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9. Moritz Schlick : Eudämonistische Ethik als Weisheitslehre
330 ne , aber außerhalb lassen wir es toben.“ Wer meint , durch den Ausschluss des Irrationa-
len aus der Wissenschaft selbstverständlich ebenso das Irrationale außerhalb der Wis-
senschaft ausgeschlossen zu haben , wirkt dann eben oft anmaßend und arrogant. Schlick
wollte hingegen auf das Außerwissenschaftliche direkt zugreifen , die Lebenspraxis ins-
gesamt aufklären , nicht nur die Wissenschaft. Leider ist ihm dies in vielerlei Hinsicht in
seinen ethischen Werken nicht gelungen.
Schlick gefiel sich in der Rolle des Weisen und wurde sehr wohl als solcher wahrge-
nommen , wie das bereits im Einleitungskapitel der vorliegenden Untersuchung angeführ-
te Zitat Hilde Spiels , Schriftstellerin und Schülerin Schlicks , verdeutlicht :
Frühmorgens , im großen Hörsaal der Philosophischen Fakultät , gehen tagtäglich von der
Figur eines wahrhaft weisen , wahrhaft guten Menschen Erhellung , Beruhigung , Zuversicht ,
Lebenslenkung aus. ( Spiel 1989 , 74 )
Spiel äußert zu Schlicks Ethik und Moral weiter :
Obschon die Ethik der logischen Positivisten , von ihren Gegnern am meisten angefoch-
ten , keine Axiome aufstellte und moralisches Verhalten nur auf Grund von utilitaristischen
Grundsätzen für möglich hielt , hat Schlick uns durch sein eigenes Beispiel gültige Lebens-
regeln des Anstands und der gegenseitigen Achtung vermittelt. [ … ] Und wenn die öster-
reichischen Sozialisten jener Zeit auch , [ … ], marxistisch gesinnt und daher Anhänger ei-
nes von ihm abgelehnten , weil dogmatischen historischen Materialismus waren , erkannte er
doch ihre großen Verdienste um die Volkswohlfahrt an. ( Spiel 1989 , 75 )
Ethik war und blieb für Schlick letztlich eine Weisheitslehre , die ihre normativen Grund-
lagen mehr oder weniger offenlegt und ins System integriert.
Schlick hatte das Auftreten eines weltmännischen Gentlemans , der einem großbürger-
lich-aristokratischen Lebensstil nacheiferte.446 Sein Verhalten bei manchen Gelegenhei-
ten beurteilt Mormann sogar als „divenhaft“,
446 Spiel berichtet : „Jeden Morgen , bevor er in die Vorlesung kam , machte Schlick einen Ausritt in den
Prater.“ ( Spiel 1989 , 75 ) Als falsch erwiesen hat sich jedoch Schlicks Überzeugung aus seinem Le-
benslauf ( Schlick [ Curriculum Vitae ], Nachlass Schlick , Inv.-Nr. 82 , C. 1b , 1 ), er stehe väterlicher-
seits in enger verwandtschaftlicher Beziehung zu einem wichtigen böhmischen Grafen. Die Familie
war vielmehr eine bürgerliche von Technikern , Handwerkern , Kaufleuten und Fabrikanten. Sein Va-
ter leitete eine vom Großvater in Berlin gegründete Elfenbeinhandlung und -schneidefabrik. ( Nä-
heres hierzu Iven 2008a , 15–28 ) Über die Herkunft der Mutter ist wenig bekannt. So gilt wiederum
keineswegs als gesichert , was Schlick über seine Abstammung mütterlicherseits annahm. Im oben
genannten Lebenslauf behauptet Schlick nämlich , seine Mutter entstamme der Familie von Ernst
Moritz Arndt , zu dessen Erinnerung er , Schlick , „Moritz“ genannt wurde. ( Schlick [ Curriculum Vi-
tae ], Nachlass Schlick , Inv.-Nr. 82 , C. 1b , 1 ) So gerne sich die Familie mit dem Dichter , Revolutionär
Ethik und Moral im Wiener Kreis
Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Ethik und Moral im Wiener Kreis
- Untertitel
- Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
- Autor
- Annemarie Siegetsleitner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79533-9
- Abmessungen
- 16.9 x 23.9 cm
- Seiten
- 450
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 13
- 2. Terminologische Klärungen 37
- 3. Moral und Ethik im Wiener Kreis und die Standardauffassung logisch- empiristischer Ethik 52
- 4. Das kulturelle Umfeld des politischen und moralischen Engagements 67
- 5. Rudolf Carnap : Individualistischer Dezisionismus und wissenschaftlicher Humanismus 89
- 5.1 Einleitung 89
- 5.2 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik vor der Wiener-Kreis-Periode 92
- 5.3 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik in der Wiener-Kreis-Periode 111
- 5.3.1 Der logische Aufbau der Welt ( 1928a ) und die Konstitution von Werten 111
- 5.3.2 Scheinprobleme in der Philosophie ( 1928b ) 120
- 5.3.3 „Wissenschaft und Leben“ ( 1929b ) 123
- 5.3.4 „Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache“ ( 1931/32 ) 129
- 5.3.5 „Theoretische Fragen und praktische Entscheidungen“ ( 1934a ) 133
- 5.3.6 Philosophy and Logical Syntax ( 1935 ) 136
- 5. 3. 7 Carnaps moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 138
- 5.3.8 Carnaps individualistischer Dezisionismus und die Lebenspraxis 141
- 5.3.9 Möglichkeiten und Grenzen der Ethik 148
- 5.4 Spätphase : Optative 149
- 5.5 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 160
- 6. Karl Menger : Mathematische Modelle für ein verträgliches Zusammenleben 163
- 6.1 Einleitung 163
- 6.2 Mengers Logik der Sitten 168
- 6.3 Mengers Moralauffassung 177
- 6.3.1 Moral 1. und 2. Stufe , Basismoralen 177
- 6.3.2 Sinn und Zweck der / einer Moral 177
- 6.3.3 Kritik am Kategorischen Imperativ 179
- 6.3.4 Mengers Konzeption der Moralsprache : Semantischer Nonkognitivismus 180
- 6.3.5 Moralische Erkenntnis : Fundamentaler Nonkognitivismus und systemimmanenter Kognitivismus 182
- 6.4 Mengers Ethikverständnis 186
- 6.5 Menger und die Angewandte Ethik 193
- 6.6 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 194
- 7. Otto Neurath : Moral auf der Grundlage gemeinsam beschlossener humanistischer Lebensgrundsätze und Ethik in der Einheitswissenschaft 196
- 8. Philipp Frank : Pragmatische Ethik und relativierte Moral 251
- 9. Moritz Schlick : Eudämonistische Ethik als Weisheitslehre 265
- 10. Victor Kraft : Zwei-Komponenten-Kognitivismus und rationale Moralbegründung 332
- 10.1 Einleitung 332
- 10.2 Krafts moralische und ethische Auffassungen in der Wiener-Kreis-Periode 337
- 10.3 Krafts moralische und ethische Auffassungen nach der Wiener-Kreis-Periode 371
- 10.3.1 Moralbegründung auf Grundlage der Kultur : Die Grundlagen einer wissenschaftlichen Wertlehre , 2. Auflage ( 1951 ) 371
- 10.3.2 Moralbegründung auf Grundlage natürlicher Ziele : Rationale Moralbegründung ( 1963 ) 374
- 10.3.3 Moralbegründung auf der Grundlage primärer Strebensziele : Die Grundlagen der Erkenntnis und der Moral ( 1968 ) 377
- 10.4 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 383
- 11. Herbert Feigl : Pragmatische Moralbegründung 387
- 12. Systematische Zusammenfassung und allgemeine Schlussbemerkungen 402
- 12.1 Mangelndes Interesse an Moral als Menschen und Bürgerinnen oder Bürger 402
- 12.2 Geteilte moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 403
- 12.3 Differenzierungen in den Moralkonzeptionen 404
- 12.4 Differenzierungen in den Ethikkonzeptionen 409
- 12.5 Ausblick auf zukünftige Forschung 412
- 12.6 Allgemeine Schlussbemerkungen 413
- Literatur 417
- Abkürzungen 440
- Bildquellennachweis 440
- Personenregister 441