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9.4 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen
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Sprachgebrauch bleiben. ( Schlick 1952 , 36 ) Dies gilt letztlich ebenso für die Aufgabe der
Ethik. In den Fragen wird in den meisten Teilen zwar die Dienstleistung der philoso-
phischen Ethik für die Moralpsychologie als Sinnklärung hervorgehoben und die Ethik
als wissenschaftliche Disziplin bestimmt , doch im entscheidenden letzten Kapitel geht
es wiederum um normative Lebensorientierung. In ausgeprägter Form findet sich dies
auf mehrere gesellschaftliche Bereiche angewandt ebenso in Natur und Kultur. Zudem ist
Schlick kein Nonkognitivist. Hier sind insbesondere die Ausführungen von Carnap und
Ayer ungeeignet , Schlicks Verständnis von Moral und Ethik zu charakterisieren.
Alles in allem ist Schlicks Ethik sehr naiv , was nicht zuletzt seinem einseitigen , opti-
mistischen Menschenbild geschuldet ist. Es handelt sich bei seinen ethischen Werken hin-
sichtlich ihres philosophischen Niveaus und Einflusses um keine den erkenntnistheore-
tischen gleichrangigen Werke. Diskussionen bei den Zusammenkünften des Kreises über
diese Schriften hätten seiner Ethik vermutlich gut getan. Ja , Schlick war kein Logischer
Empirist , „wie er im Buche steht“. Hier ist Mormann eindeutig rechtzugeben. ( Mormann
2010a , 263 ) Mormann hält Schlick zudem außerhalb der Wissenschaftsphilosophie über-
haupt für keinen modernen Denker. ( Mormann 2010a , 284 ) Dem ist zu widersprechen.
Schlick ist ein moderner Denker , wenngleich kein modernistischer. Schlick bleibt sein Le-
ben lang ein traditioneller Empirist ( mit konventionellen Ergänzungen ) und bietet eine
übliche philosophische Verbindung :
Übrigens tendieren reflektierter Hedonismus , Empirismus , Nähe zur Naturwissenschaft , op-
timistische Nüchternheit und „common sense“ schon seit Epikur über Hume und Mill tradi-
tionell dazu , am selben Denker gemeinsam aufzutreten. ( Strobach 2008 , 279 )
Ein verifikationistisches Sinnkriterium spielt für seine Ethik nur eine sehr allgemeine Rol-
le , ebenso die Logik.445 Darüber hinaus verdankt sich Schlicks ethisches Werk in seiner
Genese nicht dem Logischen Empirismus. Was nämlich aus den Fragen
– abgesehen von
den Bezügen auf Wittgenstein
– nicht schon in der Lebens weisheit vorkommt , findet sich
so oder ähnlich in den frühen Vorlesungen. Es handelt sich um eine empiristische Ethik
in dem Sinne , dass Schlicks Ethik an die Erfahrung rückgebunden bleibt und sich gegen
bloße Spekulation ausspricht.
Aus dem Wiener-Kreis-Triumvirat ist Schlick derjenige , der die Meinung vertrat , die
Philosophie solle lebenspraktische Fragen direkt adressieren und nicht über die Wissen-
schaftstheorie und die Einzelwissenschaften „mit erledigen“. Wer nur die Wissenschaft
aufklären will , der kann zu Recht gefragt werden , mit welchem Recht er / sie die Prinzi-
pien der Wissenschaft auf alle Lebensbereiche ausdehnen wolle. Selbst Mitstreiterinnen
und Mitstreiter können sagen : „Ausschluss alles Irrationalen aus der Wissenschaft ger-
445 Menger weist darauf hin , Schlick habe in den Fragen nur zurückhaltend von Logik Gebrauch ge-
macht und Wittgenstein werde darin nirgends genannt. ( Menger 1974 , 94 )
Ethik und Moral im Wiener Kreis
Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Ethik und Moral im Wiener Kreis
- Untertitel
- Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
- Autor
- Annemarie Siegetsleitner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79533-9
- Abmessungen
- 16.9 x 23.9 cm
- Seiten
- 450
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 13
- 2. Terminologische Klärungen 37
- 3. Moral und Ethik im Wiener Kreis und die Standardauffassung logisch- empiristischer Ethik 52
- 4. Das kulturelle Umfeld des politischen und moralischen Engagements 67
- 5. Rudolf Carnap : Individualistischer Dezisionismus und wissenschaftlicher Humanismus 89
- 5.1 Einleitung 89
- 5.2 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik vor der Wiener-Kreis-Periode 92
- 5.3 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik in der Wiener-Kreis-Periode 111
- 5.3.1 Der logische Aufbau der Welt ( 1928a ) und die Konstitution von Werten 111
- 5.3.2 Scheinprobleme in der Philosophie ( 1928b ) 120
- 5.3.3 „Wissenschaft und Leben“ ( 1929b ) 123
- 5.3.4 „Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache“ ( 1931/32 ) 129
- 5.3.5 „Theoretische Fragen und praktische Entscheidungen“ ( 1934a ) 133
- 5.3.6 Philosophy and Logical Syntax ( 1935 ) 136
- 5. 3. 7 Carnaps moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 138
- 5.3.8 Carnaps individualistischer Dezisionismus und die Lebenspraxis 141
- 5.3.9 Möglichkeiten und Grenzen der Ethik 148
- 5.4 Spätphase : Optative 149
- 5.5 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 160
- 6. Karl Menger : Mathematische Modelle für ein verträgliches Zusammenleben 163
- 6.1 Einleitung 163
- 6.2 Mengers Logik der Sitten 168
- 6.3 Mengers Moralauffassung 177
- 6.3.1 Moral 1. und 2. Stufe , Basismoralen 177
- 6.3.2 Sinn und Zweck der / einer Moral 177
- 6.3.3 Kritik am Kategorischen Imperativ 179
- 6.3.4 Mengers Konzeption der Moralsprache : Semantischer Nonkognitivismus 180
- 6.3.5 Moralische Erkenntnis : Fundamentaler Nonkognitivismus und systemimmanenter Kognitivismus 182
- 6.4 Mengers Ethikverständnis 186
- 6.5 Menger und die Angewandte Ethik 193
- 6.6 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 194
- 7. Otto Neurath : Moral auf der Grundlage gemeinsam beschlossener humanistischer Lebensgrundsätze und Ethik in der Einheitswissenschaft 196
- 8. Philipp Frank : Pragmatische Ethik und relativierte Moral 251
- 9. Moritz Schlick : Eudämonistische Ethik als Weisheitslehre 265
- 10. Victor Kraft : Zwei-Komponenten-Kognitivismus und rationale Moralbegründung 332
- 10.1 Einleitung 332
- 10.2 Krafts moralische und ethische Auffassungen in der Wiener-Kreis-Periode 337
- 10.3 Krafts moralische und ethische Auffassungen nach der Wiener-Kreis-Periode 371
- 10.3.1 Moralbegründung auf Grundlage der Kultur : Die Grundlagen einer wissenschaftlichen Wertlehre , 2. Auflage ( 1951 ) 371
- 10.3.2 Moralbegründung auf Grundlage natürlicher Ziele : Rationale Moralbegründung ( 1963 ) 374
- 10.3.3 Moralbegründung auf der Grundlage primärer Strebensziele : Die Grundlagen der Erkenntnis und der Moral ( 1968 ) 377
- 10.4 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 383
- 11. Herbert Feigl : Pragmatische Moralbegründung 387
- 12. Systematische Zusammenfassung und allgemeine Schlussbemerkungen 402
- 12.1 Mangelndes Interesse an Moral als Menschen und Bürgerinnen oder Bürger 402
- 12.2 Geteilte moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 403
- 12.3 Differenzierungen in den Moralkonzeptionen 404
- 12.4 Differenzierungen in den Ethikkonzeptionen 409
- 12.5 Ausblick auf zukünftige Forschung 412
- 12.6 Allgemeine Schlussbemerkungen 413
- Literatur 417
- Abkürzungen 440
- Bildquellennachweis 440
- Personenregister 441