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9.2 Schlicks moralische und ethische Auffassungen vor seiner Wiener-Kreis-Periode
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phie der Gegenwart“ behandelte und dort auf den Entwicklungsgedanken für die Ethik
keineswegs verzichten möchte :
Die Ethik Spencers – [ … ], enthält aber eine grosse Zahl guter und vor allem wichtiger ge-
danken [ sic ! ]; für die Ethik ist ja auch der Entwicklungsstandpunkt ausserordentlich geeig-
net , fruchtbare Resultate zu erzielen ; man kann in der Ethik eigentlich überhaupt nicht wei-
ter kommen in wirklich wissenschaftlicher Forschung , wenn man nicht auf Schritt und Tritt
den Entwicklungsgedanken benutzt. ( Schlick [ Die Philosophie der Gegenwart ], Nachlass
Schlick , Inv.-Nr. 6 , A. 8 , 11 )
Noch in seiner Vorlesung „Weltanschauungsfragen“, die erstmals für das Wintersemes-
ter 1917/18 angekündigt wurde ( Iven 2006a , 3 ), ist die Evolution im Zusammenhang mit
Übel und Schmerz Thema :
Diese Entwicklung bringt auch Gefahren mit sich : es können durch die Differenzierung
schädliche Triebe entstehen ( erläutern ). Aber sie schleifen sich ab , und der Erfolg der Ent-
wicklung ist eine immer vollkommenere Anpassung des Menschen an die Welt. Führt zu op-
timistischer Weltanschauung. [ … ] Mögen sie [ Übel und Schmerz ] auch noch so gross sein :
die natürlichen Entwicklungsprozesse müssen sie notwendig verkleinern. ( Schlick [ Weltan-
schauungsfragen ], Nachlass Schlick , Inv.-Nr. 6 , A. 9a , 10 )
Ob er diese Position ebenso in den Vorlesungen zu diesem Thema in den Jahren 1926 , 1928
und 1932 vertrat , ist nicht bekannt.
Wenngleich Schlick seine Auffassung über die Beziehung zwischen Evolution und
Moral nicht ganz aufgegeben zu haben scheint , so werden die expliziten Ausführungen
dazu seltener. Eine Antwort darauf , ob möglicherweise die Lektüre von Moores Principia
Ethica darauf einen Einfluss hatte , steht noch aus. Moore , der scharfsinnige Kritiker evo-
lutionistischer Kritiken , wird in der Lebensweisheit noch nicht erwähnt. Schlick behan-
delte Moores Principia Ethica jedoch in Lehrveranstaltungen im Wintersemester 1927/28
und Sommersemester 1928. ( Siehe dazu Abschnitt 9.3.2.5 unten ) Jedenfalls heißt es in ei-
ner Vorlesungsvorbereitung für „Ethik und Kulturphilosophie“ vom WS 1935 /36 viel be-
scheidener :
Entwicklungsgeschichtliche Betrachtungsweise. Entstehung von Moral und Kultur. Viele sa-
gen : falscher Weg. Naturalistisch , Sache des Anthropologen , Ethnologen. Philosophie will
wissen , wie es ist , nicht wie es entstanden ist. Vielleicht richtig – aber was kann es schaden ?
Auflockerung , Befreiung ; Erweiterung des Horizonts. Wir brauchen nicht stehen bleiben bei
entwicklungsgeschichtlicher Betrachtung ; als Vorbereitung gut. ( Schlick [ Ethik und Kultur-
philosophie ], Nachlass Schlick , Inv.-Nr. 10 , A. 22 , 2 f. )
Ethik und Moral im Wiener Kreis
Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Ethik und Moral im Wiener Kreis
- Untertitel
- Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
- Autor
- Annemarie Siegetsleitner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79533-9
- Abmessungen
- 16.9 x 23.9 cm
- Seiten
- 450
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 13
- 2. Terminologische Klärungen 37
- 3. Moral und Ethik im Wiener Kreis und die Standardauffassung logisch- empiristischer Ethik 52
- 4. Das kulturelle Umfeld des politischen und moralischen Engagements 67
- 5. Rudolf Carnap : Individualistischer Dezisionismus und wissenschaftlicher Humanismus 89
- 5.1 Einleitung 89
- 5.2 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik vor der Wiener-Kreis-Periode 92
- 5.3 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik in der Wiener-Kreis-Periode 111
- 5.3.1 Der logische Aufbau der Welt ( 1928a ) und die Konstitution von Werten 111
- 5.3.2 Scheinprobleme in der Philosophie ( 1928b ) 120
- 5.3.3 „Wissenschaft und Leben“ ( 1929b ) 123
- 5.3.4 „Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache“ ( 1931/32 ) 129
- 5.3.5 „Theoretische Fragen und praktische Entscheidungen“ ( 1934a ) 133
- 5.3.6 Philosophy and Logical Syntax ( 1935 ) 136
- 5. 3. 7 Carnaps moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 138
- 5.3.8 Carnaps individualistischer Dezisionismus und die Lebenspraxis 141
- 5.3.9 Möglichkeiten und Grenzen der Ethik 148
- 5.4 Spätphase : Optative 149
- 5.5 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 160
- 6. Karl Menger : Mathematische Modelle für ein verträgliches Zusammenleben 163
- 6.1 Einleitung 163
- 6.2 Mengers Logik der Sitten 168
- 6.3 Mengers Moralauffassung 177
- 6.3.1 Moral 1. und 2. Stufe , Basismoralen 177
- 6.3.2 Sinn und Zweck der / einer Moral 177
- 6.3.3 Kritik am Kategorischen Imperativ 179
- 6.3.4 Mengers Konzeption der Moralsprache : Semantischer Nonkognitivismus 180
- 6.3.5 Moralische Erkenntnis : Fundamentaler Nonkognitivismus und systemimmanenter Kognitivismus 182
- 6.4 Mengers Ethikverständnis 186
- 6.5 Menger und die Angewandte Ethik 193
- 6.6 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 194
- 7. Otto Neurath : Moral auf der Grundlage gemeinsam beschlossener humanistischer Lebensgrundsätze und Ethik in der Einheitswissenschaft 196
- 8. Philipp Frank : Pragmatische Ethik und relativierte Moral 251
- 9. Moritz Schlick : Eudämonistische Ethik als Weisheitslehre 265
- 10. Victor Kraft : Zwei-Komponenten-Kognitivismus und rationale Moralbegründung 332
- 10.1 Einleitung 332
- 10.2 Krafts moralische und ethische Auffassungen in der Wiener-Kreis-Periode 337
- 10.3 Krafts moralische und ethische Auffassungen nach der Wiener-Kreis-Periode 371
- 10.3.1 Moralbegründung auf Grundlage der Kultur : Die Grundlagen einer wissenschaftlichen Wertlehre , 2. Auflage ( 1951 ) 371
- 10.3.2 Moralbegründung auf Grundlage natürlicher Ziele : Rationale Moralbegründung ( 1963 ) 374
- 10.3.3 Moralbegründung auf der Grundlage primärer Strebensziele : Die Grundlagen der Erkenntnis und der Moral ( 1968 ) 377
- 10.4 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 383
- 11. Herbert Feigl : Pragmatische Moralbegründung 387
- 12. Systematische Zusammenfassung und allgemeine Schlussbemerkungen 402
- 12.1 Mangelndes Interesse an Moral als Menschen und Bürgerinnen oder Bürger 402
- 12.2 Geteilte moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 403
- 12.3 Differenzierungen in den Moralkonzeptionen 404
- 12.4 Differenzierungen in den Ethikkonzeptionen 409
- 12.5 Ausblick auf zukünftige Forschung 412
- 12.6 Allgemeine Schlussbemerkungen 413
- Literatur 417
- Abkürzungen 440
- Bildquellennachweis 440
- Personenregister 441