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9.2 Schlicks moralische und ethische Auffassungen vor seiner Wiener-Kreis-Periode
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handelt von den individuellen Bedingungen für das Erreichen von Glückseligkeit. Alleine
der zweite Abschnitt behandelt dabei u. a. die Bereiche Zivilisation , Natur , Sinnlichkeit ,
Kunst , Wissenschaft , Genie und Religion. Der dritte und abschließende ist dem Umgang
der Menschen untereinander gewidmet und untersucht , welche Rolle der soziale Umgang
für die Glückseligkeit spielt. Die höchste soziale Tugend liegt für Schlick schließlich in
der Liebe , bezüglich deren er sich in pathetischen Ausführungen hingibt. Bei allem spielt
der Evolutionsgedanke eine zentrale Rolle.
Mit der Arbeit an der Lebensweisheit hatte Schlick bereits 1898 begonnen. Wie oben
angemerkt , findet sich im Nachlass ein Notizbuch , das am Ende des Jahres 1898 begon-
nen wurde und auf dessen ersten Seiten sich ein größerer , zusammenhängender Text über
das Wesen des Glücks findet , in dem es u. a. schon heißt :
Um uns über das Wesen des Glücks zu unterrichten , müssen wir die Wünsche der Menschen
einer näheren Betrachtung unterziehen. Je mehr Wünsche einem erfüllt sind , desto zufriede-
ner wird er sein , desto glücklicher wird er leben. ( Schlick [ Vorarbeiten zur Glückseligkeits-
lehre I ], Nachlass Schlick , Inv.-Nr. 156 , A. 110 , 3 ; zit. n. Iven 2006a , 2 )
Das Notizbuch erscheint im Nachlassverzeichnis unter dem ( rekonstruierten ) Titel Vor-
arbeiten zur Glückseligkeitslehre I ( Nachlass Schlick , Inv.-Nr. 156 , A. 110 ).353
9.2.2.2 Evolution , Glück , Spiel
Wir befinden uns mit der Entstehungszeit der Lebensweisheit in einer Zeit , in der die Evo-
lution und Evolutionslehren als Bezugspunkt nicht zuletzt in der Ethik en vogue waren.354
Man denke nur an das umfangreiche Werk Herbert Spencers , das vor allem durch Geor-
ge Edward Moores Kritik daran im Gedächtnis der Philosophie haften blieb. Doch be-
reits 1893 dokumentierte Ch. M. Williams in einem umfangreichen Werk die Intensität
und Breitenwirkung dieser Strömung in der Ethik , die sich auf die eine oder andere Wei-
se auf die Evolution bzw. Evolutionslehren beruft. ( Engels 2002 , 341 ) Auch an Schlick
ging diese Strömung nicht spurlos vorüber. Evolution und Glück sind in der Lebensweis-
heit eng miteinander verbunden , wie aus Schlicks Auffassung von Evolution deutlich wird.
Die Evolution ist auf ein Ziel gerichtet , nämlich glücklichere Lebewesen : Das wichtigste
Charakteristikum der Evolution in Schlicks Verständnis ist , dass diese klar auf ein Ziel
hin ausgerichtet sei :
353 Eine ausführliche Darstellung der Entstehungsgeschichte und der Überlieferung des Werkes bietet
Iven 2006b.
354 Siehe z. B. folgende Aussage bei G. E. Moore : „Unter den Versuchen , einen Appell an die Natur in
ein System einzubauen , ist zur Zeit am geläufigsten die Anwendung des Begriffs ‚Evolution‘ auf ethi-
sche Fragen , und zwar in den ethischen Lehren , die ‚evolutionistisch‘ genannt werden.“ ( Moore 1903
[ 1970 , 84 ])
Ethik und Moral im Wiener Kreis
Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Ethik und Moral im Wiener Kreis
- Untertitel
- Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
- Autor
- Annemarie Siegetsleitner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79533-9
- Abmessungen
- 16.9 x 23.9 cm
- Seiten
- 450
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 13
- 2. Terminologische Klärungen 37
- 3. Moral und Ethik im Wiener Kreis und die Standardauffassung logisch- empiristischer Ethik 52
- 4. Das kulturelle Umfeld des politischen und moralischen Engagements 67
- 5. Rudolf Carnap : Individualistischer Dezisionismus und wissenschaftlicher Humanismus 89
- 5.1 Einleitung 89
- 5.2 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik vor der Wiener-Kreis-Periode 92
- 5.3 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik in der Wiener-Kreis-Periode 111
- 5.3.1 Der logische Aufbau der Welt ( 1928a ) und die Konstitution von Werten 111
- 5.3.2 Scheinprobleme in der Philosophie ( 1928b ) 120
- 5.3.3 „Wissenschaft und Leben“ ( 1929b ) 123
- 5.3.4 „Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache“ ( 1931/32 ) 129
- 5.3.5 „Theoretische Fragen und praktische Entscheidungen“ ( 1934a ) 133
- 5.3.6 Philosophy and Logical Syntax ( 1935 ) 136
- 5. 3. 7 Carnaps moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 138
- 5.3.8 Carnaps individualistischer Dezisionismus und die Lebenspraxis 141
- 5.3.9 Möglichkeiten und Grenzen der Ethik 148
- 5.4 Spätphase : Optative 149
- 5.5 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 160
- 6. Karl Menger : Mathematische Modelle für ein verträgliches Zusammenleben 163
- 6.1 Einleitung 163
- 6.2 Mengers Logik der Sitten 168
- 6.3 Mengers Moralauffassung 177
- 6.3.1 Moral 1. und 2. Stufe , Basismoralen 177
- 6.3.2 Sinn und Zweck der / einer Moral 177
- 6.3.3 Kritik am Kategorischen Imperativ 179
- 6.3.4 Mengers Konzeption der Moralsprache : Semantischer Nonkognitivismus 180
- 6.3.5 Moralische Erkenntnis : Fundamentaler Nonkognitivismus und systemimmanenter Kognitivismus 182
- 6.4 Mengers Ethikverständnis 186
- 6.5 Menger und die Angewandte Ethik 193
- 6.6 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 194
- 7. Otto Neurath : Moral auf der Grundlage gemeinsam beschlossener humanistischer Lebensgrundsätze und Ethik in der Einheitswissenschaft 196
- 8. Philipp Frank : Pragmatische Ethik und relativierte Moral 251
- 9. Moritz Schlick : Eudämonistische Ethik als Weisheitslehre 265
- 10. Victor Kraft : Zwei-Komponenten-Kognitivismus und rationale Moralbegründung 332
- 10.1 Einleitung 332
- 10.2 Krafts moralische und ethische Auffassungen in der Wiener-Kreis-Periode 337
- 10.3 Krafts moralische und ethische Auffassungen nach der Wiener-Kreis-Periode 371
- 10.3.1 Moralbegründung auf Grundlage der Kultur : Die Grundlagen einer wissenschaftlichen Wertlehre , 2. Auflage ( 1951 ) 371
- 10.3.2 Moralbegründung auf Grundlage natürlicher Ziele : Rationale Moralbegründung ( 1963 ) 374
- 10.3.3 Moralbegründung auf der Grundlage primärer Strebensziele : Die Grundlagen der Erkenntnis und der Moral ( 1968 ) 377
- 10.4 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 383
- 11. Herbert Feigl : Pragmatische Moralbegründung 387
- 12. Systematische Zusammenfassung und allgemeine Schlussbemerkungen 402
- 12.1 Mangelndes Interesse an Moral als Menschen und Bürgerinnen oder Bürger 402
- 12.2 Geteilte moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 403
- 12.3 Differenzierungen in den Moralkonzeptionen 404
- 12.4 Differenzierungen in den Ethikkonzeptionen 409
- 12.5 Ausblick auf zukünftige Forschung 412
- 12.6 Allgemeine Schlussbemerkungen 413
- Literatur 417
- Abkürzungen 440
- Bildquellennachweis 440
- Personenregister 441