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10.2 Krafts moralische und ethische Auffassungen in der Wiener-Kreis-Periode
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Die Qualifikation der Auszeichnung ist ein Signal , sowohl für den Sprechenden wie für den
Hörenden , das eine bestimmte Stellungnahme zu einem Gegenstand angibt. [ … ] Meist ge-
ben Signale [ … ] Befehle oder Aufforderungen , z. B. ein Haltesignal oder militärische Signa-
le. Der Charakter der Auszeichnung signalisiert eine bestimmte Stellungnahme , aber nicht
als tatsächlich eingetretene , sondern als einzunehmende. ( Kraft 1937 , 163 )
Die Auszeichnung durch einen bestimmten Wertbegriff sei nicht selbst eine Stellungnah-
me , sondern fordert alle , für die das Urteil Gültigkeit beansprucht , zu einer ebenso be-
stimmten Stellungnahme auf :
Einem Gegenstand Wertcharakter zuschreiben , heißt somit : eine Direktive für das Verhal-
ten zu ihm signalisieren. ( Kraft 1937 , 164 )
Werturteile verfügen insofern über eine präskriptive Komponente und sind von Stellung-
nahmen zu unterscheiden. Stellungnahmen können von Individuum zu Individuum sehr
unterschiedlich ausfallen , sie sind auf je individuelle Verfasstheiten bezogen. Eine Stel-
lungnahme , d. h. als eine Reaktion aus Gefühl und Streben , in der es um Zu- oder Ab-
wendung geht , ist ein rein individuell-subjektives Phänomen wie im Falle einer durch Lust
bestimmten Stellungnahme :
Ist ein Gegenstand infolge seiner Lustbetonung ausgezeichnet , so ist er es dadurch eben nur
für den , der die Lusterfahrung mit ihm gemacht hat. ( Kraft 1951 , 183 )
Stellungnahmen sind also rein individuell und betreffen das Verhältnis eines individuel-
len Subjektes zu einem Gegenstand.
Ebenso individuell wie Stellungnahmen im Gefühls- und Strebensbereich sind Wert-
haltungen , die Kraft neben den Werturteilen zu den Wertungen zählt. Von Stellung-
nahmen , die für sich genommen noch gar nicht in das Gebiet des Wertens fielen , unter-
scheiden sich Werthaltungen nach Kraft dahingehend , dass bei Werthaltungen auch ein
Bewusstsein darüber vorhanden sei , ein Gegenstand verursache eine bestimmte Stellung-
nahme :
Ein Gefühls- und Interesseverhältnis zu Gegenständen , das sich aus dem Bewußtsein ihrer
Auszeichnung ergibt und sich im Verhalten äußert , möchte ich ( mit einem Ausdruck von
Meinong ) „Werthaltung“ nennen , zum Unterschied von der ausdrücklichen Wertung mit
Wertbegriffen , dem Werturteil. ( Kraft 1937 , 57 )476
476 Kraft bringt auch noch den Ausdruck „Wertschätzung“ ins Spiel , wie er sich u. a. bei Störring fin-
det. Die genauen Abgrenzungen und Bezüge zu Meinong oder Störring bleiben jedoch unklar , wo-
rauf ich im Rahmen dieser Untersuchung nicht näher eingehen kann. Kraft erwähnt Meinong des
Ethik und Moral im Wiener Kreis
Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Ethik und Moral im Wiener Kreis
- Untertitel
- Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
- Autor
- Annemarie Siegetsleitner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79533-9
- Abmessungen
- 16.9 x 23.9 cm
- Seiten
- 450
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 13
- 2. Terminologische Klärungen 37
- 3. Moral und Ethik im Wiener Kreis und die Standardauffassung logisch- empiristischer Ethik 52
- 4. Das kulturelle Umfeld des politischen und moralischen Engagements 67
- 5. Rudolf Carnap : Individualistischer Dezisionismus und wissenschaftlicher Humanismus 89
- 5.1 Einleitung 89
- 5.2 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik vor der Wiener-Kreis-Periode 92
- 5.3 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik in der Wiener-Kreis-Periode 111
- 5.3.1 Der logische Aufbau der Welt ( 1928a ) und die Konstitution von Werten 111
- 5.3.2 Scheinprobleme in der Philosophie ( 1928b ) 120
- 5.3.3 „Wissenschaft und Leben“ ( 1929b ) 123
- 5.3.4 „Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache“ ( 1931/32 ) 129
- 5.3.5 „Theoretische Fragen und praktische Entscheidungen“ ( 1934a ) 133
- 5.3.6 Philosophy and Logical Syntax ( 1935 ) 136
- 5. 3. 7 Carnaps moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 138
- 5.3.8 Carnaps individualistischer Dezisionismus und die Lebenspraxis 141
- 5.3.9 Möglichkeiten und Grenzen der Ethik 148
- 5.4 Spätphase : Optative 149
- 5.5 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 160
- 6. Karl Menger : Mathematische Modelle für ein verträgliches Zusammenleben 163
- 6.1 Einleitung 163
- 6.2 Mengers Logik der Sitten 168
- 6.3 Mengers Moralauffassung 177
- 6.3.1 Moral 1. und 2. Stufe , Basismoralen 177
- 6.3.2 Sinn und Zweck der / einer Moral 177
- 6.3.3 Kritik am Kategorischen Imperativ 179
- 6.3.4 Mengers Konzeption der Moralsprache : Semantischer Nonkognitivismus 180
- 6.3.5 Moralische Erkenntnis : Fundamentaler Nonkognitivismus und systemimmanenter Kognitivismus 182
- 6.4 Mengers Ethikverständnis 186
- 6.5 Menger und die Angewandte Ethik 193
- 6.6 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 194
- 7. Otto Neurath : Moral auf der Grundlage gemeinsam beschlossener humanistischer Lebensgrundsätze und Ethik in der Einheitswissenschaft 196
- 8. Philipp Frank : Pragmatische Ethik und relativierte Moral 251
- 9. Moritz Schlick : Eudämonistische Ethik als Weisheitslehre 265
- 10. Victor Kraft : Zwei-Komponenten-Kognitivismus und rationale Moralbegründung 332
- 10.1 Einleitung 332
- 10.2 Krafts moralische und ethische Auffassungen in der Wiener-Kreis-Periode 337
- 10.3 Krafts moralische und ethische Auffassungen nach der Wiener-Kreis-Periode 371
- 10.3.1 Moralbegründung auf Grundlage der Kultur : Die Grundlagen einer wissenschaftlichen Wertlehre , 2. Auflage ( 1951 ) 371
- 10.3.2 Moralbegründung auf Grundlage natürlicher Ziele : Rationale Moralbegründung ( 1963 ) 374
- 10.3.3 Moralbegründung auf der Grundlage primärer Strebensziele : Die Grundlagen der Erkenntnis und der Moral ( 1968 ) 377
- 10.4 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 383
- 11. Herbert Feigl : Pragmatische Moralbegründung 387
- 12. Systematische Zusammenfassung und allgemeine Schlussbemerkungen 402
- 12.1 Mangelndes Interesse an Moral als Menschen und Bürgerinnen oder Bürger 402
- 12.2 Geteilte moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 403
- 12.3 Differenzierungen in den Moralkonzeptionen 404
- 12.4 Differenzierungen in den Ethikkonzeptionen 409
- 12.5 Ausblick auf zukünftige Forschung 412
- 12.6 Allgemeine Schlussbemerkungen 413
- Literatur 417
- Abkürzungen 440
- Bildquellennachweis 440
- Personenregister 441