
- Untertitel
- Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
- Autor
- Annemarie Siegetsleitner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79533-9
- Abmessungen
- 16.9 x 23.9 cm
- Seiten
- 450
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 13
- 2. Terminologische Klärungen 37
- 3. Moral und Ethik im Wiener Kreis und die Standardauffassung logisch- empiristischer Ethik 52
- 4. Das kulturelle Umfeld des politischen und moralischen Engagements 67
- 5. Rudolf Carnap : Individualistischer Dezisionismus und wissenschaftlicher Humanismus 89
- 5.1 Einleitung 89
- 5.2 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik vor der Wiener-Kreis-Periode 92
- 5.3 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik in der Wiener-Kreis-Periode 111
- 5.3.1 Der logische Aufbau der Welt ( 1928a ) und die Konstitution von Werten 111
- 5.3.2 Scheinprobleme in der Philosophie ( 1928b ) 120
- 5.3.3 „Wissenschaft und Leben“ ( 1929b ) 123
- 5.3.4 „Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache“ ( 1931/32 ) 129
- 5.3.5 „Theoretische Fragen und praktische Entscheidungen“ ( 1934a ) 133
- 5.3.6 Philosophy and Logical Syntax ( 1935 ) 136
- 5. 3. 7 Carnaps moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 138
- 5.3.8 Carnaps individualistischer Dezisionismus und die Lebenspraxis 141
- 5.3.9 Möglichkeiten und Grenzen der Ethik 148
- 5.4 Spätphase : Optative 149
- 5.5 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 160
- 6. Karl Menger : Mathematische Modelle für ein verträgliches Zusammenleben 163
- 6.1 Einleitung 163
- 6.2 Mengers Logik der Sitten 168
- 6.3 Mengers Moralauffassung 177
- 6.3.1 Moral 1. und 2. Stufe , Basismoralen 177
- 6.3.2 Sinn und Zweck der / einer Moral 177
- 6.3.3 Kritik am Kategorischen Imperativ 179
- 6.3.4 Mengers Konzeption der Moralsprache : Semantischer Nonkognitivismus 180
- 6.3.5 Moralische Erkenntnis : Fundamentaler Nonkognitivismus und systemimmanenter Kognitivismus 182
- 6.4 Mengers Ethikverständnis 186
- 6.5 Menger und die Angewandte Ethik 193
- 6.6 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 194
- 7. Otto Neurath : Moral auf der Grundlage gemeinsam beschlossener humanistischer Lebensgrundsätze und Ethik in der Einheitswissenschaft 196
- 8. Philipp Frank : Pragmatische Ethik und relativierte Moral 251
- 9. Moritz Schlick : Eudämonistische Ethik als Weisheitslehre 265
- 10. Victor Kraft : Zwei-Komponenten-Kognitivismus und rationale Moralbegründung 332
- 10.1 Einleitung 332
- 10.2 Krafts moralische und ethische Auffassungen in der Wiener-Kreis-Periode 337
- 10.3 Krafts moralische und ethische Auffassungen nach der Wiener-Kreis-Periode 371
- 10.3.1 Moralbegründung auf Grundlage der Kultur : Die Grundlagen einer wissenschaftlichen Wertlehre , 2. Auflage ( 1951 ) 371
- 10.3.2 Moralbegründung auf Grundlage natürlicher Ziele : Rationale Moralbegründung ( 1963 ) 374
- 10.3.3 Moralbegründung auf der Grundlage primärer Strebensziele : Die Grundlagen der Erkenntnis und der Moral ( 1968 ) 377
- 10.4 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 383
- 11. Herbert Feigl : Pragmatische Moralbegründung 387
- 12. Systematische Zusammenfassung und allgemeine Schlussbemerkungen 402
- 12.1 Mangelndes Interesse an Moral als Menschen und Bürgerinnen oder Bürger 402
- 12.2 Geteilte moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 403
- 12.3 Differenzierungen in den Moralkonzeptionen 404
- 12.4 Differenzierungen in den Ethikkonzeptionen 409
- 12.5 Ausblick auf zukünftige Forschung 412
- 12.6 Allgemeine Schlussbemerkungen 413
- Literatur 417
- Abkürzungen 440
- Bildquellennachweis 440
- Personenregister 441