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10. Victor Kraft : Zwei-Komponenten-Kognitivismus und rationale Moralbegründung
336 zudem auf entscheidende Veränderungen zwischen erster und zweiter Auflage im Jahre
1951 eingehen. Mich interessiert insbesondere :
1. Welche Positionen vertritt Kraft in seiner frühen Wertphilosophie und Ethik ?
2. Wie fügen sich diese ins vorherrschende Bild der Moral und Ethik des Wiener
Kreises ?
Dieses „Frühwerk“ ist im Übrigen weit davon entfernt , ein Jugendwerk zu sein. Kraft leb-
te lange genug – nämlich 95 Jahre ! – , um mit 57 Jahren ein wert- und moralphilosophi-
sches Frühwerk zu schreiben , dem er einige spätere moralphilosophische Werke folgen
ließ , auf die ich jedoch nur einen Ausblick geben werde. Es handelt sich hierbei um Ra-
tionale Moralbegründung ( 1963 ) und Die Grundlagen der Erkenntnis und der Moral ( 1968 ).
Kraft wendet sich in seinen wertphilosophischen und ethischen Werken vor allem fol-
genden Fragen zu :
1. Weisen alle Wertbegriffe gemeinsame Merkmale auf ?
2. Was unterscheidet moralische Wertbegriffe von anderen Wertbegriffen ? Worin
besteht das spezifisch Moralische ?
3. Handelt es sich bei moralischen Urteilen lediglich um persönliche Stellung-
nahmen ?
4. Sind Sätze , die moralische Urteile ausdrücken , sinnvolle Sätze ?
5. Können Sätze , die moralische Urteile ausdrücken , wahr oder falsch sein ?
6. Können Sätze , die moralische Urteile ausdrücken , als allgemeingültig erwiesen
werden ?
7. Wenn Frage 6 zu bejahen ist , auf welcher Grundlage können sie dies ?
Die Antworten , die Kraft gibt , weichen in zentralen Teilen vom vorherrschenden Bild der
Ethik des Wiener Kreises ab.457
insgesamt könne jedoch nicht gänzlich wertfrei sein. In der Kunstgeschichte und anderen Geistes-
wissenschaften hätten Werte durchaus ihren Platz. ( Kraft 1973a , 22 )
457 Die Sekundärliteratur zu Kraft , sowohl zu Werk als auch zu Leben , ist noch immer spärlich. Hubert
Schleichert zählte Kraft sogar zu den „Denkern ohne Wirkung“. ( Schleichert 1971 ) Dem kann jedoch
so nicht zugestimmt werden. Mehr als über seine Publikationen wirkte Kraft über seine Lehre , wes-
halb sein Einfluss selten ausgezeichnet wurde. Zudem scheint er in die Rechtsphilosophie ( vor allem
auf Alfred Verdross ) und in die Sozialphilosophie und -wissenschaft ( insbesondere auf Albert , To-
pitsch und Acham ) stärker gewirkt zu haben als in die Ethik. Zur Festschrift zu Krafts achtzigstem
Geburtstag trugen immerhin Feyerabend , Austeda , Stegmüller , Albert und Topitsch bei. Auf Krafts
Einfluss auf Poppers Erkenntnistheorie wurde bereits hingewiesen. Möglicherweise wirkte zudem
folgender Umstand bei Krafts geringem Bekanntheitsgrad mit : Kraft hatte nur zwei Jahre vor seiner
Emeritierung eine ordentliche Professur inne. Ihn als Bezugspunkt und einflussreichen Denker auf
eigene Positionen zu nennen , hätte ( dies vor allem im englischsprachigen Ausland ) kein zusätzliches
Ethik und Moral im Wiener Kreis
Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Ethik und Moral im Wiener Kreis
- Untertitel
- Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
- Autor
- Annemarie Siegetsleitner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79533-9
- Abmessungen
- 16.9 x 23.9 cm
- Seiten
- 450
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 13
- 2. Terminologische Klärungen 37
- 3. Moral und Ethik im Wiener Kreis und die Standardauffassung logisch- empiristischer Ethik 52
- 4. Das kulturelle Umfeld des politischen und moralischen Engagements 67
- 5. Rudolf Carnap : Individualistischer Dezisionismus und wissenschaftlicher Humanismus 89
- 5.1 Einleitung 89
- 5.2 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik vor der Wiener-Kreis-Periode 92
- 5.3 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik in der Wiener-Kreis-Periode 111
- 5.3.1 Der logische Aufbau der Welt ( 1928a ) und die Konstitution von Werten 111
- 5.3.2 Scheinprobleme in der Philosophie ( 1928b ) 120
- 5.3.3 „Wissenschaft und Leben“ ( 1929b ) 123
- 5.3.4 „Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache“ ( 1931/32 ) 129
- 5.3.5 „Theoretische Fragen und praktische Entscheidungen“ ( 1934a ) 133
- 5.3.6 Philosophy and Logical Syntax ( 1935 ) 136
- 5. 3. 7 Carnaps moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 138
- 5.3.8 Carnaps individualistischer Dezisionismus und die Lebenspraxis 141
- 5.3.9 Möglichkeiten und Grenzen der Ethik 148
- 5.4 Spätphase : Optative 149
- 5.5 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 160
- 6. Karl Menger : Mathematische Modelle für ein verträgliches Zusammenleben 163
- 6.1 Einleitung 163
- 6.2 Mengers Logik der Sitten 168
- 6.3 Mengers Moralauffassung 177
- 6.3.1 Moral 1. und 2. Stufe , Basismoralen 177
- 6.3.2 Sinn und Zweck der / einer Moral 177
- 6.3.3 Kritik am Kategorischen Imperativ 179
- 6.3.4 Mengers Konzeption der Moralsprache : Semantischer Nonkognitivismus 180
- 6.3.5 Moralische Erkenntnis : Fundamentaler Nonkognitivismus und systemimmanenter Kognitivismus 182
- 6.4 Mengers Ethikverständnis 186
- 6.5 Menger und die Angewandte Ethik 193
- 6.6 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 194
- 7. Otto Neurath : Moral auf der Grundlage gemeinsam beschlossener humanistischer Lebensgrundsätze und Ethik in der Einheitswissenschaft 196
- 8. Philipp Frank : Pragmatische Ethik und relativierte Moral 251
- 9. Moritz Schlick : Eudämonistische Ethik als Weisheitslehre 265
- 10. Victor Kraft : Zwei-Komponenten-Kognitivismus und rationale Moralbegründung 332
- 10.1 Einleitung 332
- 10.2 Krafts moralische und ethische Auffassungen in der Wiener-Kreis-Periode 337
- 10.3 Krafts moralische und ethische Auffassungen nach der Wiener-Kreis-Periode 371
- 10.3.1 Moralbegründung auf Grundlage der Kultur : Die Grundlagen einer wissenschaftlichen Wertlehre , 2. Auflage ( 1951 ) 371
- 10.3.2 Moralbegründung auf Grundlage natürlicher Ziele : Rationale Moralbegründung ( 1963 ) 374
- 10.3.3 Moralbegründung auf der Grundlage primärer Strebensziele : Die Grundlagen der Erkenntnis und der Moral ( 1968 ) 377
- 10.4 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 383
- 11. Herbert Feigl : Pragmatische Moralbegründung 387
- 12. Systematische Zusammenfassung und allgemeine Schlussbemerkungen 402
- 12.1 Mangelndes Interesse an Moral als Menschen und Bürgerinnen oder Bürger 402
- 12.2 Geteilte moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 403
- 12.3 Differenzierungen in den Moralkonzeptionen 404
- 12.4 Differenzierungen in den Ethikkonzeptionen 409
- 12.5 Ausblick auf zukünftige Forschung 412
- 12.6 Allgemeine Schlussbemerkungen 413
- Literatur 417
- Abkürzungen 440
- Bildquellennachweis 440
- Personenregister 441