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9. Moritz Schlick : Eudämonistische Ethik als Weisheitslehre
280 [ … ], daß beim Wandel unter den Menschen Güte und Gerechtigkeit die besten Führer zum
Glücke sind. [ … ], daß Sittlichkeit allein zu einem seligen Leben unter Menschen führen
kann. ( Schlick 1908 , 237 )
Wir haben es hier also zudem mit einem Hedonismus bzw. Eudämonismus der Sittlich-
keitsbegründung zu tun. Der Sinn dieser moralischen Lehre ist , so Reiner , den Menschen
zu sagen : Tut das sittlich Gute , ihr handelt damit am klügsten , denn ihr befördert damit
auch eure eigene Glückseligkeit ! ( Reiner 1964 , 48 )369 Damit schlägt sich Schlick auf die
Seite von Epikur gegen Nietzsche , für den der Konflikt zwischen Sittlichkeit und Glück
prinzipiell nicht auflösbar zu sein schien. ( Reiner 1964 , 54 ) Auf Epikur und Aristipp ( ca.
435–355 v. Chr. ) beruft sich Schlick in diesem Werk wiederholt , z. B. :
Wegen dieses Satzes , daß alle Lust an sich gut sei , ist Epikur später – besonders von Cice-
ro – arg geschmäht worden ; aber der glückliche Grieche hat ohne Zweifel Recht : man darf
von einer Güte , von einem Werte der Lust überhaupt nicht sprechen , denn die Lust ist jen-
seits aller Wertunterschiede , da sie diese selbst erst schafft. ( Schlick 1908 , 41 )
Soweit zum negativen Ergebnis über die Beziehung zwischen Evolution und Moral
in der Lebensweisheit : Es handelt sich in der Lebensweisheit um keine evolutionistische
Ethik.
Welche Beziehungen zwischen Evolution und Moral liegen in der Lebensweisheit nun aber
vor ? Zum einen erklärt die Evolution die Entwicklung von Trieben , einschließlich den
sozialen und sittlichen. Die sozialen und sittlichen Triebe sieht Schlick als für die Men-
schen notwendig an , damit sie das Ziel der Evolution , nämlich möglichst glücklich zu
werden , erreichten :
Als gute Werkzeuge unseres Glückes konnten die Mitgeschöpfe nur dienen , wenn sie selbst
sich in bestimmten Zuständen befanden. Man mußte danach streben , sie in solche Zustän-
de zu versetzen , und schließlich bildeten sich Triebe aus , die dies Geschäft übernahmen und
die ihre Objekte nun in den Mitgeschöpfen selber fanden. ( Schlick 1908 , 264 f. )
369 Dass ihm Epikur ein großes Vorbild war , zeigt sich nicht zuletzt in dem Umstand , dass Schlick be-
reits ab 1909 über viele Jahre hinweg an einem nie vollendeten Werk Der neue Epikur. Was er vom
Spiel des Daseins lehrte arbeitete , zu dem sich zahlreiche Aufzeichnungen im Nachlass befinden. ( Sie-
he dazu unten Abschnitt 9. 2. 3 ) In den Fragen kommt lediglich nur noch einmal ausdrücklich Aris-
tipp zur Sprache. Die Verbindung von Eudämonismus und Hedonismus taucht zunächst in der Re-
naissance wieder auf , sodann in der französischen Aufklärung und bei Bentham und Mill. Schon in
der Antike wurde jedoch aus einem individualistischen Eudämonismus die Konsequenz gezogen , die
Moral abzulehnen. ( Siehe dazu Reiner 1964 , 37 f. )
Ethik und Moral im Wiener Kreis
Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Ethik und Moral im Wiener Kreis
- Untertitel
- Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
- Autor
- Annemarie Siegetsleitner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79533-9
- Abmessungen
- 16.9 x 23.9 cm
- Seiten
- 450
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 13
- 2. Terminologische Klärungen 37
- 3. Moral und Ethik im Wiener Kreis und die Standardauffassung logisch- empiristischer Ethik 52
- 4. Das kulturelle Umfeld des politischen und moralischen Engagements 67
- 5. Rudolf Carnap : Individualistischer Dezisionismus und wissenschaftlicher Humanismus 89
- 5.1 Einleitung 89
- 5.2 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik vor der Wiener-Kreis-Periode 92
- 5.3 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik in der Wiener-Kreis-Periode 111
- 5.3.1 Der logische Aufbau der Welt ( 1928a ) und die Konstitution von Werten 111
- 5.3.2 Scheinprobleme in der Philosophie ( 1928b ) 120
- 5.3.3 „Wissenschaft und Leben“ ( 1929b ) 123
- 5.3.4 „Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache“ ( 1931/32 ) 129
- 5.3.5 „Theoretische Fragen und praktische Entscheidungen“ ( 1934a ) 133
- 5.3.6 Philosophy and Logical Syntax ( 1935 ) 136
- 5. 3. 7 Carnaps moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 138
- 5.3.8 Carnaps individualistischer Dezisionismus und die Lebenspraxis 141
- 5.3.9 Möglichkeiten und Grenzen der Ethik 148
- 5.4 Spätphase : Optative 149
- 5.5 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 160
- 6. Karl Menger : Mathematische Modelle für ein verträgliches Zusammenleben 163
- 6.1 Einleitung 163
- 6.2 Mengers Logik der Sitten 168
- 6.3 Mengers Moralauffassung 177
- 6.3.1 Moral 1. und 2. Stufe , Basismoralen 177
- 6.3.2 Sinn und Zweck der / einer Moral 177
- 6.3.3 Kritik am Kategorischen Imperativ 179
- 6.3.4 Mengers Konzeption der Moralsprache : Semantischer Nonkognitivismus 180
- 6.3.5 Moralische Erkenntnis : Fundamentaler Nonkognitivismus und systemimmanenter Kognitivismus 182
- 6.4 Mengers Ethikverständnis 186
- 6.5 Menger und die Angewandte Ethik 193
- 6.6 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 194
- 7. Otto Neurath : Moral auf der Grundlage gemeinsam beschlossener humanistischer Lebensgrundsätze und Ethik in der Einheitswissenschaft 196
- 8. Philipp Frank : Pragmatische Ethik und relativierte Moral 251
- 9. Moritz Schlick : Eudämonistische Ethik als Weisheitslehre 265
- 10. Victor Kraft : Zwei-Komponenten-Kognitivismus und rationale Moralbegründung 332
- 10.1 Einleitung 332
- 10.2 Krafts moralische und ethische Auffassungen in der Wiener-Kreis-Periode 337
- 10.3 Krafts moralische und ethische Auffassungen nach der Wiener-Kreis-Periode 371
- 10.3.1 Moralbegründung auf Grundlage der Kultur : Die Grundlagen einer wissenschaftlichen Wertlehre , 2. Auflage ( 1951 ) 371
- 10.3.2 Moralbegründung auf Grundlage natürlicher Ziele : Rationale Moralbegründung ( 1963 ) 374
- 10.3.3 Moralbegründung auf der Grundlage primärer Strebensziele : Die Grundlagen der Erkenntnis und der Moral ( 1968 ) 377
- 10.4 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 383
- 11. Herbert Feigl : Pragmatische Moralbegründung 387
- 12. Systematische Zusammenfassung und allgemeine Schlussbemerkungen 402
- 12.1 Mangelndes Interesse an Moral als Menschen und Bürgerinnen oder Bürger 402
- 12.2 Geteilte moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 403
- 12.3 Differenzierungen in den Moralkonzeptionen 404
- 12.4 Differenzierungen in den Ethikkonzeptionen 409
- 12.5 Ausblick auf zukünftige Forschung 412
- 12.6 Allgemeine Schlussbemerkungen 413
- Literatur 417
- Abkürzungen 440
- Bildquellennachweis 440
- Personenregister 441